WeChat: Ein Experiment menschlicher Freigiebigkeit

Die chinesische Kommunikationsplattform testet in einem großen Versuch, wie altruistisch ihre Nutzer sind.

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WeChat

(Bild: dpa, Jens Kalaene)

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2014 startete der chinesische Internetriese WeChat eine ungewöhnliche App. Mit "Red Packet" (rotes Paket) erlaubt sie Nutzern, Geld an eine Gruppe von Freunden oder Kontakten zu senden. Das Konzept basiert auf der chinesischen Tradition namens "Hongbao", bei der Menschen Freunden oder Verwandten Geld in einem roten Umschlag als Geschenk reichen.

WeChat verwendet dabei allerdings einen interessanten Ansatz: Das Geld wird nicht gleich zwischen den Empfängern verteilt. Stattdessen erfolgt die Ausgabe per Zufall. Sobald die Verteilung durchgeführt ist, offenbart WeChat, wer wie viel Geld erhalten hat und die Person mit dem größten Anteil wird zum "glücklichen Gewinner dieser Ziehung" erklärt.

Das wiederum machte es möglich, eine ungewöhnliche soziologische Studie durchzuführen. Empfänger, die bei "Red Packet" die Gewinner sind, schicken oft einen Teil der Summe an andere Freunde – des guten Karma wegen. Doch über dieses Verhalten ist wenig bekannt. So ist unklar, warum es wirklich erfolgt und wie andere Leute darauf reagieren. Eine mögliche Frage: Geben Leute, die mehr erhalten, auch mehr an andere?

Yuan Yuan und Kollegen vom Massachusetts Institute of Technology wollen all dies nun im Rahmen einer Studie ermitteln. Sie haben dazu das Verhalten von 3,4 Millionen Nutzern untersucht, die den WeChat-Dienst verwenden. Dabei geht es um fundamentale Fragestellungen der Freigiebigkeit einer Gesellschaft. "Unser natürliches Experiment wird durch die Zufälligkeit des Mechanismus ermöglicht, den WeChat verwendet", so die Forscher.

Das Phänomen, Geld abzugeben, ist Teil eines breiteren gesellschaftlichen Verhaltens, das Teil der menschlichen Evolution sein dürfte. Verhaltensbiologen fragen sich seit Jahren, warum Lebewesen nicht immer selbstsüchtig handeln. Kooperation scheint ihre Vorteile zu haben.

Sie hilft auch gesamtgesellschaftlich: "Kratzt Du mir den Rücken, kratze ich Dir Deinen." Allerdings passt das WeChat-Phänomen dazu weniger, schließlich wissen die Nutzer nicht, ob sie jemals einen Vorteil davon haben – und Gewinne quasi zufällig weitergereicht werden. Erhoffen sich die Mitspieler, dass dies irgendwann positiv auf sie zurückfällt?

Bislang ist es schwierig, dies zu analysieren, weil schlicht Daten fehlten. Entsprechend waren die wenigen Studien sehr klein und eher künstlich, zudem oft mit Studenten besetzt, die nicht die Gesamtgesellschaft repräsentieren.

Die "Red Packet"-App ist hier anders, denn sie generiert enorme Datenmengen, seit sie 2015 eingeführt wurde. 36 Millionen der virtuellen roten Pakete wurden verteilt, in einem Wert von gut 24 Millionen US-Dollar.

Die zentrale Frage dabei ist: Ist das Verhalten viral, steckt die Freigiebigkeit quasi an? Dem scheint so zu sein. "Unser Ergebnis zeigt, dass die Empfänger von Geldern ungefähr 10,34 Prozent der Summe weitergeben", so Yuan Yuan und Co. Zudem sind die besonders glücklichen Gewinner auch besonders freigiebig. Bei dieser Gruppe steigt die Wahrscheinlichkeit, etwas abzugeben, um das Anderthalbfache. Warum das so ist, bleibt jedoch unklar. Die MIT-Forscher spekulieren, dass es sozialen Druck gibt, einen Teil des Preisgeldes abzugeben, weil WeChat ja schließlich in der App zeigt, wer der "Gewinner" ist.

Eine weitere interessante Frage ist, warum Nutzer überhaupt so agieren. Eine Möglichkeit ist, dass sie glauben, das so ihre Chancen steigen, selbst von solchem Verhalten zu profitieren. Und tatsächlich könnte das der Ausgangspunkt einer Kettenreaktion sein, die schließlich wieder zum ersten Verteiler des Geldes führt. Dem ist allerdings offenbar nicht der Fall: Nur rund drei Prozent der Summe aus der "Red Packet"-App fließt an einen Spender zurück. Es handelt sich also durchaus um eine altruistische Maßnahme.

Der nächste Schritt ist nun, herauszufinden, ob dieser Ansatz auch in anderen Bereichen funktioniert – und wie "chinesisch" er ist. In westlichen Social Networks fehlt eine entsprechende Funktionalität noch – obwohl sie durchaus sinnvoll sein könnte.

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