Logistik: Ohne IT läuft nichts und mit künftig noch viel mehr

In der Logistik ist jeder Prozess digital abbildbar, deshalb ist Informatik in der Branche weit verbreitet. IT-Fachleute bewegen dort ziemlich viel.

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Logistik: Ohne IT läuft nichts und künftig viel mehr

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Peter Ilg
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Die Logistikbranche hat ein gleich schwerwiegendes Personalproblem wie die IT-Industrie: während es in der einen an Informatikern mangelt, fehlen der anderen Lastwagenfahrer. Bis Fahrzeuge auf der Straße autonom unterwegs sind, werden noch viele Jahre vergehen.

In der Logistik gibt es aber heute schon autonom agierende Fahrzeuge in Warenlägern oder Roboter, die automatisch kommissionieren. Im Bereich Spedition und Logistik finden IT-Profis spannende und zukunftssichere Jobs.

Olger Ermakov hat an der Hochschule in Kempten Informatik studiert und 2016 mit einem Master abgeschlossen. „Die Logistik als potentiellen Arbeitgeber für mich habe ich im Studium nicht wirklich wahrgenommen.“ Es gab keine fachlichen Berührungspunkte. Erst bei Gesprächen mit Kommilitonen, die bei dem Logistikunternehmen Dachser ein Praxissemester machten und positives berichteten, kam er auf die Idee, dort seine Masterarbeit zu schreiben. Dachser gehört zu den größten Logistikern in Deutschland. Das Familienunternehmen mit Sitz in Kempten agiert weltweit. Es hat rund 30.000 Mitarbeiter, setzte im vergangenen Jahr 5,6 Milliarden Euro um und transportierte 84 Millionen Sendungen. Ohne IT ist das nicht machbar. Seit drei Jahren arbeitet Ermakov als Softwareentwickler für das Online-Kundenportal der Firma. Auf diesem laufen 15 Anwendungen, darunter die Module Frachtkostenberechnung und Auftragserstellung. Drei Entwickler arbeiten an den Programmen.

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Weltweit hat Dachser 730 Mitarbeiter in der IT, am Stammsitz in Kempten sind es 430, davon entwickeln etwa 150 Software. „Alle Basissysteme für unser Kerngeschäft entwickeln wir selbst“, sagt Herbert Egner, der verantwortlich ist für Software-Systeme. Das Kerngeschäft ist der Warentransport auf Straßen, zu See und in der Luft. „Für Luft- und Seefracht mieten wir Frachtraum digital an“, so Egner. Das ist wie Online ein Flugticket buchen. Weit überwiegend brauchen die IT-Mitarbeiter keine speziellen IT-Kenntnisse aus der Logistik. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Spezialanwendungen wie Robotik für die Warenlager. „Unser Ansatz ist stets, alle Systeme selbst zu betreiben“, sagt Egner. Grundsätzlich gibt es in der Logistik von Dachser zu jedem physischen Prozess einen digitalen Zwilling.

Gegenwärtig hat Dachser in der IT in Deutschland gut 40 offene Stellen. „Es war schon immer schwierig, geeignete Mitarbeiter für die IT zu finden. Aktuell ist diese Herausforderung besonders groß“, sagt Egner. Bei 70.000 Einwohnern in Kempten ist die Auswahl rasch erschöpft. Deshalb gründet das Unternehmen IT-Außenstellen in der Nähe von Technologiezentren wie dem Karlsruher Institut für Technologie, um für diese Standorte gutes IT-Personal zu gewinnen. Dachser bildet zudem aus: aktuell sind es 12 Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung. Ebenso viele Studenten sind in der Firma. Darunter Praktikanten im Pflichtpraktikum, Werkstudenten und Studierende mit vertiefter Praxis, wie das duale Studium in Bayern heißt. All diese jungen Leute haben gute Berufschancen, nicht nur im Allgäu.

Spedition und Logistik ist ein Wachstumsmarkt. Im vergangenen Jahr hatten die Unternehmen der Branche rund 606.000 Mitarbeiter. Das waren knapp 80.000 mehr als vor zehn Jahren. Der Umsatz lag 2008 bei 80 Milliarden Euro, 2018 sind es 112 Milliarden Euro gewesen. „Treiber für das Wachstum ist die gute Wirtschaftslage. Wir profitieren von steigenden Auftragszahlen aus Industrie und Handel sowie dem privaten Konsum“, sagt Tim Schneider, Leiter Digitalisierung im Bundesverband Spedition und Logistik. Die meisten der etwa 3.000 Mitgliedsunternehmen des Verbands, das sind überwiegend kleine und mittlere Unternehmen, habe ihre IT an Dienstleister vergeben. „Je mehr digitalisiert wird, umso öfter holen sie ihre IT zurück“, so Schneider. Er hält das für richtig und wohl auch kostengünstiger.

Der Trend des Rückholens besteht seit einigen Jahren, seitdem gibt es eine Zunahme an Einstellungen von IT-Fachkräften bei Spediteuren und in der Logistik. Die Großen der Branche, allen voran die Deutsche Post DHL betreiben ihre IT ohnehin selbst. „Die Berufschancen für IT-Fachleute in Spedition und Logistik sind hervorragend“, sagt Schneider. Dank Digitalisierung dürfte diese Aussage auf Jahre hinaus Gültigkeit haben.

Nach Aussagen von Professor Dieter Uckelmann leistet die Informatik dreierlei für die Logistik: „Sie schafft Transparenz, weil man stets weiß, wo sich die Waren befinden, sie lastet Lager und Fahrzeuge besser aus und sie ist die Basis für neue Geschäftsmodelle, etwa Software, über die Fahrer bei Vermietern Fahrzeuge buchen.“ Uckelmann ist Studiendekan des Studiengangs Informationslogistik an der Hochschule für Technik in Stuttgart. „Bei uns lernen die Studenten den Umgang mit Informations- und Warenflüssen.“ Uckelmann meint, dass unter allen Branchen die Informatik in der Produktion am weitesten verbreitet ist, „weil dort die bedeutendste Wertschöpfung stattfindet“. An zweiter Stelle folgt schon die Logistik.

Branchentypische Anwendungen dort sind Tracking and Tracing. Mittels dieses Systems kann man Sendungen nachverfolgen und weiß, wann sie geliefert werden. Oder ein Time-Slot-Management für eine Anlieferung und Abfertigung ohne Wartezeiten. Für Uckelmann ist das entscheidende Kriterium für IT in der Logistik deren Zuverlässigkeit. „Auf pünktliche Lieferung bauen alle weiteren Schritte auf.“ Der Wunsch nach höchster Zuverlässigkeit behindere mitunter Innovationen in einer konservativen Branche.

Das Logistikunternehmen Rhenus gehört ebenfalls zu den Großen der Branche und ist mit etwa 31.000 Beschäftigten und 5,1 Milliarden Euro Umsatz ähnlich groß wie Dachser. Marc Müller leitet am Stammsitz in Holzwickede am östlichen Rand des Ruhrgebiets in der zentralen IT die technische Infrastruktur. Auch die IT bei Rhenus ist ähnlich der von Dachser organisiert: die zentrale IT ist Dienstleister im Unternehmen wie ein eigenständiges IT-Systemhaus. Die weltweiten, dezentralen IT-Abteilungen sind für alle Geschäftsfelder und Standorte da, wenn die IT nahe am Kunden sein muss. „Wir von der Zentrale stellen für alle die Basis-IT zur Verfügung und den Prozessrahmen“, sagt Müller.

Als die drei wesentlichen Aufgaben der IT bei Rhenus nennt er Sicherheit, Verfügbarkeit und den kosteneffizienten Spagat dazwischen. Durch entsprechende Strukturen, Prozesse und Hardware soll Sicherheit geschaffen werden. Alle Systeme verfügen über Redundanzmechanismen, replizieren synchron. „Verfügbarkeit ist uns sehr wichtig, weil wir uns Datenverlust nicht leisten können“, sagt Müller. 10 Minuten Datenverlust hätten eine komplette Inventur der Lager zur Folge. Der Spagat zwischen den beiden Anforderungen muss kosteneffizient sein, weil die Margen in der Logistik niedrig sind.

Rhenus bildet IT-Mitarbeiter klassisch und dual über ein Studium aus, kooperiert mit Hochschulen und führt dort Projekte durch, um sich als wichtiger IT-Anwender bekannt zu machen. „So kommen wir an IT-Nachwuchs“, sagt Müller. Entscheidend für eine Einstellung sind aber Motivation und Persönlichkeit. Wenn es daran mangelt, kommt es nicht zur Zusammenarbeit, „denn man kann Menschen zwar fachlich weiterbilden, aber charakterlich nicht verändern, wenn die Einstellung fehlt“. (mho)