Unerhört!

Ein protokollarischer Patzer von US-Präsident Trump, der gerade zum Rumlästern in London war, wirft ein kurioses Licht auf die Erfindung des Telefons.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Die Queen, so befand Donald Trump anlässlich des Staatsbanketts im Buckingham-Palast, sei eine "großartige Frau". Als sie ihr Glas auf ihn erhob, klopfte er ihr auf den Rücken. Offenbar hat sich noch nicht bis in die USA durchgesprochen, dass man das nicht tut. Niemand berührt die Königin unaufgefordert. Auch Michelle Obama hatte im April 2009 bei einem Empfang im Buckingham Palast in einem unüberlegten Moment der Königin die Hand auf die Schulter gelegt. Beides hat mit der Erfindung des Telefons zu tun. Damit schließt sich ein Bogen, der sich vor nunmehr 141 Jahren öffnete.

Die Geste von Michelle Obama erwiderte Elizabeth II. damals, indem sie der Präsidentengattin den Arm um die Hüfte legte. Trump ignorierte sie einfach. Wenn die Königin einem die Hand anbietet, darf man sie schütteln (aber nur ganz leicht). Königin anfassen ist Lèse majesté, Majestätsbeleidigung. In der Vergangenheit hatten britische Zeitungen in solchen Fällen Rauch und Feuer gespien und die Berührer der kompletten Respektlosigkeit bezichtigt.

Nachdem der australische Premierminister Paul Keating der Queen 1992 den Arm um die Schulter gelegt hatte, wurde er dafür als "Lizard of Oz" verhöhnt, als schlängelnde, böse Eidechse (in Anspielung auf das Kinderbuch "Der Zauberer von Oz"). Im Jahr 2000 erntete John Howard, gleichfalls australischer Premierminister, scharfe Kritik dafür, dass er bei dem Versuch, sie durch eine Menschenmenge zu dirigieren, geradezu den Arm um die Königin legte. Dem französischen Präsidenten Jacques Chirac drohte Ähnliches zu widerfahren, als er 2004 die Königin beinah berührte.

Eine Amerikanerin, die sich an die Briten im Netz wendet ("Ich weiß genau, ihr seid hier irgendwo"), will wissen, weshalb es eigentlich gegen das Protokoll verstößt, die Königin zu berühren. Ein Brite erteilt Auskunft: "Früher war es sicher nicht allzu gesund, den vielen ungewaschenen Leuten zu nahe zu kommen. Für die meisten von uns ist HMQ [Her Majesty, The Queen] übrigens hauptsächlich eine fremdenverkehrswirksame Sehenswürdigkeit, die amerikanische und japanische Touristen dazu bringt, die erstaunlichsten Preise für Postkarten des Buckingham Palasts zu bezahlen."

Daneben nehmen die Royals sich technischer Neuerungen an, wie seit jeher. Im Februar 2009 etwa weihte die Queen in Anwesenheit von WWW-Erfinder Sir Tim Berners-Lee ein Update der offiziellen Website der Britischen Monarchie ein, die den Royal Family Channel auf YouTube ergänzt, und auf der sich unter anderem Hinweise finden, wie man ein Mitglied der königlichen Familie grüßt, sollte man ihm gelegentlich begegnen.

Ein Tagebucheintrag von Queen Victoria vom 14. Januar 1878 verzeichnet ein abendliches Treffen auf ihrem Landsitz Osborne House auf der Isle of Wight mit Alexander Graham Bell, dem Erfinder des Telefons. "Professor Bell erklärte den gesamten Vorgang, der sehr außergewöhnlich ist. ... Es ist eher undeutlich und man muß die Röhre nahe an das Ohr halten."

Erst im Jahr zuvor war die Bell Telephone Company gegründet worden, aber die Verbreitung der neuen Technologie ging nur schleppend voran. Für die Vorführung vor Queen Victoria waren Verbindungen mit dem benachbarten Osborne Cottage sowie nach Cowes, Southampton und London eingerichtet worden. Für das plumpe Gerät hatte Bell von den Instrumentenbauern der Firma Julius Sax and Co. eine Dekoration aus Walnuß und Elfenbein anfertigen lassen. Und er hatte eigens die amerikanische Journalistin und Schauspielerin Kate Field engagiert. Aber als sie am anderen Ende der Leitung zu singen begann, blickte die Königin gerade anderswohin. Wie er es von seiner gehörlosen Gattin gewohnt war, berührte Bell die Hand der Königin, um ihre Aufmerksamkeit auf das Telefon zu richten.

Niemand berührt die Königin unaufgefordert. Niemals. Die Nachricht, dass Alexander Graham Bell die Königin berührt hatte, verbreitete sich im ganzen Commonwealth. Und mit ihr das Telefon.

(bsc)