Hilfe für Herzschwäche

Herzinsuffizienz ist eine der Haupttodesursachen in Deutschland. Nun zeichnet sich eine Heilung ab. Klinische Studien am Menschen stehen kurz bevor.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Herzschlag

(Bild: Transmedics)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Edda Grabar
Inhaltsverzeichnis

Herzschwäche ist ein sehr harmloser Ausdruck für eine lebensbedrohliche Erkrankung: Das Herz pumpt nicht mehr richtig. Was mit Atemlosigkeit beginnt, endet für jeden Zweiten innerhalb von fünf Jahren mit dem Tod. Laut Statistischem Bundesamt starben 2016 rund 40000 Menschen in Deutschland an der Schwäche ihres Herzens. Damit war es die vierthäufigste Todesursache. Pillen verlangsamen den Prozess. Mehr aber nicht.

Bis jetzt: Gleich mehrere Biotech-Start-ups verfolgen einen neuen Ansatz, um die Wurzel des Leidens anzugehen. Mit dem Ansatz könne man "das Fortschreiten der Herzschwäche verhindern und im Fall von Herzinsuffizienzen nach einem Herzinfarkt sogar zurückbauen", sagt Thomas Thum, Gründer des deutschen Start-ups Cardior Pharmaceuticals.

Grund für die Hoffnung sind sogenannte microRNAs, eine recht neue Entdeckung der Wissenschaft. Sie liegen auf den 98 Prozent des menschlichen Erbguts, die man bis in die 80er-Jahre noch als Nonsense – ohne Sinn – abqualifizierte. Ein Irrtum, denn microRNAs halten den Stoffwechsel gesunder Zellen im Gleichgewicht: Sie regulieren, ob aus der Abschrift der Erbinformation tatsächlich Proteine gebaut werden. Mit microRNAs betritt die Medizinforschung also Neuland, mit all den Risiken – und vor allem Chancen –, die völlig neue Behandlungswege mit sich bringen.

TR 8/2019

Gerät das Regelungssystem aus dem Takt, bilden Zellen zu viele microRNAs, und Krankheiten können entstehen. "Das geschieht vor allem, wenn Zellen unter Stress stehen", sagt Thum, "etwa nach einem Herzinfarkt oder infolge einer Wunde." Die Regulatoren aktivieren Stoffwechselpfade in den Zellen, die etwa zur Bildung von Tumoren, zur Versteifung von Geweben und eben zu Herzerkrankungen führen. So veranlassen sie im Fall der Herzschwäche, dass sich die Muskelzellen vergrößern und an Kontraktionsfähigkeit, also Schlagkraft, verlieren.

Die schwindende Kraft der Pumpe kompensiert das Herz, indem es versucht, das gepumpte Blutvolumen zu vergrößern. Die Folge ist ein Teufelskreis: Das Herz wächst und überfordert sich damit zunehmend selbst. "Unser Ziel ist, das pathologische Wachstum des Herzens durch neue Medikamente zu limitieren", sagt Thum. Was liegt also näher, als die krankheitsauslösenden microRNAs mit Hemmstoffen abzufangen?

Das Prinzip ist vergleichsweise einfach: Die kleinen Abfangjäger besitzen spezifische Bindungsstellen, mit denen sie "ihre" microRNA über einen gewissen Zeitraum fest an sich binden. Das Problem liegt in der Vielfalt der kleinen Botenstoffe. "Etwa 2000 microRNAs hat man bislang in verschiedenen Zellen entdeckt", sagt Stefanie Dimmeler, Leiterin des Instituts für Kardiovaskuläre Regeneration in Frankfurt. "Allein im Herzen wissen wir von mehr als 20 microRNAs, die teils auf identischen Signalwegen zur Schwächung oder Erkrankung des Herzens führen", sagt Dimmeler. So kommt man zwangsläufig zu der Frage, auf welchen der Botenstoffe man sich konzentriert.

Das US-Start-up Miragen setzt auf die Hemmung von microRNA-92. Der Grund: Das schützt die Gefäße und hilft darüber, das Herz zu reparieren, sagt Dimmeler, die im wissenschaftlichen Beirat von Miragen sitzt. Diese Schutzfunktion für Adern und Venen macht den Hemmstoff auch zu einem Kandidaten, um etwa Wundheilungsprozesse zu unterstützen. Und je mehr Krankheitsbilder ein Wirkstoff abdeckt, desto größer ist der mögliche Umsatz. Klinische Studien zu Herzerkrankungen und Komplikationen bei Beschneidungen laufen bereits.

Miragen nutzt dabei ein prinzipielles Phänomen von MicroRNAs. Sie wirken meist nicht nur in einem Gewebe. Allerdings kann diese Breite auch zum medizinischen Problem werden. Denn eine microRNA, die im Herz Schaltweg A auslöst, kann etwa in der Leber Schaltweg B induzieren. Die Folgen sind bislang nicht abzusehen. Die microRNA-Forscherin Eva van Rooij vom Hubrecht Institute in Utrecht weist in einer Publikation von 2017 auf eine weitere Besonderheit bei einem von ihr untersuchten Hemmstoff hin: Die Wirkung ist sehr abhängig vom Krankheitszustand der Zelle, schreibt sie. Also scheint auch die Dosierung der Regulator-Moleküle nicht unbedingt den bekannten pharmakologischen Regeln zu folgen. Dimmeler sagt allerdings, man habe sehr wenige Nebenwirkungen bei Miragens Wirkstoff beobachtet.

Der deutsche Konkurrent Cardior setzt auf einen anderen Weg: Man blockiert den Botenstoff mit der Nummer 132 (microRNA-132). "Er greift in drei Signalwege im Herz ein und verhindert, dass sich das Herz regenerieren kann", sagt Thum. Zudem komme er vor allem im Herzen vor und werde im Krankheitsfall dort in besonders hohen Mengen gebildet, fügt Claudia Ulbrich an, Geschäftsführerin von Cardior. Das reduziere die Gefahr für Nebenwirkungen. In Tierversuchen jedenfalls habe man keine Probleme beobachtet. In wenigen Wochen sollen die ersten klinischen Studien am Menschen beginnen.

()