Windkraft-Krise: Die Wut der Bürger, Alarm in der Branche

Deutschland geht raus aus der Atomkraft und soll raus aus der Kohle. Anlagen aus Wind und Sonne sollen mehr Strom liefern. Doch das ist ins Stocken geraten.

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Windkraft-Krise: Die Wut der Bürger, Alarm in der Branche

(Bild: TebNad/Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Andreas Hoenig
  • dpa
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Eigentlich ist es eine Idylle. Ein freundliches Haus in einem kleinen Dorf, ein großer Garten mit freiem Blick auf die Felder. Wenn da nicht die Windräder wären. "Von den Dingern gehen viele gesundheitliche Gefahren aus – abgesehen davon, dass sie die Landschaft verschandeln", schimpft Stefan Hellert. Von den Problemen für Artenschutz und Vogelflug ganz zu schweigen. Es ist ein hochemotionales Thema. "Die machen uns den Frieden und die Ruhe kaputt. Und die Gesundheit", sagt seine Frau Katrin Stoll-Hellert.

"Die" – das ist die Windbranche mit einem aus Sicht der Gegner hoch subventionierten und rentablen Geschäft. Das ist die Politik, die den Ausbau der Windkraft vorantreibe, koste es was es wolle. Und keine große Rücksicht auf die Anwohner nehme.

Stefan Hellert ist Sprecher einer Bürgerinitiative in Carzig, einem Ortsteil der Gemeinde Fichtenhof im Brandenburger Landkreis Märkisch-Oderland. Mehr als 1000 solcher Initiativen gibt es bundesweit. Als die Hellerts vor drei Jahren nach Carzig zogen, standen in der Nähe einige kleinere Windräder, 166 Meter hoch, die nächsten sind 800 Meter entfernt von ihrem Haus. Doch inzwischen sind einige bereits ersetzt worden – gegen Anlagen mit einer Höhe von 229 Metern. Und es seien bereits Baugenehmigungen beantragt für neue Anlagen, 250 Meter hoch, sagt Hellert.

"Unsere Grundstücke werden von Windrädern entwertet, das ist eine schleichende Enteignung. Landeigentümer bekommen horrende Pachten. Uns entschädigt kein Mensch", sagt Katrin Stoll-Hellert. Sie fordert einen sofortigen Ausbaustopp. "Es kommt selten vor, dass es hier eine stille Nacht gibt", kommentiert die 54-Jährige: "Bei bestimmten Wetterlagen scheppert hier alles."

Knapp 85 Kilometer entfernt von Carzig steht Rainer Ebeling auf einem Feld vor Windrädern. Der 58-Jährige ist Sprecher der Bürgerinitiative in Crussow, einem Ortsteil von Angermünde in der Uckermark. "Es hat so richtig angefangen mit dem Protest, als wir den neuen Regionalplan mit den Windeignungsgebieten gesehen haben. Angermünde ist schon mit Windkraftanlagen umzingelt, auf einer Fläche von 160 Hektar im Umkreis von fünf Kilometern. Und nun sollen nochmal 200 Hektar draufgepackt werden." Angermünde sei ein staatlich anerkannter Erholungsort: "Wir liegen an einem Nationalpark und dem Biosphärenreservat. Und dazwischen werden die Windräder hingeknallt."

Nach Zahlen der Marktberatungsfirma Deutsche Windguard stehen in Brandenburg nach Niedersachsen die meisten Windräder in Deutschland. Insgesamt gibt es derzeit rund 30.000 Windenergieanlagen, in Brandenburg sind es rund 3800. Viel zu viele, finden die Bürgerinitiativen. "Windkraftanlagen sind ökologisch, ökonomisch und sozial unsinnig", sagt Stefan Hellert. "Man kann überhaupt nicht von "grüner Energie" sprechen." Die Windkraft sei unstetig, weil der Wind nicht immer wehe, und sie sei nicht "grundlastfähig" – sprich: könne keine dauerhafte und zuverlässige Versorgung gewährleisten. "Wir müssen endlich nach wirksamen Alternativen suchen – zum Beispiel Energiegewinnung aus Kernfusion." Der Ausbau aber sei politisch gewollt. "Deswegen wird gebaut."

Es ist eine Grundsatzkritik. Die große Koalition aus CDU, CSU und SPD hat zwar eigens eine Arbeitsgruppe zur Akzeptanz der Energiewende eingerichtet – bisher jedoch ohne Ergebnis. Das umstrittenste Thema: Wie weit weg sollen Windräder von Häusern stehen? In den Ländern gelten bisher unterschiedliche Vorgaben.

In Brandenburg gilt eine Empfehlung von 1000 Metern zur Wohnbebauung. In Bayern dagegen gibt es die sogenannte 10-H-Regelung – demnach muss der Abstand eines Windrades von Wohnsiedlungen mindestens zehn Mal so weit sein wie die Anlage hoch ist. Bei einer Höhe der Anlage von 200 Metern zum Beispiel wären das 2 Kilometer. Die Folge: In Bayern gibt es deutlich weniger Windräder. Unionspolitiker fordern nun bundesweit einheitliche Standards. Die Windbranche aber befürchtet, dass dann viele Flächen für die Windenergie wegfallen würden.

Das politische Ziel ist klar: weg von fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas, hin zu erneuerbaren Energien aus Wind, Sonne und Biomasse. Bis Ende 2022 soll das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werden, bis 2038 will die Bundesregierung schrittweise raus aus dem Kohlestrom, weil dies klimaschädlich ist.

Doch der teure Großumbau ist ins Stocken geraten. Vor Ort gibt es viele Proteste und Klagen. Die Strompreise sind hoch. Der Ausbau der Stromnetze verzögert sich. Im ersten Halbjahr kam der Ausbau der Windkraft an Land fast zum Erliegen. Dazu kamen unterm Strich nur 35 Anlagen mit einer Leistung von 231 Megawatt.

Bei der Windkraftlobby herrscht Alarmstimmung. Es gebe zu wenig genehmigte Flächen, Genehmigungsverfahren dauerten oft Jahre, klagt der Präsident des Bundesverbands Windenergie (BWE), Hermann Albers. Nach einer Analyse der Fachagentur Wind an Land werden derzeit in Deutschland mehr als 300 Windenergieanlagen mit 1000 Megawatt Leistung beklagt. Hauptgrund: Natur- und Artenschutz.

Die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien scheinen in Gefahr. Bis 2030 soll der Ökostrom-Anteil auf 65 Prozent steigen – im ersten Halbjahr lag der Beitrag zur Deckung des Stromverbrauchs nach Zahlen des Energieverbandes BDEW bei 44 Prozent des Stromverbrauchs. Der Anteil der Windräder an Land lag bei 19 Prozent. Aus Sicht des Bundesverbands Windenergie (BWE) ist ein jährlicher Ausbau von 4700 Megawatt nötig, um die Ziele zu erreichen. Dies wird in diesem Jahr bei weitem nicht gelingen. Die reine Zahl der Windräder werde nicht so stark steigen, heißt es, denn alte würden durch neue Anlagen ersetzt, die viel leistungsfähiger seien.