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Was war. Was wird. Was hängt da an den Umständen?

Hoppala, ein Netzwerk! Wer hätte das gedacht! Hal Faber ist umständehalber erstaunt. Nicht wirklich.

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Was war. Was wird. Was hängt da an den Umständen?

Mystischer Romantizismus? Ja, das auch. Es sind schon seltsame Dinge, die das deutsche Wesen ausmachten, an dem einst (und bei manchen Spinnern: auch heute) die Welt genesen sollte.   

(Bild: Ekaterina Klochkova / shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Auf dem Boden der Tatsachen liegen überall Fakten herum: Am Dienstag gestand der in Haft sitzende Rechtsextremist Stephan Ernst, den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet zu haben. Als Grund nannte Ernst die Haltung Lübckes zu Merkels Flüchtlingspolitik. Nach weiteren Vernehmungen zum Kauf und zum Verbleib der Waffe verwandelte sich der Einzelfall Stück für Stück in die Erkenntnis, dass ein rechtsextremes Netzwerk dem Mörder geholfen hat. Am Freitag trat dann der oberste deutsche Verfassungsschützer Thomas Haldenwang vor die Presse. Zusammen mit seinem Dienstherr Horst Seehofer stellte er den Verfassungsschutzbericht vor. In ihm findet sich die Zahl von 21.400 gewaltbereiten Rechtsextremen. Dazu sagte Haldenwang: "Dass wir ein Erstarken des Rechtsextremismus in den letzten Jahren wahrnehmen mussten, das hängt an vielerlei Umständen. Das ist insgesamt ein Thema für die gesamte Gesellschaft; ich glaube das hängt sehr viel mit aktuellen politischen Entwicklungen zusammen und möglicherweise natürlich auch mit der Flüchtlings- und Migrationspolitik seit 2015."

*** Für sich genommen klingt das harmlos, doch im Detail stecken die Fakten, die tückischen: Wer ist das "wir" von dem Haldenwang da spricht? Es sind wohl die Mitarbeiter der Landesämter für Verfassungsschutz, die die rechte Szene beobachten sollten und verharmlosend von Preppern und Reichsbürgern sprachen, die sich auf einen Tag X vorbereiten und schon mal Leichensäcke für diesen Tag bestellen. Und was ist mit der Migrationspolitik, dem Thema "Merkel und die Flüchtlinge", das in den rechten Kreisen als Begründung für den "Kampf gegen die Umvolkung" zirkuliert? Wie war das noch mit dem hessischen AfD-Politiker Martin Hohmann, der da behauptete, Walter Lübcke wäre noch am Leben, hätte es den "unkontrollierten und bis heute andauernden Massenzustrom an Migranten nicht gegeben"? Der von dem „Massenzustrom nach der illegalen Grenzöffnung mit seinen vielen Morden und Vergewaltigungen" schwadronierte, als "notwendiges Glied in der Ursachenkette, die zum Tod von Walter Lübcke führte." Martin Hohmann kann sich nun auf die Aussage von Thomas Haldenwang berufen, ein Trauerspiel. Zu dem auch der bei dem Gedenken an Lübcke sitzen gebliebene bayerische AfD-MdL Ralph Müller gehört, der einfach nur ein Moment "abwesend" war. Noch trauriger: ein ehemaliger Verfassungsschutzpräsident, der von 1,8 Millionen Arabern fabuliert und die Zahl von 21.400 Rechtsextremen "nicht besorgniserregend" findet. Das wären ja nur die Gewalttätigen unter ihnen, eine verschwindend geringe Anzahl.

*** Ja, in den Landesparlamenten sind sie zum Gedenken an Walter Lübcke aufgestanden, auch im Bundesrat und im Bundestag. Dennoch wird diskutiert, ob die Diagnose von der Unfähigkeit zu trauern auch 50 Jahre nach der Feststellung der "auffallenden Gefühlsstarre" durch Alexander und Margarete Mitscherlich zutrifft. Mit der Unfähigkeit zu trauern war ja der "geliebte Führer" gemeint, über dessen Tod man nicht trauern durfte, der "einst intakte Staat" und die Dominanz der deutschen Sprache in Europa, die ein Björn Höcke gerne bei seinen Reden heraufbeschwört. In diesem Zusammenhang ist es ganz aufschlussreich, dass die Analyse der US-amerikanischen Psychoanalytikerin Barbara Spofford Morgan aus dem Jahre 1935 als Wiedervorlage veröffentlicht wird. Sie zeigt, wie das Gerede vom einst intakten Staat und der einst geachteten Armee in den Anfängen der nationalsozialistischen Diktatur funktioniert hat. "But, whatever the outcome of the German revolution, a mystical romantic quality is its vital core. It is national in the first place, the profound longing of a sovereign people to cast out foreign elements and regain their own cultural and spiritual sovereignty."

*** Während Angela Merkel bei G20-Gipfel weilte und Komplimente von Donald Trump kassierte, hat sich ihre Nachfolgerin als Parteivorsitzende versprochen und dafür Häme kassiert. Sie sprach über die 7 Plagen, unter denen Ägypten leiden musste, ehe die Juden davon ziehen durften. Dafür gab es angeblich Spott im Netz. Dabei ist es keineswegs eindeutig. Nach dem Buch Mose waren es 10 Plagen, nach Psalm 105 nur sieben. Möglicherweise liegt auch eine Verwechslung mit den sieben Plagen der Endzeit vor oder den sieben Tugenden, die das Leben eines Christen in der CDU prägen sollen: Glaube, Liebe, Hoffnung, Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung. Ist es gutes Christenwissen, dass im alten Ägypten 10 Plagen aufeinander folgten? Ich habe keine Ahnung, doch wenn selbst die Bibelwissenschaftler sich darüber streiten, welche Plagen zuerst da waren und welche später nachgedichtet wurden, ist Spott eigentlich fehl am Platz. Aber im Netz und in der IT-Branche sitzen die Assoziationen locker, wie es die Rede von einer Katastrophe biblischen Ausmaßes zeigt, die über die Spielebranche herein bricht. Sie erhält nur einmalig etwas Förderknete, weil Spielminister Andreas Scheuer 700 Millionen für die gescheiterte Ausländermaut zusammenkratzen muss.

*** Erinnert sich noch jemand an #FreeDeniz und den Aufenthalt des Journalisten Deniz Yücel in einem türkischen Gefängnis? Jetzt hat das türkische Verfassungsgericht in Ankara entschieden, dass mit der Inhaftierung die persönliche Sicherheit, Freiheit und Meinungsfreiheit des Journalisten verletzt wurde und ihm einen Schadensersatz von umgerechnet 3800 Euro zugesprochen. Das ist noch keine Gerechtigkeit, aber schon besser als die frühere Ablehnung, sich mit der Klage zu befassen. Damals gab es Kritik an Journalisten, die sich mit dem Hashtag #FreeDeniz solidarisierten. Journalisten sollten schreiben, nicht unterschreiben, befand das Fachblatt für kluge Köpfe. Das Spielchen wiederholt sich nun mit #FreeCarola. Gemeint ist Carola Rackete, die mutige Kapitänin der Sea Watch 3, die in Lampedusa festgenommen wurde. Prompt ist der Vorwurf da, die Seenotrettung würde dem rechtsextremen Innenminister Matteo Salvini helfen, dem der Trubel "auf die Eier" geht. Wir lernen: es gibt laute und leise humanitäre Interventionen. Nur die letzteren sind schicklich, das Absaufen im Meer ist halt persönliches Risiko.

Wenn es in den Sommerferien geht, räumt man üblicherweise auf. Die große Koalition hat hingegen abgeräumt und viel auf Wiedervorlage gelegt. Erstaunlich viele Gesetzesvorlagen, die noch vor der Sommerpause verabschiedet werden sollten, sind auf den kühlen St.Nimmerleinstag verschoben worden. Vor allem die Cyber-Gesetze gehören zu denen, bei denen Eile um Weile ergänzt wurden. Dazu gehört das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 mit verschärften Befugnissen, gegen Hacker aller Art vorzugehen, der Aufbau des Cyber-Abwehrzentrums Plus mit engerer Kooperation von Geheimdiensten und Ermittlern sowie die Verzahnung der täglichen Cyber-Lage mit dem Cyber-Abwehr- und -Angriffszentrum der Bundeswehr. Auch die Sache mit den angedachten Hintertüren in Messenger-Diensten und der Ausleitung verschlüsselter E-Mail durch Provider liegt auf der langen Bank und sonnt sich. Sommer ist halt Sommer, wo alles etwas langsamer geht, auch die Cyber-Sicherheit im schwitzenden Cyber-Raum. Das gilt nicht nur für unsere kleine Bundesrepublik. Auch in den Vereinigten Staaten vertagte man bei der gemeinsamen Sitzung der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste im National Security Council die Frage, ob nicht die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Staats wegen verboten werden müsste. Auch der Krypto-Krieg macht Sommerpause.

An diesem schönen Sonntag endet die Frist für den Online-Anschluss von Arztpraxen an die telematische Infrastruktur. Glaubt man diesem Service-Tweet einer Krankenkasse, so sind nicht einmal 50 Prozent der Ärzte und Zahnärzte angeschlossen. Wie es weitergeht, ist eine gute Frage. Immerhin haben ratlose Techniker, die den VPN-Router in der Praxis installieren, nun ein Muster-Installationsprotokoll von der Projektgesellschaft Gematik bekommen, das sie abarbeiten können. Und für die ratlosen Ärzte gibt es auch etwas, nämlich eine Klarstellung von der Gematik, dass sie nicht für IT-Sicherheitsrisiken in den Praxen haftbar gemacht werden können. Das neue Informationsblatt stellt klar: Wenn alles seine BSI-gerechte Ordnung hat und etwas nicht klappt, ist der "Datenverarbeiter" dran, nicht der medizinische "Leistungserbringer". So ist das im Sommer. Summertime, and the livin'is easy, Fish are jumpin', and the cotton is high ... (jk)