Der nicht so kleine Unterschied

Ob Frau oder Mann: In der Entwicklung von Medikamenten spielt das Geschlecht oft nur dann eine Rolle, wenn es um Fortpflanzung geht. Dabei zeigen neue Erkenntnisse, dass es beim Verlauf vieler Krankheiten und beider Wirksamkeit von Therapien bedeutende, teilweise lebenswichtige Unterschiede gibt.

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NextGen Jane-Gründerin Ridhi Tariyal mit ihrem Geschäftspartner Stephen Gire.

(Bild: Christie Hemm Klok)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
  • Dayna Evans

Jeffrey Mogil kam aus Langeweile zu seinem Forschungsgebiet. Als Doktorand hatte er eines Tages wenig zu tun, also beschloss er – in Abkehr von der gewohnten Forschungspraxis – pharmakologische Daten aus seinen Mäuseversuchen nach Geschlechtern getrennt auszuwerten. Das Ergebnis war so überraschend wie eindeutig: Bei männlichen Nagern funktionierte der Wirkstoff, an dem er forschte, bei weiblichen versagte er. Mogils Betreuer teilte seine Begeisterung nicht: "Jeff, Geschlechtsunterschiede sind zum Genießen da, nicht zum Untersuchen." Mogil aber ließ sich nicht beirren. Er wurde zum führenden Experten für geschlechtsspezifische Unterschiede beim Schmerzempfinden.

Sein Team an der McGill University in Montreal ist für eine ganze Reihe wichtiger Erkenntnisse auf dem Gebiet verantwortlich. So entschlüsselte es etwa, dass hypersensibles Schmerzempfinden – eine Art chronischer Schmerz – bei männlichen und weiblichen Mäusen von unterschiedlichen Immunzellen beeinflusst wird: Mikroglia und T-Zellen. Auf welchem molekularen Weg die Schmerzvermittlung entsteht, hängt von einem bestimmten Testosteronwert ab: Ein höherer Wert löst den Mikroglia-Weg aus, ein niedrigerer den T-Zellen-Weg.

Einen ähnlichen Unterschied scheint es auch beim Menschen zu geben. Bei Krebspatienten, deren Tumore auf Nerven im Rückenmark drücken, fanden Forscher der University of Texas je nach Geschlecht verschiedene Schmerzpfade: Bei Männern scheinen Fresszellen des Immunsystems schmerzhafte Entzündungen in den Nerven auszulösen, bei Frauen vermitteln kurze Eiweißmoleküle (Peptide) sowie die Nerven selbst die Schmerzen, schrieben die Forscher im März im Fachjournal "Brain". "Es ist gut möglich, dass wir hier über verschiedene Schmerzmittel reden könnten", sagt Ted Price, einer der Studienleiter.

Bei Migräneschmerzen kristallisieren sich diese Geschlechterunterschiede besonders klar heraus: Der 2018 in den USA zugelassene Antikörper Aimovig, mit dem Migränepatienten dem Migräneanfall vorbeugen können, hemmt einen Eiweißstoff, der die Migräne auslöst, und scheint bei Frauen weitaus besser zu wirken als bei Männern. Bisher erhalten beide Geschlechter generell häufig dieselben Schmerzmittel, nur die Dosis wird gegebenenfalls je nach Körpergewicht oder Schmerzstärke angepasst.

Durch Forschungsergebnisse wie diese setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass es bei Symptomen, dem Verlauf vieler Krankheiten sowie der Wirksamkeit von Therapien bedeutende und teilweise lebenswichtige Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt. So ist beim Herzinfarkt schon seit den 80er-Jahren bekannt, dass Frauen weniger eindeutige Beschwerden haben: Statt dem vermeintlich charakteristischen Brustschmerz zeigen sie eher Symptome wie Atemnot, Oberbauchschmerzen und Übelkeit. Als Folge wurden ihre Herzinfarkte oft nicht rechtzeitig erkannt, und sie starben häufiger daran.

(vsz)