Klimaziele 2050: EU-Gipfel degradiert Klimaneutralität zur Fußnote

Polen, Tschechien, Ungarn und Estland haben beim Treffen der Staats- und Regierungschefs verhindert, den EU-Treibhausgasausstoß bis 2050 auf Null zu senken.

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Stadt, Sonne, Klimawandel

(Bild: Reimund Bertrams, gemeinfrei)

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Die Staats- und Regierungschefs der EU konnten sich bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstagabend in Brüssel nach stundenlangen Verhandlungen nicht auf das zunächst anvisierte Ziel einigen, die Gemeinschaft bis 2050 klimaneutral zu machen. Polen, Tschechien, Ungarn und Estland verhinderten einen einstimmigen Beschluss. Die EU steht damit vor dem nächsten UN-Klimagipfel im September in New York weitgehend mit leeren Händen da.

Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte zusammen mit einigen westeuropäischen Verbündeten darauf gedrängt, den Treibhausgasausstoß der Gemeinschaft bis zum Jahr 2050 netto auf Null zu senken. In der Gesamtbilanz sollten die Mitgliedsstaaten dann nur noch so viele Klimakiller-Stoffe verbreiten, wie sie etwa durch Aufforstung oder CO2-Speicherung wieder ausgleichen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte vor laufenden Kameras vor dem Start der Gespräche, sie könne "für Deutschland dieses Ziel ausdrücklich unterstützen". Berichten zufolge soll die CDU-Politikerin später aber auch Verständnis für die Position der vier osteuropäischen Länder gezeigt haben.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki begründete sein Nein zu der Initiative unter anderem mit dem Hinweis, dass er eine "ernsthafte Analyse" von deren Folgekosten vermisse. Gerade für Länder wie Polen, die sich in einem ökonomischen Transformationsprozess befänden, sei dies riskant angesichts drohender neuer Verpflichtungen ohne ersichtlichen Finanzausgleich. Die Energiewende müsse "gerecht und verantwortungsvoll" vollzogen werden. Er schloss aber nicht aus, dass sich sein Land den Zielen doch noch anschließen könnte, wenn die offenen Fragen geklärt seien.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier warnte mittlerweile bei einem Vortrag an einer Universität in Schanghai angesichts zunehmender Schüler- und Studentenproteste für den Klimaschutz ebenfalls davor, die Sache zu überstürzen. Es müsse verhindert werden, dass einschlägige Maßnahmen den Wohlstand der Gesellschaft verringerten und zu mehr Arbeitslosigkeit oder weniger Wettbewerbsfähigkeit führten, erklärte der CDU-Politiker laut dem Online-Magazin "Politico". Unter solchen Umständen würde dem Vorbild westlicher Staaten niemand folgen.

Der Europäische Rat unterstreicht in seinen Schlussfolgerungen zum Klimawandel nun nur, "wie wichtig" der Uno-Klimagipfel sei, um im Einklang mit dem Übereinkommen von Paris den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Die Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission müssten nun "Voraussetzungen, Anreize" und "günstige Rahmenbedingungen" schaffen, "um unter Wahrung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, unter Berücksichtigung der nationalen Gegebenheiten der Mitgliedstaaten und unter Wahrung ihres Rechts, ihren Energiemix selbst festzulegen, einen gerechten und sozial ausgewogenen Übergang zu einer klimaneutralen EU" zu bewerkstelligen.

Dazu kommt eine Fußnote, wonach "für eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten die Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden muss". In einer ersten Version des Papiers fehlte selbst diese Anmerkung, nachdem das zunächst vorgesehene gemeinsame Ziel aus dem Text gestrichen werden musste. Erst gegen 23:00 Uhr war die Fußnote dann enthalten, wie Gipfelsprecher Jüri Laas twitterte.

Die Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Ska Keller, bezeichnete es als "Schande", dass der Gipfel gekreißt und eine Maus geboren habe. Trotz zunehmender Dürre, Sturzfluten oder andere Klimakatastrophen hätten die Regierungschefs erneut verkannt, wie wichtig ein rasches Gegensteuern wäre. Es sei ihnen offenbar immer noch wichtiger, "wirtschaftliche Interessen und Macht zu schützen".

Mit leeren Worten könne man kein Haus wiederaufbauen, das von einer Schlammlawine getroffen werde, und keinen Landwirt entschädigen, dessen Ernte einer Dürre zum Opfer falle, monierte auch Sebastian Mang von Greenpeace. Die Regierungen der EU-Länder hätten eine Chance gehabt, Europa wieder an die Spitze der Klimabewegung zu bringen. Doch sie hätten versagt. Die Gespräche müssten bei einem Sondergipfel Ende Juni fortgeführt werden.

Auch die Energieexpertin der Linken im EU-Parlament, Cornelia Ernst, vermisste "konkrete Taten" des Rates zum Klimaschutz und plädierte dafür, bis 2030 den Ausstoß von Treibhausgasen in der EU um mindestens 65 Prozent zu senken. Das wäre ein starkes Signal gewesen. "Wir müssen schon 2040 bei netto Null-Emissionen sein, um nicht auf eine Erwärmung von drei bis vier Grad zuzusteuern", warnte sie. Die künftige Kommissionsspitze müsse sich "wirklich mit der Lobby der fossilen Industrie anlegen und die Subventionen in Millionenhöhe für Kohle, Öl und Gas abschaffen".

Von den aussichtsreichsten Spitzenkandidaten der großen Fraktionen im EU-Parlament erhielt am Donnerstag aber keiner die Zusage, als Kommissionspräsident antreten zu dürfen. Im Rennen sind vor allem Manfred Weber von der CSU für die konservative Europäische Volkspartei (EVP), Frans Timmermans für die Sozialdemokraten und Margrethe Vestager (Liberale). Die Regierungschefs wollen am 30. Juni weiter besprechen, ob sie jemand aus dem Trio den Job zutrauen oder doch andere Bewerber zum Zug kommen sollen.

Einig war sich der Europäische Rat dagegen in seinem Ruf nach einem stärkeren Kampf gegen Desinformation. Er begrüßt die Absicht der Kommission, die Umsetzung der Verpflichtungen gründlich zu prüfen, "die Online-Plattformen und andere Unterzeichner im Rahmen des Verhaltenskodex eingegangen sind". Die sich wandelnde Art der Bedrohungen und die "zunehmende Gefahr von böswilligen Eingriffen und Online-Manipulation, die mit der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und Datenerhebungstechniken einhergehen", erforderten "eine kontinuierliche Bewertung und eine angemessene Reaktion". (jk)