Dünner Antibiotika-Nachschub

Die Entwicklung der Antibiotika war ein Wendepunkt in der modernen Medizin. Resistenzen nagen an dieser Errungenschaft und die Pharmaindustrie dreht leise die Pipeline zu.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 3 Min.

Mit der Erfindung des Penicillins haben Infektionskrankheiten durch Bakterien einen großen Teil ihres Schreckens verloren. Besonders optimistische Mediziner postulierten damals sogar, dass das Thema Infektionskrankheiten Geschichte sei. Das ist natürlich nicht so, denn uns verbindet eine lange gemeinsame Entwicklungsgeschichte mit Bakterien und die kleinen Wesen sind äußerst anpassungsfähig.

Weil Antibiotika so schön wirksam und großteils billig sind, wurden – und werden – sie für und gegen alles Mögliche verschrieben. Beispielsweise auch zur Prävention von Krankheiten und als Wachstumsmittel in der Viehzucht. Ärzte verschreiben schnell mal ein Antibiotikum, wenn der Patient einen Virusinfekt hat – das ist leider völlig wirkungslos, aber fühlt sich besser an, als zu hören: Es geht vorbei; Tee, Bettruhe und Zeit für das Immunsystem treiben das Virus schon wieder aus.

Die Antwort der Bakterien kam prompt mit Resistenzen. Niemand wird gerne großflächig ausgerottet. Auch Bakterien nicht. Das wird seit vielen Jahren zu einem wachsenden Problem dort, wo Antibiotika wirklich gebraucht werden. Bei schweren bakteriellen Infektionen, vor allem in Krankenhäusern. Denn einige Bakterien sind inzwischen durch die Flut an Antibiotika, mit denen über Jahre großzügig behandelt wurde, resistent gegen alle Wirkstoffe, die sich auf dem Markt befinden. Menschen, die an diesen multirestenten Keimen erkranken, können keine Hilfe mehr erwarten. Sie stehen vor derselben Situation wie die Menschheit vor über 70 Jahren stand, als bakterielle Infektionen noch häufig tödlich verliefen und die Ärzte nur zusehen konnten.

Nach Schätzungen sterben in der Europäischen Union jährlich etwa 25.000 Menschen an Infektionen mit resistenten Bakterien. Meist in Krankenhäusern, wenn die Menschen ohnehin schwer krank sind und ihr Immunsystem den Bakterien einfach nichts mehr entgegen zu setzen hat.
Bis vor wenigen Jahren, war das nur in wenigen Fällen dramatisch – die Pharmapipeline hat immer fleißig weiter an neuen Antibiotika gearbeitet. Aber mit dem inflationären Gebrauch der Wirkstoffe passen sich die Bakterien immer schneller an und auch neue Wirkstoffklassen sind häufig nur kurze Zeit wirksam.

Da wundert es kaum, dass die Pharmaindustrie sich aus der Entwicklung neuer Wirkstoffe verabschiedet. Ein neues Medikament zu entwickeln, kostet viele Jahre Forschungsarbeit und für die klinischen Studien müssen die Unternehmen hohe mehrstellige Millionenbeträge investieren. Wenn ein neues Antibiotikum dann nur eine kurze Wirkdauer hat, weil es wie viele andere durch sorglosen Umgang verheizt wird, kann es seine Entwicklungskosten nicht ansatzweise einspielen. Große Pharmaunternehmen sind nun mal sind keine Wohltätigkeitsorganisationen und kleine oder mittelständische können es sich schlicht nicht leisten.

Man kann auf die Pharmaindustrie schimpfen, kritisieren, dass die Anfang 2016 gegründete Allianz gegen Resistenzen nur ein leeres Versprechen war. Man kann es aber auch als konsequente Reaktion auf den – allen Warnungen zum Trotz – jahrzehntelangen verantwortungslosen Umgang mit Antibiotika sehen. Diese Falle war mit einem dicken roten Kreuz markiert…

(jsc)