DeepMind: Googles Künstliche Intelligenz warnt vor Nierenversagen

Bis zu 48 Stunden früher als traditionelle Methoden soll ein KI-System ein akutes Nierenversagen vorhersagen können.

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Künstliche Intelligenz, KI

(Bild: Gerd Altmann, gemeinfrei)

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Das zur Google-Gruppe gehörende britische Unternehmen DeepMind sorgt erneut für Schlagzeilen. Akutes Nierenversagen gilt als häufige Komplikation bei Patienten im Krankenhaus, die oft zumindest den Einsatz von Dialyse nötig macht. Forscher von DeepMind haben jetzt im Fachjournal "Nature" Ergebnisse zu einem automatisierten Vorhersage-Instrument präsentiert, wonach ein von ihnen entwickeltes System für Künstliche Intelligenz (KI) vor einem solchen Problem bis zu 48 Stunden früher als herkömmliche Verfahren warnen können soll.

Laut der Publikation in der Fachzeitschrift nature gelingt es mit dem Werkzeug, in einem Zeitraum von bis zu zwei Tagen knapp 56 Prozent der stationären Fälle mit akutem Nierenversagen vorherzusagen. Mit einer Genauigkeit von knapp 90 Prozent verweist die KI demnach zeitgleich auf Patienten, die eine Dialyse benötigen.

Das System besteht aus einem neuronalen Netz, das die Entwickler mithilfe von Deep Learning auf der Basis von elektronischen Gesundheitsdaten von über 700.000 US-amerikanischen Patienten trainierten. Eingeschlossen waren sowohl stationär als auch ambulant behandelte Fälle aus Anlaufstellen des Gesundheitsprogramms des Veteranenministeriums der USA. Dem geschuldet ist eine der Hauptschwächen der Studie: Nur knapp über sechs Prozent der eingeschlossenen Kranken sind Frauen.

Bei der KI kommen zudem auf jedes richtig vorhergesagte Nierenversagen zwei falsche Alarme. Ärzte oder Krankenschwestern könnte dies dazu verleiten, einschlägige Hinweise zu missachten. Andererseits würde eine frühzeitige Warnung, dass sich die Lage eines Patienten verschlechtert, dem Personal generell mehr Zeit geben, ihn zu behandeln oder weitere Tests durchzuführen.

DeepMind hat in einem parallelen Blogeintrag weitere Neuheiten rund um Künstliche Intelligenz im Gesundheitssektor veröffentlicht und auf Fortschritte der App "Streams" für Ärzte zur Überwachung von Patienten verwiesen. Die Anwendung, in die eine Vorhersage von Nierenerkrankungen eingebunden ist, hat bereits mehrfach zu Kritik geführt. Anfang 2016 kündigte die Firma eine Kooperation mit dem britischen Royal Free NHS Foundation Trust an. Dieser Treuhandstiftung des National Health Services (NHS) gehören mehrere Krankenhäuser in Großbritannien an. Erst später kam ans Licht, dass DeepMind dabei Zugriff auf massive Datenbestände von Patienten erhielt und nur kleine Zugeständnisse zu deren Schutz machte.

Prinzipiell halten deutsche Experten den vorgestellten KI-Ansatz trotz der offensichtlichen Begrenzungen für vielversprechend, führen aber auch zahlreiche Bedenken ins Feld. "Das in der Studie entwickelte Vorhersagesystem könnte in Zukunft in Krankenhäusern implementiert werden, um Risikopatienten frühzeitiger zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten zu können", zeigt sich Kai Schmidt-Ott, Professor für Nephrologie an der Charité Berlin, zuversichtlich. Ob ein solcher Ansatz auch klinisch sinnvoll sei, hätten die Entwickler bisher aber nicht untersucht. Dies müssten Folgestudien klären.

"Generell ist der Einsatz einer KI für die Vorhersage von akutem Nierenversagen sehr sinnvoll", meint der Vizedirektor des Innovation Center Computer Assisted Surgery (ICCAS) an der Universität Leipzig, Thomas Neumuth. Allerdings sei die existierende IT-Infrastruktur in vielen deutschen Kliniken dafür bisher gar nicht geeignet. Die für die KI notwendigen Daten lägen zwar meist bereits in digitaler Form in verschiedenen Abteilungen vor, würden aber nicht zusammengeführt. Dadurch könne ein solches System "keine übergreifenden und umfassenden Analysen durchführen und ist quasi nicht anwendbar".

Neumuth moniert zudem, dass die DeepMind-Forscher zum Training der KI und zur Überprüfung der korrekten Funktion der Algorithmen Datensätze verwendet hätten, die vorher nicht strukturiert und gezielt erhoben worden seien. Die Messwerte stammten aus 1200 verschiedenen US-Einrichtungen und seien sowohl aus inhaltlicher als auch aus zeitlicher Sicht nicht einheitlich erfasst worden. Dies trage dazu bei, dass die Vorhersagequalität der KI für das akute Nierenversagen steigerungsfähig bleibe. Zudem sei die Patientengruppe alles andere als repräsentativ gewesen.

"Einer Einführung solcher Systeme in Deutschland würde im Weg stehen, dass wir nicht wissen, ob der Algorithmus auf die deutsche Patientenpopulation übertragbar ist", betont auch Mirjam Jenny, Leitende Wissenschaftlerin am Harding-Zentrum für Risikokompetenz beim Max-Planck-Institut für Bildungsforschung: Er müsste wahrscheinlich auf deutsche Daten angepasst und mit aktuellen hiesigen Datensätzen trainiert werden.

DeepMind habe sich bei der Technik nur auf den Kreatininanstieg im Serum beschränkt, ergänzt Michael Joannidis, Leiter der Einrichtung für internistische Intensiv- und Notfallmedizin der Universität Innsbruck. Das alternative Kriterium der verminderten Harnausscheidung (Oligurie), die in bis zu 50 Prozent der Patienten das führende Symptom darstelle, sei nicht eingeschlossen. Der Praktiker befürchtet daher, "dass akutes Nierenversagen zu wenig diagnostiziert wurde". (axk)