Frauen sind anders

In der Forschung arbeiten die meisten Wissenschaftler mit männlichen Versuchstieren. Keine Hormonschwankungen, zuverlässigere Ergebnisse... Ein Trugschluss.

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Männer denken rational und in ordentlichen Strukturen, Frauen sind kompliziert und hormongesteuert – so weit das Vorurteil. Nun sind Vorurteile nicht grundsätzlich so schlecht wie ihr Ruf, helfen Schubladen doch den Alltag mit all seinen Reizen einfacher zu bewältigen. Neurowissenschaftler hingegen erforschen Neuland und lassen besser die Finger von Schubladen. Aber auch sie (vermutlich meist männlich und klar strukturiert denkend) haben Jahrzehnte lang das traditionelle patriarchische Gedankengerüst zur Grundlage ihrer Wissenschaft gemacht.

In den Neurowissenschaften arbeiten Forscher mit Tieren, um die Verknüpfungen zwischen der Gehirnstruktur, seiner Funktion und dem Verhalten zu verstehen. Ihr generelles Ziel ist, Menschen zu helfen, die an psychischen oder neurologischen Erkrankungen leiden. Um dieses Ziel zu erreichen, setzten Neurowissenschaftler jedoch sechs mal häufiger männliche als weibliche Tiere ein und führen damit die Rangliste der wissenschaftlichen Ungleichbehandlung der Geschlechter in der Wissenschaft an.

Das männliche Versuchstier ist Standard, unterliegt es doch nicht dem weiblichen Hormonzyklus und ist damit vermeintlich leichter zu handhaben. Das gilt oft auch für Fragestellungen, die eher frauenspezifisch sind, weil schwankende Hormonspiegel die Interpretation der Versuchsergebnisse erschweren sollen. Ein Beispiel: Frauen sind doppelt so häufig von Depressionen und post-traumatischem Stress betroffen wie Männer, aber Tests, mit denen ihre Symptome untersucht und klassifiziert werden, wurden mit männlichen Nagetieren entwickelt.

Rebecca Shansky, Professorin der Neurowissenschaften an der Northeastern University in Boston hat dies hinterfragt und die männliche Brille abgesetzt. Ihre Ergebnisse hat sie nun im Fachjournal Science veröffentlicht und sagt: für die Bevorzugung männlicher Tiere in den Neurowissenschaften gibt es keine wissenschaftliche Basis.

Der Vergleich von300 neurowissenschaftlichen Studien habe gezeigt, dass die Daten, die mit weiblichen Tieren gesammelt wurden, nicht variabler waren als die mit männlichen Tieren gesammelten. Teilweise war sogar das Gegenteil der Fall. Rangordnungskämpfe bringen den Hormonhaushalt der Männchen durcheinander, dominante Tiere haben teilweise um den Faktor fünf erhöhte Testosteronwerte. Weiblich und männliche Tiere sind damit für die Grundlagenwissenschaften gleich gut – oder schlecht – geeignet.

Fokussiert die Forschung jedoch auf männliche Tiere, läuft die Wissenschaft und damit letztlich die Medizin Gefahr, wichtige Ursachen für Krankheiten zu übersehen oder auch Chancen auf Behandlungen zu vertun. Gleichberechtigung in der klinischen Forschung fordern die Nationalen Gesundheitszentren der USA (NIH) und das Kanadische Institut für Gesundheitsforschung seit 2016 – aber was hilft das, wenn die Grundlagen, auf denen klinische Studien entwickelt werden, die eine Hälfte der Weltbevölkerung (egal welcher Spezies sie angehört) von vornherein außer Acht lässt.

Was für Chancen in den letzten Jahrzehnten aus purer Ignoranz vertan wurden…? Wir werden es nie erfahren, denn keine Studie, die zu keinem Ergebnis geführt hat, wird neu aufgelegt werden, um zu prüfen, ob eine weibliche Beteiligung an der Forschung zu ganz anderen Ergebnissen geführt hätte.

(jsc)