Keine Entscheidung im Wettlauf um die Autovernetzung

Autovernetzung kann Leben retten – trotzdem stellte sich Deutschland gegen die erprobte 11p-Technik. Die Diskussion um die Folgekosten der Alternative „5G“ ist nun um unerwartete Fragen reicher.

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Keine Entscheidung im Wettlauf um die Autovernetzung

(Bild: Slava Dumchev/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Politik und Lobbygruppen ringen in Europa seit einiger Zeit um eine Entscheidung für vernetzte Autos. Im Juli hat der Europäische Rat mit großer Mehrheit einen vom EU-Parlament verabschiedeten „delegierten Rechtsakt“ blockiert; auch Deutschland hat dagegen gestimmt. Die Gretchenfrage lautet: Soll die Industrie Autos per LTE- und 5G-Mobilfunk vernetzen oder gemäß der Methode ITS-G5?

ITS-G5, eine europäische ETSI-Norm (Cooperative Intelligent Transportation Systems), gründet auf dem WLAN-Standard IEEE 802.11p, auch als pWLAN bekannt. Die EU-Kommission wollte im Rechtsakt der 11p-Technik den Weg ebnen.

11p-Chips gibt es schon seit 2011, aber die Autoindustrie hat bis heute nur zwei Modelle mit 11p-Funk auf den Markt gebracht (Cadillac CTS und Toyota Crown) – das sei viel zu wenig gemessen daran, dass die Vernetzung die Zahl der Verkehrstoten deutlich senken kann.

Die Fahrzeuge sollen dabei miteinander, mit der Straßeninfrastruktur und mit anderen Verkehrsteilnehmern sprechen, zum Beispiel über Gefahrensituationen, Straßenarbeiten und die Steuerung der Ampelphasen. Man unterscheidet zeitkritische und weniger zeitkritische Dienste.

Kommunen, Länder und Bund investieren in Deutschland laut einer Übersicht des Bundesverkehrsministeriums vom Januar 2019 derzeit in 15 Testfeldern in das automatisierte und vernetzte Fahren und in einige Simulationen. Beteiligt sind etliche Forschungseinrichtungen wie die TU Berlin und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Ein Großteil der Feldversuche prüft sowohl 11p als auch das LTE- und 5G-basierte Mobilfunkverfahren Cellular Vehicle-to-Everything (C-V2X) parallel. Nur wenige setzen ausschließlich 11p oder ausschließlich C-V2X auf 5G-Grundlage ein.

Deutschland ist nicht der Maßstab; weltweit gibt es Hunderte von Feldversuchen. Dabei sind in den letzten Jahren sehr viele Mobilfunk-Feldversuche hinzugekommen.

Beispielsweise setzt die Stadt München für ihr Testfeld EASYRIDE auf Mobilfunk. Diverse 5G-Feldversuche sind allerdings nur im Aufbau begriffen, weil dafür schlicht die Ausrüstung fehlt und die Testkonzepte entwickelt werden müssen. Das trifft auch auf Ingolstadt zu. Bisher fehlen öffentliche Angaben darüber, ob neben 5G auch andere Übertragungstechniken geprüft werden. Partner ist die Audi AG, die damit anders als die Konzernmutter VW möglicherweise auf 5G setzen wird. Audi erprobt gemeinsam mit Netzwerkzulieferer Ericsson seit 2018 5G auch in der Fertigung.

Auf 5G setzen Telekommunikationsunternehmen und Ausrüster, Chiphersteller sowie unter anderem BMW und Daimler, die mit 5G mobile Dienste anbieten wollen. Sie hatten in einem Schreiben an Verkehrsminister Andreas Scheuer verlangt, sich für eine „echte Technologieneutralität in dem delegierten Rechtsakt einzusetzen“. BMW will ab 2021 neue Modelle mit C-V2X ausstatten, womit auch mobilfunkbasierte Bezahldienste verbunden werden können. Scheuer entschied sich für 5G und überzeugte seine Kollegen, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Kanzleramtschef Helge Braun. Sowohl Scheuer als auch Altmaier entschieden dem Vernehmen nach gegen den Rat ihrer Fachabteilungen. Eine technische Begründung drang bisher nicht nach außen.

Autos lassen sich schon seit 2011 per 11p-Funk vernetzen, doch die Technik hat sich weltweit noch nicht etabliert. Manche Autohersteller setzen nun aus Synergiegründen auf die Mobilfunkvernetzung.

Andere Autobauer, darunter Toyota, Renault und Volkswagen sowie Lkw- und Landmaschinenhersteller, setzen weiterhin auf 11p, obgleich sich manche davon schon an LTE-Tests etwa am Testfeld Autobahn A9 beteiligt haben.

Volkswagen will seinen nächsten Golf ab 2020 und überhaupt alle E-Fahrzeuge mit 11p-Funk ausstatten. „Als Volumenhersteller wird es möglich sein, eine gewisse Marktdurchdringung zu erreichen“, erklärte ein Sprecher des Konzerns gegenüber dem Handelsblatt. VW setzt damit auf einen Wettlauf der Systeme. Vielleicht entscheidet also die Kraft des Faktischen, welches System sich durchsetzt. Wie weit man der Ankündigung trauen kann, ist aber offen. Denn VW hatte schon 2017 einen 11p-Start angekündigt. Demnach sollte „der erste Golf mit pWLAN“ bereits seit Anfang 2019 vom Band rollen.

11p-Verfechter argumentieren, dass mit Signallaufzeiten unter 1 Millisekunde nur ihre Technik für zeitkritische Dienste geeignet sei, also etwa für das elektronische Bremslicht, das Fahrzeuge in der Kolonne umgehend davor warnt, wenn ein vorausfahrendes Auto bremst.

LTE liefert oft nur Laufzeiten um 30 bis 60 Millisekunden und lediglich in Feldversuchen ließ sie sich auf bis zu 17 Millisekunden drücken. Zu langsam, wenn jemand im Konvoi plötzlich bremst.

Mobilfunkbefürworter wenden ein, dass die Latenz bei weniger zeitkritischen Diensten und bei Nachrichten, die jenseits des lokalen Umkreises übertragen werden, nur eine Nebenrolle spielt. Auch ließen sich per Mobilfunk Datenpakete bei hoher Verkehrsdichte – also etwa im Konvoi – mit höherer Wahrscheinlichkeit zustellen als mit 11p und überhaupt würden die im Aufbau befindlichen 5G-Netze mit 5 Millisekunden „bald schon“ ähnliche Latenzen wie 11p liefern und dabei höhere Zustellsicherheit erreichen. Die Zusammenhänge der Automobilvernetzung sowie der Gegenüberstellung von 802.11p und C-V2X hat c't bereits ausführlich beschrieben.

Mitspieler des 11p-Lagers, die nicht genannt werden möchten, stellten in Reaktion auf diese beiden Beiträge die verkürzte Latenz der 5G-Netze grundsätzlich infrage: Maßgeblich sei nämlich nicht die Laufzeit vom Auto zur 5G-Infrastruktur, sondern die zum Zielserver, der vermutlich irgendwo im Internet stehe. Dann steige die Latenz sogar auf über 100 Millisekunden und somit tauge 5G ebenfalls nicht für zeitkritische Dienste.

Die Antwort der 5G-Befürworter klärt das: Die Daten müssten nicht vom Auto zu einem Server ins Internet reisen und von dort zurück auf die Straße zu anderen Autos, sondern nur zur Basisstation, die dafür mit einem eigenen Server ausgerüstet ist (Edge Computing, dezentrale Datenverarbeitung am Rand des Netzwerks). Das wirft wiederum neue Fragen auf: Wenn für die kurzen Latenzen jede Basisstation an der Straße einen Edge-Server enthalten muss, wer finanziert das? Und wie teuer wird das?

Offen ist zudem, wie zum Beispiel eine Telekom-Basisstation Autos mit Vodafone- oder Telefónica- oder gar mit ausländischen SIM-Karten erreichen soll. Zwar könnte die Politik verfügen, dass bestimmte Fahrzeugmeldungen grundsätzlich unter allen Netzbetreibern auszutauschen sind, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass Entscheider das Problem überhaupt erkannt haben. Schon gar nicht ist eine technische Lösung in Sicht.

Offen ist auch, wann die EU-Kommission einen neuen Schritt unternimmt, um Autohersteller zur Vernetzung zu verpflichten. Denn ohne politische Rahmenbedingungen fehlt der Druck für die Fahrzeugvernetzung weiterhin. Bis das spürbar wird, dürften weitere Jahre ins Land ziehen, denn um einen Sicherheitseffekt zu erzielen, müssen viele vernetzte Fahrzeuge gleichzeitig unterwegs sein.

Dieser Beitrag stammt aus c't 19/2019. (dz)