Häuser verraten Wahrscheinlichkeit für Autounfälle

Versicherungsunternehmen und Banken können ihre Risikomodelle deutlich verbessern, wenn sie Googles Street-View-Bilder von den Häusern ihrer Kunden analysieren.

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Google Maps
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  • TR Online
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Mit Google Street View lässt sich die Welt auch aus der Ferne besser kennenlernen. Viele planen damit Reisen, erkunden die Urlaubsziele dann im Voraus und kundschaften auch gerne den Wohnort von Freunden aus. Allerdings gibt es auch weitaus heimtückischere Verwendungsmöglichkeiten für das Programm. 2017 untersuchte ein Forscherteam um Timnit Gebru von der Stanford University anhand der Straßenbilder die Verteilung der Automarken in den USA und bestimmte anhand dieser Daten die demografische Zusammensetzung des Landes. Offenbar sind Autos überraschend zuverlässige Indikatoren für das Einkommen, die Ausbildung, den Beruf und sogar die Art und Weise ist, wie man bei Wahlen abstimmt.

Ein zweites Forscherteam ist nun noch einen Schritt weiter gegangen. Łukasz Kidziński von der Stanford University und Kinga Kita-Wojciechowska von der Universität Warschau haben anhand der Street-View-Bilder von Häusern bestimmt, wie wahrscheinlich es ist, dass die Bewohner in einen Autounfall verwickelt sein werden. Für Versicherungsgesellschaften wäre das eine wertvolle Information, um die Prämien festzulegen. Das Ergebnis wirft allerdings Fragen darüber auf, wie persönliche Informationen aus auf den ersten Blick harmlosen Datensätzen extrahiert werden können und ob Unternehmen sie für kommerzielle Zwecke verwenden können sollten.

Die Forscher arbeiteten mit einem Datensatz von 20.000 Versicherungspolicen von Personen, die zwischen 2013 und 2015 in Polen eine Kfz-Versicherung abgeschlossen hatten. Diese wurden zufällig aus der Datenbank eines nicht genannten Versicherungsunternehmens ausgewählt. Jede Police enthielt die Adresse der Versicherungsnehmer und wie oft sie zwischen 2013 und 2015 Versicherungsansprüche geltend gemacht hatten. Der Versicherer teilte auch seine eigene Prognose über künftige Ansprüche mit, für die er sein Risikomodell mit Daten wie die Postleitzahl der Versicherungsnehmer, ihrem Alter, Geschlecht, Schadenshistorie fütterte.

Kidziński und Kita-Wojciechowska wollten wissen, ob ein Google Street View-Bild der Häuser eine noch genauere Vorhersage ermöglicht. Dafür gaben die Forscher die Adresse der Kunden in Google Street View ein und klassifizierten die Häuser nach Kategorien wie Einfamilienhaus, Reihenhaus und Mehrfamilienhaus sowie nach ihrem Alter und ihrem Zustand. Schließlich analysierten die Forscher diese Datensätze, um festzustellen, wie gut sie mit der Wahrscheinlichkeit korrelierten, dass ein Versicherungsnehmer einen Anspruch geltend macht.

Offenbar sind Wohnsitze überraschend gute Indikatoren dafür. "Wir haben festgestellt, dass Merkmale, die auf einem Bild eines Hauses zu sehen sind, unabhängig von klassisch verwendeten Variablen wie Alter oder Postleitzahl das Risiko von Autounfällen vorhersagen können", sagen Kidziński und Kita-Wojciechowska. Fügte die Versicherung diese Faktoren zu ihrem Risikomodell hinzu, verbesserte sich dessen Vorhersagekraft um zwei Prozentpunkte. Das klingt nicht nach viel, bedeutet aber tatsächlich eine erhebliche Verbesserung. Als Vergleich: Das Modell des Versicherers ist nur um acht Prozentpunkte besser als ein sogenanntes Nullmodell und basiert auf einem viel größeren Datensatz, der Variablen wie Alter, Geschlecht und Schadenverlauf enthält. Und die aktuelle Studie ist nur der Anfang. Die Forscher glauben, dass sie durch größere Datensätze und eine bessere Datenanalyse die Prognosen noch genauer machen können.

Auch diese Forschung wirft allerdings ethische Fragen darüber auf, wie personenbezogene Daten verwendet werden sollten. Versicherungsnehmer in Polen dürften überrascht sein zu erfahren, dass ihre Privatadressen in Google Street View eingegeben wurden, um ein Bild ihres Wohnsitzes zu erhalten und zu analysieren. Darüber hinaus ist fraglich, ob sie darüber aufgeklärt wurden, ob sie anschließend zugestimmt haben und ob eine Versicherungsgesellschaft aufgrund der strengen europäischen Datenschutzgesetze die Daten überhaupt auf diese Weise verwenden darf. "Die Zustimmung der Kunden zum Speichern ihrer Adressen bedeutet nicht unbedingt eine Zustimmung zum Speichern von Informationen über das Aussehen ihrer Häuser", sagen Kidziński und Kita-Wojciechowska.

Die Studie öffnet also möglicherweise eine datenanalytische Büchse der Pandora. Wenn Versicherungsunternehmen davon profitieren können, warum sollten es nicht auch andere Unternehmen versuchen? "Die Versicherungswirtschaft könnte schnell von den Banken gefolgt werden, da es eine belegte Korrelation zwischen Versicherungsrisikomodellen und Kreditrisikobewertung gibt", sagen Kidziński und Kita-Wojciechowska.

Mehr Infos

Die Möglichkeiten zur Informationssammlung, -analyse und -nutzung haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Sie übertreffen die Vorstellungskraft der meisten Menschen, was mit ihren Daten möglich ist, und sie hat mit Sicherheit die Geschwindigkeit übertroffen, mit der Gesetze zu ihrer Kontrolle erlassen werden. Und Google ist bei weitem nicht das einzige Unternehmen, das Straßenbilder sammelt. "Auch die Praxis anderer öffentlich verfügbarer Bilder etwa von Bing Maps Streetside, Mapillary und ähnlichen privaten Datensätzen wie CycloMedia von Microsoft werfen Bedenken hinsichtlich der Vertraulichkeit von Daten auf", sagen Kidziński und Kita-Wojciechowska.

Ergebnisse wie diese stellen das Sammeln und Speichern solcher Bilder grundsätzlich infrage. In Deutschland zum Beispiel, wo Datenschutz ein wichtiges Thema und oft Gegenstand öffentlicher Debatten ist, ist es Google bereits verboten, Street-View-Bilder zur Veröffentlichung zu sammeln. Es kann sein, dass künftig weitere Länder hinzukommen werden.

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