Plädoyer für eine offene und tolerante Kommunikation in der IT-Unternehmenskultur

Informatiker gelten häufig als fachlich kompetent, aber sozial inkompetent. Dieses Vorurteil lässt sich aber mit der richtigen Kommunikationskultur beheben.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Golo Roden
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Informatiker werden häufig als fachlich sehr kompetent, aber sozial inkompetent angesehen. Dieses Vorurteil basiert auf dem Missverstehen von Verhalten, lässt sich aber beheben: Wer sich für eine offene und konstruktive Atmosphäre einsetzt, und eine tolerante Fehlerkultur erlaubt, der wird überrascht sein, wie viel Kommunikation möglich ist.

Es gibt wohl keinen Beruf, zu dem nicht auch ein passendes Klischee existiert. Zwar ist den meisten Menschen bewusst, dass es sich bei Klischees letztlich nur um überzogenen Klatsch und Tratsch handelt, den man nicht für bare Münze nehmen sollte – dennoch färben die kolportierten Geschichten aber das Bild, das viele Menschen von einem Beruf haben.

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Götz & Golo

"Götz & Golo" ist eine gemeinsame Serie von Götz Martinek und Golo Roden. Der eine ist Geschäftsführer der sodge IT GmbH, der andere CTO der the native web GmbH. Was die beiden vereint, ist ihre große Leidenschaft für die Entwicklung von Software. Ab sofort nehmen sie sich monatlich ein Thema vor, zu dem dann jeder seine individuelle Perspektive beschreibt, ohne den Artikel des jeweils anderen im Vorfeld zu kennen. Der zugehörige Artikel von Götz findet sich im Blog von sodge IT. Die Fragestellung zu diesem Beitrag lautete "IT-ler: Allein im Keller".

Informatikern wird gerne die positive Eigenschaft zugeschrieben, fachlich außerordentlich kompetent zu sein, doch wird das im gleichen Atemzug dadurch wettgemacht, dass man ihre sozialen Fähigkeiten bestenfalls als verkümmert bezeichnet. Aus dieser Einschätzung leitet sich dann auch zugleich das Vorurteil des eigenbrötlerischen Einzelkämpfers ab, der sich in einen dunklen Kellerraum fernab jeglicher Gesellschaft zurückzieht.

Als ich vor knapp 20 Jahren Informatik an der Universität Kaiserslautern studiert habe, gab es dort einen gängigen Witz über Informatiker:

Was ist der Unterschied zwischen einem extrovertierten und einem introvertierten Informatiker? – Der extrovertierte schaut auf Deine Füße, während er mit Dir redet.

Wie viele Klischees basieren all diese Einschätzungen und Vorurteile auf einem Funken Wahrheit – nur die Deutung ist falsch: Grübelt man nämlich über Algorithmen, sucht man konzentriert und fokussiert nach einem Fehler oder überdenkt die beste Lösung für ein Problem, dann findet häufig tatsächlich nicht viel sichtbare Kommunikation statt.

Außerdem tendieren Informatiker häufig dazu, Lösungen technisch zu verkaufen statt fachlich. Dadurch wirkt es oft so, als wären sie weltfremd und in einem elitären Elfenbeinturm zu Hause, statt sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Tatsächlich sind sie gedanklich jedoch häufig lediglich schon einen Schritt weiter und versäumen es dann, den Kunden oder die Fachabteilung dort abzuholen, wo diese stehen.

Doch daraus das pauschale Vorurteil zu machen, dass alle Informatiker immer so wären, greift zu kurz. Es ist ein dramatischer Unterschied, ob man gedankenversunken im Tunnel ist oder ob man sich abschirmt, weil man den Kontakt zu anderen scheut.

Wer dieses im Tunnel sein nicht kennt oder sich nicht vorzustellen vermag, dem sei empfohlen, sich an das zuletzt gelesene spannende Buch zu erinnern, das die Welt um einen herum hat völlig vergessen lassen. Man sinkt ein in die Handlung des Buchs und geht in ihr auf – und genauso geht es Informatikern ab und an mit ihrem Code.

Außerdem geht dieses im Tunnel sein auch hervorragend zu zweit! Aus einem Gespräch oder einer Diskussion wird dann auf einmal ein konstruktives Miteinander, in dem man sich (sinngemäß) die Bälle spielend zuwirft und wo das Ganze auf einmal mehr ist als die Summe der Einzelteile, wie in einer symbiotischen Verbindung.

Natürlich funktioniert das nicht jederzeit mit jedem, und erst recht lässt es sich nicht auf Knopfdruck erzwingen, aber es kommt vor. Und es hält genau so lange an, bis man unterbrochen wird – weshalb es in solchen Situationen aus eigenem Interesse ratsam ist, sich abzuschotten. Das hat aber wie gesagt fachliche Gründe, keine sozialen. Der Wunsch, fokussiert und effizient arbeiten zu können, ist etwas anderes als die vermeintliche Verweigerung von Kommunikation.

Das zweite Problem, technische Lösungen zu oft technisch und zu wenig fachlich zu verkaufen, ist hingegen eine Folge der Ausbildung. Ich kenne niemanden, zu dessen Ausbildung eine Vorlesung oder ein Seminar zu interdisziplinärer Kommunikation gehört hätte. Wir als Branche haben – genau wie alle anderen übrigens auch – schlichtweg nicht gelernt, uns mit einem Biologen, einem Psychologen oder einem Raumfahrer zu unterhalten, die eine ganz andere Sprache sprechen als wir selbst.

Diese sprachliche Hürde zu überwinden, wäre wünschenswert, aber dafür muss mindestens einer der beiden Beteiligten seine bequeme Komfortzone verlassen. Dass das bereits vor langer Zeit erkannt wurde, lässt sich beispielsweise an Vorgehensweisen wie Domain-Driven Design belegen, die genau das fordern: Die Fachlichkeit, und nicht die Technologie, sollte im Mittelpunkt stehen. Denn letztlich ist die Fachlichkeit der Grund, weshalb eine Software überhaupt entwickelt wird – Technologie ist kein Selbstzweck.

Doch das ist schwer. Es erfordert Empathie, eine positive Fehlerkultur und eine Atmosphäre des Vertrauens, in der es kein Makel ist, Unwissen zugeben zu können. Die Empathie obliegt dem Einzelnen, aber die Kultur und die Atmosphäre obliegen den Unternehmen: Informatiker sind nämlich, wie alle anderen auch, nur ein Teil eines Unternehmens, und hier müssen alle zusammen arbeiten, um als großes Ganzes gut zu funktionieren.

Wer das verkennt und Informatiker als sozial inkompetente Kellerkinder abwertet, trägt mehr zu der Misere bei, als die vermeintlichen Verursacher. Am Ende sind beide Seiten gefragt, aufeinander zuzugehen – und das funktioniert nur, wenn man sich bewusst von seinen Vorurteilen verabschiedet, und mit ehrlichem Interesse hinter die Kulissen schaut.

tl;dr: Informatiker werden häufig als fachlich sehr kompetent, aber sozial inkompetent angesehen. Dieses Vorurteil basiert auf dem Missverstehen von Verhalten, lässt sich aber beheben: Wer sich für eine offene und konstruktive Atmosphäre einsetzt, und eine tolerante Fehlerkultur erlaubt, der wird überrascht sein, wie viel Kommunikation möglich ist.

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