Facebook finanziert Vorversuche für ein Gedankenlesegerät

Große Technologieunternehmen versuchen, die Gedanken der Menschen zu lesen, und niemand ist bereit für die Konsequenzen.

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Facebook finanziert Vorversuche für ein Gedankenlesegerät

(Bild: Facebook)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Antonio Regalado
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2017 kündigte Facebook an, ein Stirnband entwickeln zu wollen, mit dem Nutzer pro Minute bis zu 100 Wörter in den Computer diktieren können, indem sie nur an sie denken. Vor kurzem gab der Social-Media-Riese Ende Juli bekannt, dass er dafür umfangreiche Forschungen mit Probanden finanziert hat. Erste Ergebnisse wurden Ende Juli im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht.

Wie die Forscher um Edward Chang von der University of California in San Francisco (UCSF), schreiben, haben sie einen „Sprachdecoder“ entwickelt, der anhand von Gehirnsignal-Analysen versteht, was Menschen sagen wollen. Die Wissenschaftler platzierten dafür Elektrodenblätter, sogenannte ECoG-Arrays, auf dem Gehirn von Freiwilligen, die sich wegen Epilepsie sowieso einer Operation unterzogen.

Damit konnten die UCSF-Wissenschaftler in einem ersten Schritt in Echtzeit ablesen, mit welchen Gehirnsignale die Antworten von drei Probanden auf vorgelesene Fragen aus einer Liste korrespondierten. Eine Frage lautete etwa: „Von 0 bis 10, wie stark sind die Schmerzen, die Sie empfinden?“ Auf eine andere Frage, welches Musikinstrument sie bevorzugten, konnten die Freiwilligen „Klavier“ und „Geige“ antworten. Das System konnte in den Gehirnsignalen sowohl die Frage als auch die gesprochene Antwort signifikant besser erkennen, als dass es sich um zufällige Treffer handeln könnte.

Laut Facebook wird das Forschungsprojekt weiterlaufen. Als nächstes will der Konzern Forschungsbemühungen an der UCSF finanzieren, mit denen die Kommunikationsfähigkeit von Patienten mit einer Sprachbehinderung wiederhergestellt werden könnte. In einer ferneren Zukunft möchte Facebook schließlich ein tragbares Headset entwickeln, mit dem sich Nutzer mithilfe ihrer Gedanken Musik steuern oder in der virtuellen Realität interagieren können.

Aus diesem Grund hat das Unternehmen auch Arbeiten an Systemen finanziert, die das Gehirn von außerhalb des Schädels belauschen und mithilfe von Glasfasern oder Lasern Änderungen der Durchblutung einzelner Gehirnareale messen, ähnlich wie es MRT-Geräte tun. Solche Blutflussmuster repräsentieren nur einen kleinen Teil dessen, was im Gehirn vor sich geht, aber sie könnten ausreichen, um zwischen einem begrenzten Satz von Befehlen zu unterscheiden.

„Selbst eine Handvoll gedachter Befehle wie ‚Home‘, ‚Auswählen‘ und ‚Löschen‘ zu erkennen, würde völlig neue Möglichkeiten für die Interaktion mit heutigen VR-Systemen und der AR-Brille von morgen eröffnen“, schrieb Facebook in einem Blogbeitrag.

Der Konzern plant, bis Ende 2019 einen mobilen Prototyp zu entwickeln, ohne allerdings zu verraten, wozu er in der Lage wäre oder was er aus dem Gehirn herauslesen soll. Seit finanzstarke Tech-Unternehmen mit eingestiegen sind, hat sich die Forschung an Gehirn-Computer-Schnittstellen beschleunigt. Erst kürzlich gab Elon Musks Firma Neuralink seiner Hoffnung Ausdruck, innerhalb von zwei Jahren Elektroden in das Gehirn gelähmter Freiwilliger implantieren zu können.

Die Öffentlichkeit hat jedoch Grund zur Skepsis, ob Tech-Unternehmen der Zugang zu ihrem Gehirn anvertraut werden kann. Erst im Juni wurde Facebook etwa mit einer Rekordstrafe von fünf Milliarden US-Dollar belegt, weil es Kunden darüber getäuscht hatte, wie ihre persönlichen Daten verwendet werden.

„Für mich ist das Gehirn der einzig sichere Ort für Gedankenfreiheit, Phantasien und Meinungsverschiedenheiten“, sagt Nita Farahany, Professorin an der Duke University, die sich auf Neuroethik spezialisiert hat. „Wir sind kurz davor, die letzte Grenze der Privatsphäre zu überschreiten, wofür keinerlei Schutzmaßnahmen getroffen wurden." Facebook betont, dass alle an der UCSF gesammelten Gehirndaten an der Universität verbleiben, Facebook-Mitarbeiter jedoch in der Lage sind, diese zu studieren.

Es ist nicht bekannt, wie viel Geld Facebook in die UCSF-Forschung steckt und inwieweit die Probanden über die Rolle des Unternehmens Bescheid wissen. Ein Sprecher der Universität, Nicholas Weiler, lehnte es ab, eine Kopie des Forschungsvertrags oder der von Patienten unterzeichneten Einverständniserklärungen vorzulegen. Er sagte, die Einverständniserklärungen listeten Facebook unter mehreren potenziellen Sponsoren der Forschung auf.

Während ein Gehirnleser eine bequeme Möglichkeit zur Gerätesteuerung sein könnte, würde dies auch bedeuten, dass Facebook Gehirnsignale hört, die weitaus mehr Informationen liefern könnten – etwa darüber, wie Menschen auf Posts und Updates reagieren.

(vsz)