heise online: Welten - eine Leseprobe aus "Apokalypse Pallantau" von Arno Endler

Mit "heise online: Welten" schauen wir in die Zukunft. Arno Endler erzählt vom Glauben, die Natur beherrschen zu können. Was unterscheidet Mensch und Maschine?

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heise online: Welten - eine Leseprobe aus "Apokalpyse Pallantau" von Arno Endler
Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Jürgen Kuri

Kann Science Fiction überhaupt in die Zukunft schauen? Die Trefferliste bisheriger Science Fiction ist eher mau, dabei gibt es immer wieder herausragende Beispiele, die Visionen einer Zukunft formulieren, die uns heute sehr real erscheinen. Der Science-Fiction-Autor (und Netzaktivist) Cory Doctorow meint gar: Eine Prognose für die Zukunft liefert Science Fiction nicht. Aber sie kann im besten Fall die Zukunft verändern. Dadurch, dass sie den Lesern begreiflich macht, worin die Bedeutung aktueller Entwicklungen liegt und welche Effekte auf den Einzelnen und die Gesellschaft sie haben.

heise online: Welten / Die c't Stories

heise online und c't werfen mit zwei Science-Fiction-Buchreihen nicht nur einen Blick in die Zukunft. Mit den Reihen "heise online: Welten" und den "c't Stories" wollen wir auch den Blick dafür schärfen, wie Digitalisierung die Welt verändert. Die Bücher sind im d.Punkt-Verlag erhältlich.

Solches wollen wir auch mit der Reihe heise online: Welten erreichen. Nach "Die letzte Crew des Wandersterns" von Hans-Arthur Marsiske setzen wir die Reihe mit "Apokalypose Pallantau" von Arno Endler fort. Er dürfte vielen c't-Lesern schon durch seine Stories bekannt sein. Außerdem erschien "Hell Fever. Höllische Spiele" von Peter Schattschneider.

In "Apokalypse Pallantau" erzählt Arno von Planeten, die von Milliarden Menschen kolonisiert werden und deren Ökosysteme das Überleben ermöglichen. Die Erde, Ursprung genannt, ist für viele nicht mehr als ein Mythos, von wenigen Auserwählten bewohnt, den Parentes, die die Schicksale der Menschheit lenken. Doch dann ereignet sich in einer Kolonie unerwartet eine geothermische Katastrophe. Eine Familie, bei der Evakuierung vergessen, muss versuchen, den Raumhafen zu erreichen. Die Technik, an die sich die Menschen gewöhnt haben, versagt, der Countdown läuft unerbittlich ab. Und welchen Plan verfolgen die Parentes? Welche Entwicklung ist möglich angesichts von evolutionierenden Künstlichen Intelligenzen? Und findet sich ein Heilmittel gegen eine den Bestand der Menschheit bedrohende Seuche?

Der Roman ist im heise Shop, beim Hinstorff-Verlag, in stationären Buchläden und in Online-Buchläden wie Amazon sowohl als gedrucktes Buch als auch als eBook erhältlich.

  • Leseprobe aus "Apokalypse Pallantau"

[...]

Parrer erwachte ruckartig. Er schluckte den schlechten Geschmack herunter und rieb sich das Gesicht. Gira fluchte leise vor sich hin, Scala saß aufrecht zwischen ihnen und schwieg. „Was stinkt hier so?“, fragte der Farmer.
„Keine Ahnung“, entgegnete Gira. „Das ist nicht normal.“
Auf der Windschutzscheibe kämpften die Scheibenwischer mit einer schmutzigen Brühe. Irgendetwas trug der Regen mit sich. Parrer schnüffelte laut, versuchte den Geruch zu identifizieren. „Riecht modrig und faul“, meinte er. „Als hätte jemand altes Brackwasser zum Kochen gebracht.“
Scala löste den Haargummi um ihre langen schwarzen Haare, formte anschließend mit geschickten Händen einen Dutt. „Auf Yoimuri gab es einen Geysir, eine Touristenattraktion. Dort roch es ähnlich.“
Parrer hätte jetzt lieber selbst am Steuer des Gefährts gesessen, fühlte sich hilflos, da er sehr wenig von dem erkennen konnte, was vor ihnen lag, trotz der kräftigen Scheinwerfer. „Es gibt auf Rannuiemmi keine Geysire.“
„Erdbeben hatten wir auch noch nicht“, sagte Gira, die sich vorbeugte, um besser sehen zu können. „Was ist, wenn es einen Vulkanausbruch gegeben hat? Aschewolke?“
Parrer wollte widersprechen, sparte es sich aber, da voraus ein heller Fleck auftauchte.
Gira reduzierte das Tempo. „Die Farm der Kullarans.“ Sie umrundete mit dem Speeder den eingezäunten Bereich um die drei Gebäude herum, die ähnlich wie ihre eigene Farm angeordnet waren. Das Tor zum Gelände stand sperrangelweit offen. Gira hielt auf das Haupthaus zu.
„Kein Licht“, murmelte Scala. „Dabei ist es doch so dunkel wie in der Nacht.“
Parrer griff nach der Regenjacke. „Ich sehe mich im Haus um. Kommt ihr mit?“
Gira stoppte direkt vor der Eingangstür. „Ich schaue in den Nebengebäuden nach. Scala, gehst du mit ihm?“
Ihre Geliebte nickte.
Alle drei zogen sich in der Enge des Fahrerraums die Jacken über.
„Dann mal raus!“, sagte Gira betont unbekümmert, aber Parrer spürte nicht nur seine eigenen Befürchtungen, sondern registrierte auch die Ängste der beiden Farmgirls. Er drückte die Beifahrertür auf. Das dumpfe Rauschen des Regens klang weniger bedrohlich. Es hatten sich zahlreiche Pfützen gebildet. Brackige schwarze Wasserlachen wirkten wie Löcher im Boden. Der faulige Geruch verlor an Schärfe, blieb jedoch unterschwellig präsent.
Parrer sprang heraus, zog die Kapuze tiefer über die Stirn und stapfte zum Hauseingang.
Schwarze Schlieren zierten die eigentlich helle Hausfassade. Wie ein Flussdelta suchte sich das schmutzige Wasser seinen Weg an der Wand.
Parrer klopfte zunächst leise, dann mit der ganzen Faust, als niemand reagierte. Hinter sich hörte er einen Fluch, wandte sich um. Gira rappelte sich gerade wieder auf, schüttelte sich, wischte Dreck von den nackten Beinen. „Bin nur ausgerutscht. Alles klar.“ Der dunkle Regenvorhang verschluckte ihre Gestalt, als sie weiterging.
Scala drängte sich dichter an Parrer, um unter dem Dachvorstand Schutz zu finden. „Ist keiner da?“
„Ich weiß nicht“, antwortete der Farmer gereizt.
Er hämmerte nochmals gegen die Tür. Es knackte. Verdutzt sahen sie, wie die Tür aufschwang. „Nicht abgeschlossen. Hätte ich auch mal draufkommen können.“ Sie traten ein. In dem kleinen Flur flammten die versteckt eingebauten LEDs auf. „Hallo?“, rief Parrer. Scala tippte ihm auf die Schulter und deutete dann auf die Kleiderhaken an der Wand. „Hier ist niemand. Der Zivis hatte doch die Felljacke aus Pallantaurierleder. Er war so stolz darauf. Genba hasste ihn dafür, dass er dieses Relikt aus den ersten mörderischen Tagen der Menschheit auf Rannuiemmi trug.“
„Stimmt.“ Parrer erinnerte sich an den Streit Padraighs mit dem Farmgirl. Bevor Forscher feststellten, dass die Pallantaurier über eine, wenn auch geringe Intelligenz verfügten, wurde die indigene Bevölkerung des Planeten als Fleischquelle bejagt. Aus diesen Zeiten stammten natürlich Produkte, die aus toten Pallantauriern hergestellt worden waren. Zu Raritäten geworden, da nur wenige Menschen kein schlechtes Gewissen hatten, sie weiterhin zu benutzen. Zu jener unbekümmerten Sorte gehörte Padraigh Kullaran. Er liebte das dunkle Leder mit dem neongrünen Fellkragen, trug es ständig, sobald er das Haus verließ, und hängte es an den Haken im Flur, kam er zurück. Seine Frau wollte die Jacke im Haus nicht sehen, teilte den Geschmack ihres Mannes nicht, was Genba einigermaßen wieder versöhnt hatte.
Parrer begaffte den Haken. „Er ist weg. Padraigh! Kiera?“, brüllte er laut. Ohne eine Antwort abzuwarten, durchquerte er den Flur, stieß die Tür zur Küche auf. Auch hier schaltete sich das Licht automatisch an.
Teller und Besteck standen ordentlich auf dem großen Küchentisch. Brotscheiben aus Pallasamen, zum Teil belegt mit Wurstsubstrat. Ein Marmeladentopf, offen, in dem ein Löffel steckte. Eine Kaffeetasse lag auf der Seite, eine Lache von hellbrauner Flüssigkeit trocknete vor sich hin.
Es wirkte wie das Szenario eines plötzlichen Aufbruchs. „Sie sind wirklich weg“, flüsterte Scala. „Der Erlöser möge ihre Reise segnen.“
Parrer ignorierte wie immer den religiösen Ausbruch des Farmgirls. „Schau dich bitte im oberen Stockwerk um. Ich kümmere mich um die Kommunikationsanlage.“
Scala nickte und ging.
Parrer roch an dem Wurstbrot, befühlte es. Die typische feuchte Schicht, die entstand, wenn man den Ersatz zu lange an der Luft stehen ließ, hatte sich noch nicht gebildet. Keine vierundzwanzig Stunden waren also vergangen, seitdem die Kullarans an dem Tisch gesessen hatten. Vier Gedecke, die beiden Zivise und ihre zwei Söhne. Was hatte sie vertrieben?
Parrer wechselte den Raum, stiefelte ins Wohnzimmer und danach in die Technikkammer, der ganze Stolz
Padraighs. Die Loqui-Rete-Anlage war auf dem neuesten Stand und mit zahllosen Features ausgestattet, die Parrer sich nie hätte leisten können. Zivis Kullaran verfügte über größere Rücklagen, bei ihm handelte es sich nicht um einen Farmer aus Not, sondern aus Abenteuersucht. Es war bereits seine zweite Heimat, die er freiwillig ausgewählt hatte.
Parrer setzte sich an die Konsole. Monitore erhellten sich, die Betriebsbereitschaft wurde bestätigt. Doch eine Verbindung mit Marketplace oder dem Raumhafen am Mount Elias kam nicht zustande. Einige Fehlerhinweise, die Parrer nichts sagten, wurden aufgelistet.
Er wechselte in das Archiv und rief die letzten Datensätze auf, die das System gespeichert hatte.
Die rot markierten Mitteilungen von äußerster Priorität fielen ihm sofort auf. Er las mit weit aufgerissenen Augen Zeile um Zeile. Ihm wurde kalt und heiß zugleich, er hatte Mühe, die Hand zu bewegen, mit der er durch die Nachrichten scrollte. Es rauschte in seinen Ohren, als er sich schließlich erhob und zurück in den Wohnraum ging.
In der Küche stand Gira mit nacktem Oberkörper und wrang ihr Shirt aus. Parrer starrte wie betäubt auf ihre bloßen Brüste und den Bauchnabel.
Das Farmgirl ignoriert ihn, streifte das Shirt wieder über und griff nach der Regenjacke, die sie auf einem Stuhl abgelegt hatte.
„Genug gesehen?“, fragte sie leise. Parrer antwortete nicht, hatte keine Idee, was er sagen sollte.
„Die drei Speeder der Kullarans stehen alle in der Scheune“, sagte Gira. „Wenn sie weg sind, dann per Schiff. Leider sind alle Speeder entladen und die Energieakkus der Scheune geleert.“
„Mit dem Schiff?“, echote Parrer.
„Ja, die kleine Transportyacht, die Padraigh gehört, liegt nicht am Pier. Ich gehe davon aus, dass die Kullarans mit der Yacht gereist sind.“
Parrer überlegte, wie er Gira schonend beibringen konnte, was er erfahren hatte. Ein Schrei aus dem oberen Stockwerk ließ ihn zusammenfahren.
„Scala!“, schrie Gira und rannte an ihm vorbei in den Wohnraum, zur Treppe und diese hinauf.
Parrer spürte ein unkontrollierbares Zittern in seinen Händen. Er hob sie vor sein Gesicht, befahl seinem Körper, mit dem Zittern aufzuhören, und als es nichts nutzte, verschränkte er die Finger fest ineinander, bis sich die Haut weiß färbte. Ein Schluchzen entrang sich seiner Kehle. Er bildete sich ein, dass sein Vater ihn anschreien würde. „Beweg dich, Junge!“, brüllte ihn der alte Mann an, wie er es so oft getan hatte. Es wirkte. Das Zittern endete. Parrer riss sich zusammen und folgte Gira hoch in den ersten Stock.
Linker Hand der Treppe standen die Farmgirls neben einem offenen Durchgang zu einem der Zimmer. Sie umarmten sich. Scala schluchzte.
Parrer trat zu ihnen und schaute in den Raum. Auf einem ordentlich gemachten Doppelbett lag die Leiche eines großen irischen Hütehundes.
„Morton“, flüsterte Parrer und konnte kaum glauben, was er da sah.
Gira sprach es aus. „Sie haben ihm den Kopf weggepustet. Der Hund hat friedlich auf dem Bett geruht, und der Zivis wird die Waffe direkt am Kopf angesetzt haben. Du siehst noch die dunklen Spuren am Fell.“
Parrer betrachtete das Muster des Blutes auf dem weißen Laken. Der Hund hatte sich nicht gewehrt und hatte wahrscheinlich auch nicht gelitten. Doch was Padraigh zu dieser unfassbaren Tat getrieben hatte, wollte ihm nicht so recht bewusst werden. Es hatte Kullaran Millionen gekostet, den Wolfshund Morton nach Rannuiemmi einzuführen. Haustiere wurden nicht genehmigt. Wie hoch die Schmiergelder gewesen sein mussten, hatte Padraigh nicht verraten. Morton war sein ein und alles. Der Hund hatte mit ihm im Bett geschlafen, was zu einigem Spott und Gelächter geführt hatte.
Und nun lag da der Kadaver.
„Wir müssen zurück“, sagte Parrer. „Schnell.“
Gira stellte sich vor ihn. „Weißt du, was hier geschehen ist?“
„Los jetzt!“, befahl Parrer energisch. „Wir müssen zurück. Sofort! Fragen, wenn wir auf dem Weg sind.“
Er ließ sie einfach stehen und marschierte zur Treppe, hinunter und aus dem Haus. Draußen roch es plötzlich viel frischer. Der Regen schien den ganzen Dreck bereits abgeladen zu haben und säuberte nun die Hauswände und den Speeder. Der Boden saugte das Wasser auf, nur eine schwarze, ölig wirkende Schicht erinnerte noch an den Schmutz, der vom Himmel gefallen war. Es blieb glitschig. Als sie alle saßen, startete Gira den Motor und wendete den Speeder. Sie machte einen grimmigen Eindruck, fragte jedoch nicht mehr.
Nach einigen Minuten brach Scala das Schweigen. „Parrer? Bitte.“
Der Farmer spürte wieder das Zittern in den Händen. Er stopfte sie unter seine Oberschenkel, presste sie so zwischen Sitz und Fleisch. Er seufzte. „Es ist …“
„Nun red schon!“, brüllte Gira.
„Ich …“, begann Parrer erneut eine Erklärung. „Ich habe die letzten gespeicherten News abgefragt. Darunter waren auch drei Anweisungen des Primus.“
„Und?“, drängte Gira.
„Wir müssen nach Marketplace. Schnell. Die Evakuierung wurde angeordnet.“
„Was?“ Gira trat auf die Bremse. Alle wurden durchgeschüttelt. „Wieso Evakuierung?“
„Bitte, Gira“, flehte Parrer. „Schneller. Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns bleibt. Die Kullarans haben die Yacht genommen, weil ihre Speeder nicht einsatzbereit waren. Doch jeder muss nach Marketplace. Dort ist der Sammelpunkt. Die Anweisungen waren klar.“
Parrer sah Adern am Hals des Farmgirls hervortreten. Gira beschleunigte den Speeder wieder auf Höchstgeschwindigkeit.
Der Farmer seufzte. „In den News wurde von einer Katas-trophe an der Energiestation auf Nicäa gesprochen. Die Notfallprotokolle sind aktiv. Alle Kolonisten sind aufgefordert, nach Mount Elias zurückzukehren.“
„Palla-Dung!“, fluchte Gira. „Von wann ist die Meldung?“
„Ein Tag alt, Gira“, antwortete Parrer. „Wir haben sie nicht erhalten.“
Scala weinte leise. „Sie durften Morton nicht mitnehmen. Bestimmt war es so. Zivis Kullaran wollte ihn nicht zurücklassen und hat ihn deswegen getötet.“
Parrer dachte kurz nach und gab ihr recht. Es passte zu Padraigh.
„Am Marketplace wartet ein Schiff?“, fragte Gira.
„Ich denke schon.“ Parrer sah den vom Regen aufgeweichten Boden. Der Matsch erschwerte das Fortkommen. „Ich weiß nur nicht, wie lange.“
„Also sollten wir uns beeilen.“
„Ja, Gira“, bestätigte Parrer. „Zurück, Nahita und Genba einladen und sofort nach Marketplace aufbrechen.“

[...]

(jk)