Rage 2 angespielt: Borderlands‘ rotziger Halbbruder

Bethesda wirft Spieler noch einmal in die post-apokalyptische Welt von Rage. Leider bleiben in Rage 2 Originalität und Spaß in der Ödnis verschollen.

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Rage 2 angespielt: Borderlands‘ rotziger Halbbruder

(Bild: Bethesda)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Stephan Greitemeier
Inhaltsverzeichnis

Genau wie sein Vorgänger ist Rage 2 ein Egoshooter mit Crafting-Elementen in einer frei befahrbaren Welt. Die weiten Wüstenstrecken zwischen Siedlungen, Banditen-Basen und verborgenen Archen können mit einer Vielzahl von Fahrzeugen überwunden werden, denn Energie ist scheinbar unbegrenzt vorhanden. Motorräder, Buggies, Trucks und sogar kleine Hubschrauber können gebaut oder gestohlen werden.

Statt dem Graubraun von Bethesdas Fallout dominieren in der Postapokalypse von Rage 2 angenehme Rottöne das Ödland, und es gibt Vegetation. In den Siedlungen herrscht dagegen der Neo-Noir-Chic von Borderlands, während Banditen die pinke Post-Punk-Welt von Far Cry: New Dawn bevorzugen. Visuell ist der Shooter von Avalanche und id Software sehr schön gestaltet, doch alles andere als originell. Rage 2 ist in Charakteren und Welt ein sehr generisches Spiel, worüber auch seine besten Eigenschaften nicht hinwegtäuschen können: die Waffen und die Nanotriten.

Mit seinen Schießeisen und Wurfwaffen trifft Rage 2 voll ins Schwarze. Die wählbaren Pistolen, SMGs und Schrotflinten sind präzise und gut zu bedienen. Viele haben Zusatzfunktionen, wie etwa die erste Waffe, die Pistole. Diese feuert Salven aus der Hüfte und präzise Einzelschüsse, wenn man über Kimme und Korn zielt. Jedes Gerät kann in 5 Stufen verbessert werden, daneben gibt es Sprengwaffen wie Granaten und einen Bumerang, der lautloses Töten ermöglicht. Das Arsenal ist mit sechs Waffen zwar nicht allzu groß, aber gut durchdacht und umgesetzt. Und der Anti-Gravitations-Pfeilwerfer macht später im Spiel noch einmal neue Taktiken möglich.

Rage 2 angespielt (7 Bilder)

Die Figuren sollen witzig sein, sind aber häufig nur nervig. Eingeschlossen der Held Walker, dessen aufgesetzter Zynismus sehr unsympathisch ist.
(Bild: Bethesda)

Im Kampf füllt sich außerdem der „Rage“-Balken mit jedem Treffer auf, bis man für kurze Zeit schneller und stärker kämpfen kann. Dieser Modus macht allerdings nicht unverwundbar, und sollte umsichtig eingesetzt werden. Daneben kann man den eigenen Kampfanzug an jeder entdeckten Arche aufwerten. Die Nanotriten ermöglichen Fähigkeiten wie „Dash“, durch den man schnell ausweichen kann, oder „Slam“: ein Fauststoß in den Boden bringt nahe Gegner zu Fall.

Dank toller Effekte machen die Feuergefechte in Rage 2 anfangs viel Spaß. Leider sind der Abwechslungsgrad und die Herausforderung eher gering. Es gibt zwar spannende Gegner wie die Cyber-Ninjas und feuerspeiende Mechs, doch diese kommen extrem selten vor. Die meiste Zeit kämpft man wie so oft gegen Banditen und Mutanten, während man uninspirierte Aufträge erfüllt. Der normale Schwierigkeitsgrad dürfte zudem die meisten Spieler unterfordern, weil die KI nicht gerade smart agiert. Die meisten Gegner verweilen in eng begrenzten Bereichen, und erwarten den nahenden Tod.

Dazu kommen schon früh ärgerliche Fehler wie fehlende Audiofiles in den Gesprächen, die einen ratlos zurücklassen. Nicht, dass man unbedingt mehr von den wandelnden Klischees der Rage-2-Story hören wollen würde. Aber es zeigt, wie wenig Wert Bethesdas Studios auf alles legten, was nicht knallen oder hochgehen kann.

Diese Oberflächlichkeit durchdringt die ganze Storywelt. So ansprechend die Postapokalypse visuell gestaltet ist, so schlecht durchdacht ist sie. Selbst Far Cry: New Dawn nahm seine Welt um einiges ernster. Ohne Infrastruktur wurde dort Treibstoff zur wichtigsten Ressource, und viele Missionen gingen um den Diebstahl des dringend benötigten Ethanol. In der Welt von Rage 2 wird kein Gedanke daran verschwendet. Der Spieler wird im Gegenteil pausenlos dazu ermuntert, die Tanks von Banditenbastionen zu sprengen. So etwas hinterlässt neben verbrannter Erde auch fragend erhobene Augenbrauen vor dem Monitor.

Ebenso drängt sich nach einer Weile die Frage auf, was mit den Tieren geschehen ist. In den ersten Spielstunden sieht man jedenfalls nicht einmal Hunde. Müsste sich die Natur in den 130 Jahren nach dem Einschlag des Kometen nicht weiter ausgebreitet haben? Wenn es Wasser gibt und Pflanzen, warum keine Insekten, Vögel, Säugetiere? Fallout und New Dawn nutzten solche Fragen für abwechslungsreiche Gegner und Verbündete, um eine konsistente und aufregende Welt zu erzählen. In Rage 2 ist scheinbar der Mensch das letzte Lebewesen auf Erden. Man denkt lieber nicht darüber nach, was das für den Hot Dog-Dienstag bedeutet.

Neben der Konzeption der Welt sind die Charaktere eine weitere Baustelle. Protagonist Walker ist von Anfang an höchst unsympathisch. Seine zynischen Sprüche wirken wie aus Duke Nukem Forever abgepaust, ohne Selbstironie oder Charme. Den brutalen Tod seiner Ziehmutter verpackt er mit einem Schulterzucken, reißt Minuten später schale Witze darüber.

Leider ist dieser Zynismus auch seine einzige Charaktereigenschaft. Und da es weder ein Moralsystem noch eine Dialogwahl gibt, hätte man sich die Off-Kommentare besser gleich schenken und ihn zu einem stummen Protagonisten machen sollen. Die restlichen Figuren sind ebenso holzschnittartig gebaut. Bösewicht Cross ist ein langweiliger Despot ohne Vision, die verbündeten Anführer Blaupausen aus besseren Spielen. Nur selten blitzt eine interessante Figur im Hintergrund auf, wie die irre Alkoholikerin Gulo, die man in Gun Barrel kennen lernt.

Normalerweise erklären zwei Faktoren Spiele mit schwach gebauten Welten und fadenscheinigen Charakteren: entweder ein unerfahrenes Studio steckt dahinter. Oder es ist als Multiplayer konzipiert. Doch beides trifft nicht auf Rage 2 zu. Selbst der Koop aus dem ersten Teil fehlt hier völlig. Und so sind die Oberflächlichkeiten der in ca. 10 Stunden durchspielbaren Hauptstory noch ärgerlicher. Für die stolzen 50 Euro Kaufpreis gibt es bedeutend bessere Spiele auf dem Markt.

Rage 2 ist ein patenter postapokalyptischer Egoshooter, der aber allen vergleichbaren Spielen hinterher hinkt. Außer im Gunplay kann es in keinem Bereich wirklich überzeugen. Die Charaktere, Missionen und Storywelt sind fade Abziehbilder.

Rage 2 (ab 10,89 €) erschien am 14.05.2019 für PC, PS4 und Xbox. USK ab 18. Da Bethesda erst wenige Stunden vor Veröffentlichung ein Testmuster an heise online verschickte, konnten wir das Spiel nicht rechtzeitig zum Release testen. (dahe)