Energie-Emissionen: Auf dem Weg zu 2 Grad Erderwärmung

Trotz aller Warnungen ist das fossile Energiesystem seit 2010 weiter gewachsen. Bestehende und geplante Infrastruktur würde jetzt weitaus mehr CO2 ausstoßen, als mit maximal 1,5 Grad Temperaturanstieg vereinbar sein soll.

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Energie-Emissionen: Auf dem Weg zu 2 Grad Erderwärmung

(Bild: Photo by Alain Duchateau on Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • James Temple
Inhaltsverzeichnis

Im Jahr 2010 stellten Wissenschaftler fest: Schon damals gab es weltweit genügend CO2-emittierende Infrastruktur, um die globale Temperatur um 1,5 Grad zunehmen zu lassen. Wenn nicht „außergewöhnliche Maßnahmen zur Entwicklung von Alternativen ergriffen werden“, warnten sie, werde das System der fossilen Brennstoffe immer weiter wachsen.

Um es gleich zu verraten: Genau so ist es gekommen.

Anfang Juli wurde in der Fachzeitschrift Nature eine Neuauflage der Studie aus 2010 veröffentlicht. Die 1,5 Grad Erwärmung als das Ziel nach dem Pariser Klimaabkommen werden voraussichtlich überschritten, schreiben die Forscher jetzt. Das gelte sogar dann, wenn kein einziges Kraftwerk, keine Fabrik, kein Auto und kein Haushaltsgerät mehr neu in Betrieb genommen wird.

Die Folgen wären laut der Studie schon dann erheblich, wenn bestehende Anlagen so lange in Betrieb bleiben, wie es dem historischen Durchschnitt entspricht, und wenn aktuell geplante Anlagen tatsächlich realisiert werden: Dies würde zwei Drittel der CO2-Emissionen verursachen, die ausreichen sollen, um die globale Temperatur um 2 Grad ansteigen zu lassen.

Eine Veränderung um weniger als 1 Grad hört sich nicht dramatisch an? Zu bedenken ist hier, dass schon 1,5 Grad Erwärmung für 14 Prozent der Weltbevölkerung Hitzewellen bringen, fast 5 Millionen Quadratkilometer arktischen Permafrost zum Schmelzen bringen und mehr als 70 Prozent der Korallenriffe weltweit zerstören soll. Der Schritt zu einer Erhöhung um insgesamt 2 Grad würde bedeuten, dass dreimal so viele Menschen von Hitzewellen betroffen wären; 40 Prozent mehr Permafrost würde auftauen und die Korallenriffe würden fast ganz verschwinden, geht aus Studien hervor.

Die einfachste Schlussfolgerung daraus ist auf gewisse Weise erschreckend. Schon bis heute haben wir ein System gebaut, dass den Planeten in gefährliches Terrain bringt, obwohl Wissenschaftler seit Jahrzehnten davor warnen. Also wird es nicht ausreichen, wenn wir viel erneuerbare Kapazität und viele grüne Jobs schaffen. Dabei prägen nur diese Themen die klimapolitische Diskussion.

Eigentlich muss sich die Gesellschaft eine viel schwierigere Frage stellen: Wie erreichen wir, dass große und teure Bestandteile der aktuellen Energieinfrastruktur Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vor dem Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer außer Betrieb genommen werden?

Kraftwerke können Milliarden Dollar kosten und ein halbes Jahrhundert lang genutzt werden. Laut der Studie sind Kohlekraftwerke in China und Indien – zwei der wichtigsten Treiber hinter der Zunahme der „absehbaren Emissionen“ von 2010 bis heute – im Durchschnitt erst 11 beziehungsweise 12 Jahre alt. Eine weitere Option zur Verringerung der Klimafolgen könnte darin liegen, bestehende Infrastruktur mit Systemen zum Auffangen von Emissionen aufzurüsten. Oder man könnte Emissionen mit Werkzeugen zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre ausgleichen. Doch beides ist teuer.

Ohne strenge staatliche Vorgaben wird es wahrscheinlich weder frühe Außerbetriebnahmen noch teure Umrüstungen geben. Helfen würden auch spürbare Kohlendioxid-Preise oder technologische Durchbrüche, durch die Energieunternehmen entweder direkt oder über andere wirtschaftlich Anreize in eine andere Richtung gedrängt werden.

„Die Branche sitzt auf Billionen von Dollar an Vermögenswerten, von denen sie sich nicht so einfach verabschieden möchte, also brauchen wir eine Möglichkeit, um das zu beschleunigen“, sagt Steven Davis, Associate Professor an der University of California in Irvine.

Zusammen mit Ken Caldeira, einem leitenden Wissenschaftler an der Carnegie University, war Davis an beiden Auflagen der Studie beteiligt. Der Hauptautor der neueren ist Dan Tang, ein Postdoktorand in der Forschungsgruppe von Davis.

Für ihre Studie werteten die Forscher globale Daten zu wichtigen Kohlendioxid-Quellen wie Kraftwerke, Fahrzeuge, Kessel und Haushaltsgeräte wie Öfen und Herde aus. Ohne Gegenmaßnahmen würden alle zusammen ab heute gerechnet noch 660 Milliarden Tonnen Treibhausgase ausstoßen. Das läge deutlich über den 580 Milliarden Tonnen, die gerade noch als vereinbar mit einer auf 1,5 Grad begrenzten Erwärmung gelten.

Unterdessen wird weltweit noch mehr Energie-Infrastruktur aufgebaut. Bereits absehbare Kraftwerke – geplant, genehmigt oder im Bau – würden noch einmal 200 Milliarden Tonnen mehr Kohlendioxid emittieren, so die Forscher. Die meisten dieser Anlagen entstehen in China und Indien, der Rest in Entwicklungsländern.

Zusammen mit den Emissionen bestehender Systeme würden sich so bis zu 850 Milliarden Tonnen Emissionen ergeben. Dies kommt dem errechneten Kohlendioxid-Budget für maximal 2 Grad Erderwärmung schon nah: Es soll zwischen 1170 Milliarden und 1500 Milliarden Tonnen liegen.

Ein winziger Lichtblick dabei ist, dass wir noch nicht so viel Energie-Infrastruktur gebaut oder geplant haben, dass auch die gefährlichere Schwelle von 2 Grad überschritten wird (es sei denn, die neuere Infrastruktur wird intensiver oder länger genutzt als in der Vergangenheit). Doch leider gibt es bislang wenige Anzeichen dafür, dass Staaten und insbesondere Entwicklungsländer den Bau neuer Fossilkraftwerke plötzlich einstellen werden, wenn die aktuellen Pläne realisiert sind.

[Korrektur, 10.7.2019, 10 Uhr: Angaben zum emittierten Kohlendioxid von geplanten, genehmigten oder im Bau befindlichen Kraftwerken wurden von "Tonnen" in "Milliarden Tonnen" korrigiert. jle]

(sma)