5G-Campusnetze vor dem Durchbruch

Die Bundesnetzagentur will bald Funkfrequenzen für den Betrieb auf Werksgeländen freigeben. Das bringt Bewegung in die Mobilfunkbranche, denn Firmen können so ihre Netze selbst bauen.

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Telekom startet öffentliches 5G-Net

(Bild: dpa, Oliver Berg)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Dusan Zivadinovic
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Firmen, die ihre Produktion per Funk optimieren wollen, sind nicht mehr ausschließlich auf Angebote von Mobilfunkunternehmen angewiesen, sondern können solche Netze auf ihrem Gelände bald selbst aufbauen. Dafür hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) Frequenzen von 3,7 bis 3,8 GHz reserviert (z. B. für LTE oder 5G). Sie teilt auf Antrag je 10 MHz zu; in begründeten Fällen auch mehr. Die Blöcke sind etwa zur Maschinenvernetzung gedacht, nicht aber für öffentliche Telekommunikationsdienste.

Die BNetzA hat einen Entwurf der Rahmenbedingungen veröffentlicht. Definitive Richtlinien inklusive Gebührenregelung sollen zum Start der Vergabe im zweiten Halbjahr 2019 folgen.

Damit kommt die Agentur Unternehmen entgegen, die in der Verzahnung von Produktionsprozessen Optimierungspotenzial sehen. Die Netzbetreiber Telekom, Telefónica und Vodafone waren bisher nicht immer flink genug, um solche Nachfragen attraktiv zu beantworten. So lohnte die Funkversorgung in vielen Werkshallen nicht und blieb zu schwach für Produktionszwecke. Mit 5G kommt hinzu, dass damit auch sehr kurze Latenzen und zuverlässige Übertragungen möglich werden. So können sich Firmen mit separaten Frequenzen und Hardware eindecken und ihre Funkabdeckung für die erforderliche Dienstgüte im Prinzip selbst maßschneidern. Weil sie gesonderte Frequenzen nutzen, werden ihre Dienste nicht durch den öffentlichen Mobilfunkbetrieb ausgebremst.

Beim Einsatz der 5G-Technik in der Industrie bildet die funkgestützte Datenerfassung den Ausgangspunkt für viele Optimierungen.

Das kann freilich längst nicht jede Firma einfach so – Mobilfunk-Know-how ist selten. Deshalb will das Land Niedersachen den Aufbau von Campusnetzen fördern. Laut Stefan Muhle, Staatssekretär für Digitalisierung, hat das Wirtschaftsministerium dafür 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Muhle hat dazu niedersächsische Unternehmen und Mobilfunkfachleute Anfang Juli im Rahmen der schon zweiten 5G-Anwenderkonferenz auf dem Messegelände in Hannover zusammengebracht.

„Die Fördermittelabwicklung soll die NBank übernehmen. Dort werden auch die Anträge gestellt“, erklärte Melhem Daoud, Referent beim niedersächsischen Wirtschaftsministerium, auf Anfrage. Über Einzelheiten will das Ministerium spätestens ab dem Start der Frequenzvergabe durch die BnetzA informieren. Der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) drängelt derweil schon und fordert die BNetzA auf, Freqenzen für lokale Nutzungen zeitnah zuzuteilen.

Campus-Netze kann man allerdings auch mit öffentlichen Mobilfunkfrequenzen betreiben. Das geht, wenn Netzbetreiber schlüsselfertige Lösungen bei den Firmen installieren. Sie setzen dafür eigene Spektrum-Segmente ein, reservieren aber auf dem Werksgelände per Network-Slicing Ressourcen für den Bedarf der Firma. So wird das Werksnetz nicht durch öffentliche Surfer gebremst.

Auf der 5G-Anwenderkonferenz stellten Vertreter vom Breitbandbüro des Bundes, von Nokia, der Telekom und der Messe AG den rund 100 Industrievertretern Anwendungsmöglichkeiten auf Basis der aktuellen 4G- und kommenden 5G-Technik vor. „Zu den Unternehmen, für die die Technik nützlich sein kann, zählen beispielsweise große Lagerhäuser oder Gelände mit vielen Sensoren oder Datengebern“, erklärte Christian Zieske, stellvertretender Geschäftsführer, Breitbandbüro des Bundes.

Und wenn eine Firma ihren kompletten Warenfluss ab dem Wareneingang bis zum Abtransport des fertigen Produkts mittels ihres Campusnetzes erfasst, kann sie voneinander abhängige Abläufe besser abstimmen und zeitliche Lücken schließen – also kostengünstiger oder mehr in der gleichen Zeit produzieren.

Weitere Beispiele betreffen Produktionen, in denen Steuersignale verzugs- und fehlerfrei übermittelt werden müssen, also etwa die Roboter- und Maschinensteuerung. Auch lässt sich Aufwand sparen, wenn die Fertigung für neue Produkte angepasst werden muss – Kabel müssten dafür anders als die Funkversorgung oft neu verlegt werden, was Zeit kostet.

5G-Geräte für die Industrie fehlen jedoch noch; erste Exemplare, darunter Modems oder Gateways, kann man ab 2022 erwarten. Als Ersatz für „Industrial Ethernet“ versprechen sie zum Beispiel besonders zuverlässige Übertragung oder sehr kurze Latenzen (1 bis 2 Millisekunden).

Man kann allerdings schon jetzt mit 4G starten und später die Sendeteile auf 5G aufrüsten. Das kostet zwar mehr, kann sich aber je nach Ausgangslage einer Firma rentieren. Denn in die Kalkulation sollte man auch einbeziehen, dass die BNetzA Nutzungsrechte für Frequenzen nur befristet vergibt und so auch im Falle der Campus-Frequenzen – je später man anfängt, desto weniger hat man möglicherweise davon.

Die Frist soll vermutlich auf 10 Jahre beschränkt sein, vorerst aber maximal bis zum 31. Dezember 2040. Prinzipiell können die Nutzungsrechte bei erwiesenem Bedarf immer wieder verlängert werden.

Konkrete Preise nannten die Referenten nicht. Für eine Minimalkonfiguration von Nokia, bestehend aus einer Basis und einer einzigen Antenne, müssten Firmen aktuell die Kosten für ein Mittelklasseauto veranschlagen.

Mit einer einzigen Antenne wird freilich kaum ein Unternehmen auskommen. Beispielsweise hat Vodafone beim Elektroautohersteller e.Go eine 8500 Quadratmeter große Produktionshalle mit sechs Mobilfunkzellen und 36 Sendern abgedeckt. Hinzu kommen Kosten für die Netzplanung, den Aufbau der Infrastruktur und die Wartung. Firmen, die das Know-how nicht aufbauen möchten, können von Netzbetreibern und Zulieferern wie Ericsson oder Nokia schlüsselfertige Lösungen beziehen.

Zu den Anbietern gehören aber auch kleinere Spezialisten wie MECSware. Die Firma hat einen eigenen Mobile Edge Cloud Server (MECS) für den schnellen Aufbau von Campusnetzen entwickelt und beliefert nach eigenen Angaben Industrieunternehmen, Systemintegratoren und Netzbetreiber. Weitere Anbieter dürften bald hinzukommen; laut dem Breko auch viele in dem Verband organisierte Festnetzbetreiber.

Wie 5G-Anwendungen konkret aussehen könnten, will die Messe AG bald einem breiten Publikum demonstrieren. Als erste Messegesellschaft der Welt will das Unternehmen sein Ausstellungsgelände flächendeckend mit 5G abdecken. Das soll ab dem Sommer 2020 zunächst Ausstellern zugute kommen. Weil die rund 30 Hallen und das etwa 10 Kilometer lange Straßennetz einem Stadtviertel ähneln, will es die Messe AG zusätzlich für 5G-Feldversuche aus Industrie, Mobilität, Logistik, Smart City oder Gesundheit öffnen.

Die Messe AG stellt sich etwa Verkehrsleitsysteme und vernetzte Versorgungskonzepte vor. Auch an Tests mit „intelligenten“ Mülltonnen habe man gedacht, also an Sensoren, die dem Leitstand volle Mülleimer melden, erklärte Wolfram Feuerhake, Projektleitung und Leitung Finanzen, Deutsche Messe AG.

Einen Vorgeschmack auf 5G will die Messe AG mit dem Kongress „5G CMM Expo“ im Oktober 2019 geben. Diesen möchte das Unternehmen ab 2020 zur jährlichen „Leitveranstaltung rund um die Schlüsseltechnologie 5G“ aufbauen. CMM steht für Connected Mobile Machines.

Dieser Artikel stammt aus c't 16/2019. (dz)