Algorithmus soll "externe" Einflüsse auf Medienberichte transparent machen

Schweizer Forscher haben ein lernendes System entwickelt, das Gemeinsamkeiten in der Berichterstattung und die Medienkonzerne im Hintergrund aufdeckt.

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Algorithmus soll "externe" Einflüsse auf Medienberichte transparent machen

Visualisierungsbeispiel des Media Observatory.

(Bild: mediaobservatory.com)

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Die meisten Mediennutzer wissen, dass viele tagesaktuelle Berichte im Internet, in der Presse oder im Rundfunk von großen Nachrichtenagenturen wie AFP, dpa oder Reuters stammen. Weniger durchsichtig ist aber, dass auch große Medienkonzerne und -konglomerate vorgefertigte Text- oder Bildbeiträge für ihre einzelnen Kanäle produzieren und so massiv Themen setzen. Hier setzt ein Medienobservatorium der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) an.

Auf ein Beispiel verwies jüngst John Oliver in einer Ausgabe der Wochenschau "Last Week Tonight" in den USA. Der Beitrag zeigt, wie Sprecher zahlreicher lokaler TV-Sender ein identisches Skript ablesen, in dem sie ironischerweise auf einen Mangel an Diversität und Vielfalt in den Nachrichten hinweisen. Die Stationen gehören alle zur Sinclair Broadcast Group (SBG), mit rund 180 Fernsehsendern inklusive des Fox-Netzwerks oder ABC eines der größten Rundfunkunternehmen in den USA. Es erreicht dort gut ein Drittel aller Haushalte und versorgt sie mit rechtskonservativen Inhalten.

Forscher des Distributed Information Systems Laboratory (LSIR) der EPFL haben nun laut einem wissenschaftlichen Aufsatz einen Algorithmus für ein Media Observatory entwickelt, über das sie die internationale Medienlandschaft analysieren wollen. Dabei entsteht eine Art geografische Karte von gleichen oder ähnlichen Berichten lokaler Nachrichtenorgane. Diese werden mit den Mediengruppen verbunden, die dahinterstehen.

"Schon der einfache Akt der Auswahl von Stories verweist auf eine inhärente Voreingenommenheit", erläutert Jérémie Rappaz, der zu den Hauptautoren der Studie gehört. Das Team habe daher entschieden, tausende Nachrichtenquellen zu vergleichen und sie nach Ähnlichkeiten zusammenzugruppieren. Damit soll auch offenbar werden, wenn sich die Redaktionslinie eines Kanals plötzlich ändert. Dies verweise meist auf einen Eigentümerwechsel, da die zu behandelnden Themen in der Regel von ganz oben vorgegeben würden. Zugleich werde damit der weit fortgeschrittene Grad der Medienkonzentration deutlich.

Mantelredaktionen für diverse Zeitungen einer Mediengruppe gibt es zwar schon Lange. Der zunehmende Kostendruck hat laut Rappaz aber dazu geführt, dass die Konzerne ihre Ressourcen weiter bündeln. Dies verenge aber auch die Sichtweisen, mit denen die Rezipienten in Kontakt kämen. Besorgniserregend sei dies vor allem, wenn diese Perspektiven stark voreingenommen seien.

Das Medienobservatorium befindet sich derzeit noch in einem Probebetrieb in Kooperation mit der Schweizer Tageszeitung Le Temps. Alle Funktionen der Online-Plattform sollen der Öffentlichkeit vom nächsten Jahr an verfügbar sein.

Die Technik hinter dem System ist weitgehend Open Source. Es baut auf einem Personalisierungs- und Empfehlungsalgorithmus auf, wie er auch von Portalen wie Netflix oder Amazon Prime Video bekannt ist. Dabei werden Videos auf Basis der individuellen Nutzungshistorie vorgeschlagen. Dieses Konzept sei gut auf den Bereich der Medienberichterstattung übertragbar gewesen, erläutert Rappaz. Die Wissenschaftler hätten den Algorithmus über die vergangenen drei Jahre hinweg mit rund 500 Millionen Artikeln aus gut 8000 verschiedenen Quellen gefüttert und trainiert. (anw)