Staudruckmesser

Kommentar: Pendler im Stresstest

Steigende Mieten und mehr Verkehr hängen zusammen, stellt eine Studie von TomTom fest. Es ist an der Zeit, hier politisch einzugreifen. Denn einer Verteuerung des Individual-Pendelverkehrs sollte die Schaffung von Alternativen und die Idee eines sozialen Ausgleichs vorausgehen

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(Bild: Mobil in Deutschland e.V.)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Martin Franz
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Zwei Studien machen derzeit die Runde, und ihre Ergebnisse dürften kaum jemanden überraschen. Eine Analyse der Verkehrsmuster durch die Navigations-Firma TomTom hat ergeben, dass steigende Mieten ein erkennbares Pendlerverhalten mit ausgeprägten Spitzen im Verkehrsaufkommen am Morgen und am Abend sowie Schwerpunkten auf Ring-, Ein- und Ausfallstraßen nach sich ziehen. Mobil in Deutschland e.V. hat, basierend auf den Daten von TomTom, einen Stau-Check für zehn deutsche Großstädte erstellt.

Führend im Stillstand

Pendler sind nicht zu beneiden. So ist unter anderem im Glücksatlas 2018 nachzulesen, dass eine Pendelzeit von mehr als 40 Minuten pro Strecke unzufrieden macht. Tendenziell steigen die Zeiten für die Fahrt zur und von der Arbeit. Der Stau-Check von Mobil in Deutschland e.V. belegt das: In sieben von zehn untersuchten Großstädten stieg die Stauzeit an – was nur die halbe Wahrheit ist. Denn die Prozentangaben, die der Verein dort anführt, sind Mittelwerte für 24 Stunden an 7 Tagen auf ein komplettes Kalenderjahr bezogen sind. Es wurden also auch nahezu staufreie Fahrten bei Nacht oder an bestimmten Feiertagen erfasst. Das bedeutet, dass zu Stoßzeiten im Berufsverkehr erheblich höhere Durchschnittswerte vorliegen können.

Am schlimmsten ist die Verkehrsbelastung in Hamburg, gefolgt von Berlin, Nürnberg, Bremen, Stuttgart und München. Bonn, Frankfurt am Main, Dresden und Köln vervollständigen die Liste der Städte in Deutschland, in denen Autofahrer die meiste Zeit durch Verkehrsbehinderungen verlieren. Doch längst ist das nur die Spitze eines riesigen Berges von Problemen, denen die Politik zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Die Lösung kann kaum darin liegen, mehr Straßen zu bauen, um den Individualverkehr besser zu verteilen. Dieses Rezept vergangener Jahrzehnte ist längst an seine Grenzen gestoßen, zumal sich Widerstand formiert. Niemand legt Wert darauf, dass sich der Pendelverkehr morgens und abends vor seiner Tür vorbeiquält.

Wachstum ohne Ende

Doch die Städte müssen handeln. Die Europäische Metropolregion München e.V. geht davon aus, dass München und sein direktes Umfeld zwischen 2015 und 2034 um mehr als 500.000 Einwohner netto wächst. Anderswo mögen die Zahlen etwas geringer ausfallen, doch ein Trend lässt sich recht gut abschätzen: Großstädte und ihre Speckgürtel wachsen, die Zahl der Menschen, die weit abseits davon lebt, sinkt perspektivisch. Das bringt neue Herausforderungen in der städtebaulichen Planung mit sich. Wohnraum muss geschaffen und sinnvoll angebunden werden. Blöd, wenn man für glanzvolle Einmaleffekte kommunalen Wohnraum verscherbelt hat und einem nun der Hebel fehlt, krankhaften Auswüchsen auf dem Wohnungsmarkt zu begegnen.

So man gewillt ist, sich dem unpopulären Thema „Verkehrsströme in der Rushhour“ auf politischer Ebene zu widmen, zeichnen sich Lösungen ab. Einerseits liegt es nahe, die Fahrt im eigenen Auto teurer zu machen. Ein Vorschlag in Form der CO2-Bepreisung liegt auf dem Tisch, selbst einige Politiker der Union finden daran Gefallen. Das Problem ist weniger die Umsetzung einer CO2-Steuer an sich, sondern vielmehr, dass man für eine breite Akzeptanz gleich mehrere Schritte auf einmal machen muss. Genau damit tut man sich gerade in Deutschland für gewöhnlich ein wenig schwer.

Verteuerung als Lösung?

Natürlich ist es möglich, das Autofahren so teuer zu machen, dass Menschen gezwungen werden, zu Alternativen zu greifen. Naheliegend wäre ein Umstieg auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Aber der ist vielerorts morgens und abends an der Kapazitätsgrenze und wurde über Jahrzehnte kaputtgespart. Langsam bewegt sich in dieser Hinsicht etwas, doch die Versäumnisse einer weitreichenden Vergangenheit lassen sich nicht innerhalb kurzer Zeit kurieren. Dennoch ist das die richtige Richtung: Wer Städte vom massenhaften Autoverkehr zumindest erleichtern will, regelt das im Sinne einer breiten Akzeptanz am besten darüber, eine Alternative zu schaffen, die dem Auto überlegen ist. Das betrifft im Falle des ÖPNV Netzdichte, Pünktlichkeit, Tempo, Komfort, gefühlte Sicherheit genauso wie den Preis.