Facebooks KI-Chefwissenschaftler glaubt an vernunftbegabte Computer

Yann LeCun hofft, dass künftige Algorithmen lernen können, ohne Menschen zu benötigen – und dadurch eine Revolution einleiten.

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Facebooks KI-Chefwissenschaftler glaubt an vernünftige KI

(Bild: Facebook)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Karen Hao
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Mit sechs Monaten ist es einem Baby egal, wenn ein Spielzeug-LKW von einer Plattform herunterfährt und plötzlich in der Luft zu schweben scheint. Wiederholt man dieses Experiment hingegen zwei bis drei Monate später, erkennt das Kleine sofort, dass da etwas nicht stimmt: Es hat das Konzept der Schwerkraft verinnerlicht.

"Niemand hat dem Baby erzählt, dass Objekte auf den Boden fallen müssen", erzählt Yann LeCun, Facebooks Chefwissenschaftler im Bereich Künstliche Intelligenz und Professor an der New York University, bei einer Veranstaltung, die die Industriegruppierung Association for Computing Machinery organisiert hat. Und weil Babys ihren Körper noch nicht besonders gut kontrollieren können, "lernen sie eben viel von der Welt durch Beobachtung". Seine Theorie könnte wichtige Auswirkungen auf sein Forschungsfeld haben: Er und andere Wissenschaftler wollen KI künftig grenzenlos machen.

Deep Learning, also jene KI-Algorithmen, die die jüngste Revolution auf dem Gebiet vorangetrieben haben, sorgten dafür, dass Maschinen Dinge heute viel besser wahrnehmen können als noch zuvor – etwa Bilder und Videos. Was ihnen jedoch noch fehlt, ist die typisch menschliche Vernunftbegabung, ein grundsätzliches Konzept der Realität. Mit anderen Worten: Maschinen verstehen die Welt um sie herum nicht wirklich, was es ihnen nicht sinnvoll erlaubt, mit ihr umzugehen. Neue Verfahren könnten dabei helfen, diese Einschränkungen zu umgehen – etwa, indem man einer Maschine eine Art Arbeitsspeicher gibt, über den sie grundlegende Fakten und Prinzipien erlernen oder auf diese schließen können. Dieses Wissen kann sich dann ansammeln und für künftige Interaktionen verwendet werden.

LeCun glaubt allerdings, dass dies nur ein Teil des Puzzlespiels ist. "Natürlich vergessen wir dabei etwas." Ein Baby könne ein Verständnis für einen Elefanten entwickeln, wenn es sich zwei Bilder ansieht, wohingegen ein Deep-Learning-Algorithmus Tausende benötigt, wenn nicht sogar Millionen. Ein Teenager kann in 20 Stunden lernen, sicher mit dem Auto zu fahren und Unfälle zu vermeiden, ohne in diese verwickelt zu sein. Reinforcement-Learning-Algorithmen, ein besonders beliebtes Deep-Learning-Verfahren, sind hier anders: Sie gehen viele Millionen Versuche durch, bevor sie die richtigen Erkenntnisse erhalten – und viele davon gehen völlig daneben.

LeCun glaubt daher, dass ein bislang unterschätzter Deep-Learning-Prozess Abhilfe schaffen kann. Es nennt sich "unüberwachtes Lernen" (Unsupervised Learning). Während beobachtetes Lernen (Supervised Learning) und Reinforcement Learning ein Ziel mittels menschlichem Input erreichen, benötigt unüberwachtes Lernen dies nicht – es zieht Muster aus bestehendes Daten ohne Hilfe von Außen. (LeCun bezeichnet die Technik am liebsten als "Self-Supervised Learning", weil es einen Teil der Trainingsdaten verwendet, um den Rest der Trainingsdaten vorherzusagen.)

In den letzten Jahren werden solche Algorithmen besonders in der Verarbeitung natürlicher Sprache verwendet, weil sie die Fähigkeit haben, Beziehungen zwischen Milliarden von Worten zu finden. Dies ist sinnvoll für Textvorhersagesysteme wie etwa die "Autocomplete"-Funktion bei Gmail oder die Erzeugung künstlicher Prosa. Supervised Learning und Reinforcement Learning bilden jedoch die Mehrzahl heutigier KI-Anwendungen in der Forschung.

LeCun findet, dass sich dies umkehren sollte. "Alles, was wir als Menschen lernen – jedenfalls fast alles –, ergibt sich durch unüberwachtes Lernen und nur ein geringer Anteil arbeitet mit Reinforcment Learning." Maschinellles Lernen müsse dies abbilden.

Doch was heißt das in der Praxis? Die Forscher sollten sich darauf konzentrieren, zeitliche Vorhersagen zu treffen. Mit anderen Worten: Große neuronale Netzwerke sollen erkennen können, was die zweite Hälfte eines Videos ist, wenn ihnen nur die erste Hälfte vorliegt. Zwar lässt sich nicht alles in der Welt vorhersagen, doch dies ist die grundsätzliche Fähigkeit hinter dem Wissen eines Kleinkinds, dass ein Spielzeug-LKW jetzt fallen müsste. "Das ist eine Art Simulation, die da im Körper abläuft", sagt LeCun.

Sobald Verfahren entwickelt werden, die diese Fähigkeiten stabil machen, könnte das auch ganz praktische Auswirkungen haben. "Es wäre sinnvoll, eine Videovorhersage im Kontext von autonomen Fahrzeugen vorzunehmen, wenn man wissen möchte, wohin sich andere Autos auf der Straße bewegen werden."

Schließlich wird das Unsupervised Learning Maschinen helfen, ein Modell der Welt zu schaffen, mit der eine Vorhersage zum zukünftigen Status eben dieser Welt möglich ist. Das ist eine große Herausforderung, würde KI aber ganz neue Fähigkeiten mitgeben. "Die nächste Revolution der KI wird unüberwacht sein."

(bsc)