Wirtschaft: Der neue Plan

Lange galten freier Markt und dynamischer Wettbewerb als alternativlose Garanten für Wachstum und Wohlstand. Doch die Zweifel daran mehren sich. Ausgerechnet Computer und Big Data könnten nun den Weg zu einer radikalen gesellschaftlichen Alternative ebnen.

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Der neue Plan

(Bild: Shutterstock)

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Auf der Bühne erreichten die ersten Security-Leute Amistad, packten sie an Armen und Beinen, versuchten sie von dem Pult fortzuzerren, an das sie sich klammerte. Einer der Transparenthalter fiel, das Tuch verknitterte und flatterte zu Boden, als auch ein zweiter Halter überwältigt wurde. "Herbert Thompson kann nicht mehr vortragen, weil er ermordet wurde", rief sie.
(Auszug aus "Gier" von Marc Elsberg)

Thompson musste sterben, weil er die falschen Ideen hatte. Der Ökonom, der den mathematischen Beweis fand, dass Zusammenarbeit mehr bringt als Konkurrenz, der mit seinen Theorien den Kapitalismus erschüttert hätte, wird von skrupellosen Geschäftsleuten ermordet. Aktivisten stürmen eine Wirtschaftskonferenz, weil sie wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Zugegeben, was Marc Elsberg in seinem neuen Thriller "Gier" schildert, ist genretypisch dick aufgetragen. Aber mal von der Verschwörung zum Mord abgesehen, in der Realität ist der Geist des Werks längst aus der Flasche: Immer öfter diskutieren Wissenschaftler und Aktivisten ernsthaft über Alternativen zur jetzigen Form der Marktwirtschaft – und sie führen gute Gründe an, warum die möglich sein sollen.

Denn die Schwierigkeiten des heutigen Wirtschaftssystems, mit den drängendsten Problemen der Menschheit umzugehen, sind offenkundig: Der Klimawandel schreitet voran, immer noch gehören Infektionskrankheiten zu den weltweit häufigsten Todesursachen, die soziale Ungleichheit wächst. "Ob nun in Frankreich Gelbwesten auf die Straße gehen oder wie bei uns bizarre Populisten in die Regierung gewählt werden – das sind alles Zeichen dafür, dass die Menschen mit den politischen Lösungen, die ihnen angeboten werden, nicht wirklich zufrieden sind", sagt Elsberg. "Und sie haben zumindest zum Teil recht", ergänzt er. "Da können ein paar den Beitrag, den sie eigentlich leisten müssten, in irgendwelche Steueroasen verschieben, während Schulen bröckeln und öffentliche Schwimmbäder austrocknen. Der kollektive Wohlstand gerät in Gefahr, zugunsten einiger weniger, die das System ausnutzen."

Nun ist Elsberg Buchautor und kein Wissenschaftler. Aber seine Klage über ein dysfunktionales Wirtschaftssystem teilen mittlerweile mehr und mehr Experten vom Fach. Der Ökonom Michal Rozworski und der Journalist Leigh Phillips kritisieren in ihrem Buch "The People’s Republic of Walmart" die "Irrationalität" und den "Mangel an Demokratie" im Kapitalismus. "Wenn wir wissen, dass etwas schädlich ist, wird es produziert, solange die Ware oder Dienstleistung rentabel ist. Aber wenn es etwas gibt, von dem wir wissen, dass es von Vorteil ist, wird es nicht produziert, solange es nicht rentabel genug ist", argumentieren sie. Als Beispiel dafür führen sie Antibiotika an. Obwohl neue Bakterienkiller dringend nötig wären, wird kaum an ihnen geforscht. "Verglichen mit Medikamenten gegen chronische Krankheiten, die Patienten möglicherweise für den Rest ihres Lebens jeden Tag einnehmen müssen, ist das nicht sonderlich profitabel", schreiben die beiden Autoren.

Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU), argumentiert ähnlich. Sie hält die These, dass alles so bleiben kann, wie es ist, für "wissenschaftlich nicht haltbar – gerade wenn man ökonomisch denkt". Das derzeitige Wirtschaftsmodell gehe von einer grundsätzlichen Substituierbarkeit aus. "Solange wir neue Technologien haben, die uns das zur Verfügung stellen, was wir brauchen, können wir natürliche Grundlagen einfach ruinieren. Das sind Instrumente, die sind nicht nur unökonomisch, sondern mittlerweile richtig gefährlich. Das braucht dringend ein Korrektiv." Statt Marktversagen zu konstatieren und zu versuchen, an den Bedingungen dieser Märkte zu drehen, müsse Politik "überlegen, ob es nicht andere, gute Governance-Instrumente gibt", fordert Göpel.

(wst)