Künstliche Intelligenz warnt vor Baustellen-Unfällen

Bauunternehmen entwickeln Algorithmen, die Arbeitsunfälle vorhersagen sollen. Das KI-Instrument ist allerdings auch ein weiteres Beispiel für zunehmende Leistungsüberwachung am Arbeitsplatz.

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Künstliche Intelligenz warnt vor Baustellen-Unfällen

(Bild: Courtesy of Suffolk and Smartvid.io)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Will Knight
  • Elizabeth Woyke
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Baustellen sind gefährliche Arbeitsplätze mit einer fünfmal höheren tödlichen Unfallrate als jede andere Branche. Jetzt testen einige große Bauunternehmen ein Künstliches-Intelligenz-System (KI), das Unfälle vorhersagen soll, um Leben zu retten und Kosten zu senken. Denn die Verletzungen und Todesfälle belasten die ohnehin unter geringer Produktivität und erheblichen Kostenüberschreitungen leidende Bauindustrie zusätzlich.

Der Bostoner Baugigant Suffolk entwickelt das System seit mehr als einem Jahr zusammen mit SmartVid, einem Spezialisten für Bilderkennung. Im März überredete Suffolk mehrere Wettbewerber, sich einem Konsortium namens "Strategierat für prädiktive Analytik" anzuschließen, der die Technologie durch Datenaustausch verbessern will, berichtete Jit Kee Chin, Suffolks Datenvorstand und stellvertretende Generaldirektorin bei der "EmTech Next"-Konferenz von Technology Review Mitte Juni am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge.

Das KI-System verwendet einen sogenannten Deep-Learning-Algorithmus, der mit Baustellenfotos und Unfallaufzeichnungen trainiert wurde. Nun soll es neue Baustellen überwachen und Situationen melden, die wahrscheinlich zu einem Unfall führen würden: Zum Beispiel wenn ein Arbeiter keine Schutzhandschuhe trägt oder zu nah an einem gefährlichen Maschinenteil arbeitet. "Sicherheit ist ein großes Problem am Bau", sagte Chin. "Heutzutage wird Sicherheit so gehandhabt, dass Sie versuchen, das Verhalten [der Beteiligten] zu ändern." Das reiche aber nicht.

Laut Chin ist es für Wettbewerber aus mehreren Gründen durchaus sinnvoll, ihre Erfahrungen zu teilen. Viele Unternehmen hätten allein nicht genügend Daten für die von Deep-Learning-Algorithmen benötigten großen Datenmengen zur Verbesserung der Vorhersagmodelle. Die Verbesserung der Sicherheit war ebenfalls ein Anreiz. "Sicherheit war ein guter Anfang. Die meisten Unternehmen haben dafür keine eigene Abteilung", sagte Chin. Sie selbst wechselte 2017 von einem Posten als Management-Beraterin bei McKinsey zu Suffolk, um dort erster Datenvorstand zu werden.

Darüber hinaus will Suffolk mithilfe von Algorithmen auch effizienter werden. So soll ein weiterer Algorithmus unter anderem mit bis zu zehn Jahre zurückreichenden Archivdaten über Terminkoordinierung Verzögerungen vorhersagen. Eine Idee dafür ist die Verfolgung der Zementlieferanten-Fahrzeuge, damit die Arbeiter bei ihrer Ankunft bereit zum Gießen sind. Chin zufolge könnten all diese Technologien Suffolks Produktivität um bis zu 20 Prozent steigern. "Die Industrie braucht diese neue Fähigkeit dringend. Sie kann zu besseren Entscheidungen führen und Projekte um Monate beschleunigen", sagt James Benham, Geschäftsführer der Software- und Consultingfirma JBKnowledge, die jährlich einen weltweiten Bericht über Bautechnologie erstellt.

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Tatsächlich habe die US-Baubranche die neuen Technologien für Bildverarbeitung und maschinelles Lernen nach langem Widerstand relativ schnell abgenommen. Die Zurückhaltung lag häufig daran, dass die Profitmargen der Baubranche notorisch niedrig sind. "Es ist schwierig, die meisten davon zu überzeugen, die Dinge anders zu handhaben", sagt Benham. Doch der Arbeitskräftemangel und niedrige Produktivitätsraten hätten 2018 um die 20 Unternehmen davon überzeugt, in Datenwissenschaft zu investieren. Befürworter glauben, dass der Trend den 13 Billionen Dollar schwere Sektor grundlegend verändern könnte.

Allerdings ist das Projekt, das die Sicherheit der Bauarbeiter verbessern soll, auch ein weiteres Beispiel für einen viel größeren Trend: die Verwendung von KI zur Überwachung, Quantifizierung und Optimierung des Arbeitslebens. Unternehmen suchen zunehmend nach Möglichkeiten, um geleistete Arbeit nachzuverfolgen, und verwenden Algorithmen zur Leistungsoptimierung. Diese machen bereits einen wesentlichen Bestandteil vieler Jobs etwa bei Mitfahrunternehmen wie Uber und Lyft, sowie bei Technologiefirmen wie Amazon aus. Und das ist wahrscheinlich erst der Anfang. Es ist nicht undenkbar, dass wir alle irgendwann für Algorithmen arbeiten. Mary Gray, die als Anthropologin bei Microsoft arbeitet und die in viele technische Produkten einfließende Arbeit untersucht, brachte es bei der EmTech-Konferenz auf den Punkt: „Wenn wir über Automatisierung sprechen, geht es um weit mehr als die eigentliche Arbeit.“

(vsz)