10 bahnbrechende Technologien: Die Macht der Billionen

Das Mikrobiom mischt bei Demenz, Autismus und Herzinfarkten mit. Billionen Bewohner des Verdauungstrakts werden künftig zu Therapeuten.

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10 bahnbrechende Technologien: Die Macht der Billionen

Darmflora in Kapseln: Stuhltransplantation ohne Ekelfaktor.

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Susanne Donner

Sie leben in jedem, wiegen etwa zwei Kilogramm, und ohne sie können wir nicht existieren. Wer ist das? Richtig, das menschliche Mikrobiom, ein Verbund von bis zu einer Billion Bakterien. Sie hausen in dichten Biofilmen. Sie haften auf Schleimhäuten und der Haut, die meisten kleiden die Windungen des Darms aus. Trügen wir nicht diese Unzahl an Fremdlingen in uns, könnten wir beispielsweise keine Nährstoffe aus dem Essen aufnehmen.

"Das Mikrobiom des Darms ist so bedeutsam, dass wir von einem eigenen Organ sprechen“, sagt Marius Vital, Mikrobiologe an der Medizinischen Hochschule Hannover. Dieses Organ aus Bakterien steht mit den übrigen Organen in enger Verbindung. Mikrobiom und Gehirn kommunizieren über Blut und Nerven. Forscher sprechen gar von der „Darm-Hirn-Achse“. Die Kleinstlebewesen produzieren etwa das Hormon Serotonin, das uns durchströmt, wenn wir verliebt sind, und an dem es uns mangelt, wenn uns eine Depression befällt. Und sie kennen auch noch die „Darm-Herz-Achse“, weil das Mikrobiom sogar über Herz-Kreislauferkrankungen mitentscheidet. „Bei eigentlich allen ­Erkrankungen wird derzeit der Einfluss des Mikrobioms untersucht. Es wird künftig ein wichtiges Ziel medizinischer Behandlungen sein“, sagt Vital.

„Drugging the gut microbiome“ war 2015 ein Artikel in „Nature Biotechnology“ betitelt. Seither ist es unter Forschern zum geflügelten Wort geworden: das Mikrobiom ­therapieren. Naheliegend war der Ansatz bei lebensbedrohlichen Durchfallerkrankungen. Inzwischen denken die Forscher weit darüber hinaus – und an Krankheiten, bei denen nie jemand ernsthaft eine Rolle der Siedler aus dem Darm in Betracht zog. Bahnbrechende Befunde gibt es etwa bei Autismus und eine erste Hoffnung gegen Demenz.

Lange entging den Medizinern der Zusammenhang, weil die Wechselwirkung sehr subtil abläuft. Ein Beispiel: PCO, das polyzystische Ovarialsyndrom, ist eigentlich eine Störung im Hormonhaushalt der Eierstöcke und eine häufige Ursache der Unfruchtbarkeit – weit entfernt vom Darm, denkt man. Das ist falsch, fand 2017 die Endokrinologin Barbara Obermayer-Pietsch von der Universitätsklinik Graz heraus. Die Hormonwerte und Beschwerden der betroffenen Frauen hängen mit dem Mikrobiom zusammen. Die Siedler aus dem Darm ­beeinflussen also unsere Spiegel an Sexualhormonen oder, plump gesagt, wie männlich oder weiblich wir sind.

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