Der Futurist: Lebenslänglich

Was wäre, wenn wir 250 Jahre alt werden könnten?

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Der Futurist: Lebenslänglich

(Bild: Mario Wagner)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jens Lubbadeh

"Ich weiß nicht, was ich tun soll." David nahm einen Schluck aus seinem Glas. Wodka Tonic. Andi hatte ihm den Drink widerwillig gemixt: "Du weißt, dass Alkohol die Wirkung der Pille mindert."

"Na und? Dann werde ich eben nur 248 Jahre alt. Ich muss raus. Raus aus dieser Ehe. Aus diesem Job. Aus diesem Leben."

"Quatsch! Du hast einfach eine Midlife-Crisis."

"Zum dritten Mal? Ich hatte gehofft, mit 151 ist damit mal Schluss."

"Du hast schon immer Schleifen gedreht. Du bist in der Schule sitzen geblieben, hast nach beinahe jedem Studium die Abschlussprüfung wiederholt und sogar zweimal die gleiche Frau geheiratet", sagte Andi.

David schnaubte. "Du bist wirklich eine große Hilfe."

Der Futurist

(Bild: 

Mario Wagner

)

"Was wäre, wenn ...": TR-Autor Jens Lubbadeh und die Redaktion lassen in der Science Fiction-Rubrik der Kreativität ihren freien Lauf und denken technologische Entwicklungen in kurzen Storys weiter.

"David, wir kennen uns jetzt schon seit...wie lange eigentlich schon?"

"Seit 140 Jahren."

"Stimmt."

"Wir sind zusammen eingeschult worden und gemeinsam durch die Führerscheinprüfung gerasselt. Wie alt waren wir da?"

"35", sagte David. "Das ist das Alter, in dem man auf Pille volljährig ist. Mein Gott, habe ich es gehasst, diese ewige Minderjährigkeit ohne Alkohol, Auto und Musikclubs."

"Jaja, wenn sie einem als Baby die Pille geben, fragt niemand, ob man als Nebenwirkung dreimal länger in der Pubertät stecken will. Aber lassen wir das, ist ja schon echt lange her. David, was willst du nach der Trennung machen?"

"Noch mal studieren, Medizin hatte ich noch nicht."

"Toll. Und wie willst du das finanzieren?"

"BAföG. Dreimal steht mir das während eines Lebens zu."

"BAföG?", rief Andi entgeistert. "Willst du etwa auch wieder in eine WG ziehen?"

David zuckte mit den Schultern. "Warum nicht?"

Zwei Jahre später konnte David sich gar nicht mehr vorstellen, wie er so viele Jahre seines Lebens als Anwalt, als Manager und vor allem mit Maria verschwendet hatte. Jetzt studierte er Medizin, wohnte in einer WG und hatte seine Freiheit wieder. Und: 100 Jahre lagen noch vor ihm. Zeit genug für ein gutes Leben.

Es klingelte. "Ich mach auf!", rief David in den Flur.

Als er die Tür öffnete, stand vor ihm eine Frau mit langen roten Haaren. Sie trug einen Hut und einen alten Trenchcoat.

David wollte etwas sagen, aber er konnte nicht sprechen. Er konnte sie nur anstarren.

"Dina. Ich bin hier wegen des WG-Zimmers."

Sie streckte ihre Hand aus.

Ihr Alter war unmöglich zu schätzen: 35? 135? 235? Es spielte keine Rolle. Er hatte sich gerade in sie verliebt.

Als 37 Jahre später ihre gemeinsame Zeit auslief – Dina war 233 und er 190 – nahm David allen Mut zusammen, um einen großen Wunsch zu äußern.

"Dina, ich möchte ein Kind mit dir."

Sie sagte nichts. David hatte mit drei Frauen bereits fünf Kinder, Dina die gleiche Zahl mit zwei Männern. Jeder von ihnen hatte etwa 75 Jahre seines Lebens Kinder großgezogen, allein gut 20 Jahre davon Windeln gewechselt. Hatte Dina genug?

"Habe ich was Falsches gesagt?", fragte David, als sie nichts erwiderte.

Sie schüttelte den Kopf. "Nein, alles in Ordnung. Aber nur unter einer Bedingung: Wir werden dem Kind nicht die Pille geben. Ich möchte nicht sieben meiner verbleibenden 17 Jahre Windeln wechseln und sterben, wenn das Kind noch nicht einmal in der Pubertät ist."

"Kann ich verstehen", seufzte David. "Aber alle nehmen die Pille. Überleg mal: Unser Kind wird 18, wenn seine früheren Spielkameraden auf dem Stand von Siebenjährigen sind."

(jlu)