Post aus Japan: Nippons Kampf gegen Blackouts

Über eine Woche Stromausfall östlich von Tokio – ein Taifun hat Japans Hauptstadtregion die Verletzbarkeit oberirdischer Stromleitungen vor Augen geführt. Europa sollte daraus lernen.

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Strommasten vor Umspannwerk

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Kostendenken beim Ausbau von Infrastruktur rächt sich manchmal, besonders in Zeiten des Klimawandels. Diese Erfahrung machen gerade die Bewohner von Tokios Nachbarpräfektur Chiba. Die dichtbesiedelte Region, die auch Tokios internationalen Flughafen Narita beheimatet, wurde in der Nacht vom 7. auf den 8. September direkt von einem Taifun getroffen. So weit, so schlecht. Doch was danach folgte, hatte Japan noch nicht erlebt.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Der Wirbelsturm Faxai deckte nicht nur Dächer ab, sondern legte auch Hochspannungs- wie örtliche Strommasten um. Und auf einmal waren 930.000 Haushalte ohne Strom. Dies allein ist in Japan ein Superlativ. Doch richtig erschrocken hat die Menschen, dass die Wiederherstellung der Stromversorgung länger dauerte als bisher gedacht.

Eigentlich wollte Tokios Stromversorger Tepco schon bald nach dem Sturm alle Haushalte wieder ans Netz gebracht haben. So sehen es auch die Notfallpläne vor, die die Lokalregierungen zur Krisenbewältigung nach beispielsweise Erdbeben veröffentlichen. Doch auch eine Woche nach dem Sturm hatten noch immer 130.000 Wohnungen und Häuser keinen Strom. Und Tepco warnte, dass es im Süden der Boso-Halbinsel noch zehn Tage dauern könnte, die letzten Ortschaften wieder ans Netz zu bringen.

Die Suche nach den Schuldigen läuft derzeit noch. Doch als ein Verstärker der Probleme kristallisiert sich die Vorliebe der Japaner für oberirdische Stromleitungen heraus – und sie sollte den Planern endlich einen lehrreichen Schrecken in die Glieder jagen. Es beginnt schon bei den Überlandleitungen.

Die verlegte man bisher genau wie in Deutschland auch in Japan gerne aus Kostengründen als Freileitung und nicht unterirdisch als Kabel. Nur sind die Strommasten in der Region nicht darauf ausgelegt, ungebremst einen direkten Taifuntreffer von der See auszuhalten. Denn bisher wurde die Region Tokio nur von Wirbelstürmen getroffen, die schon vorher weiter im Südwesten des Inselbogens auf Land trafen.

So müssen die Strommasten laut amtlichen Bestimmungen nur Windgeschwindigkeiten bis zu 144 Kilometer pro Stunde trotzen können. Aber Faxai blies mit bis zu 207 Kilometern pro Stunde über die Hauptstadtregion hinweg. Der neue Industrieminister Isshu Sugawa warnte daraufhin: "Wegen des Klimawandels kommt es zu Veränderungen bei beispielsweise Windgeschwindigkeiten und Niederschlägen, die über unsere bisherigen allgemeinen Vorstellungen hinausgehen."

Doch damit hat er nur für die Starkstromleitungen recht. Bei den ebenfalls arg beschädigten lokalen Stromleitungen rächt sich Japans Tendenz, bekannte Gefahren zu ignorieren: Noch immer werden wider besseres Katastrophenwissen selbst Städte oberirdisch mit Strom versorgt.

Sogar enge Gassen werden von Betonmasten gesäumt, an deren Spitzen in regelmäßigen Abständen große, mit Schweröl gefüllte Transformatoren balancieren. Das damit verbundene Leitungswirrwarr ist nicht nur ästhetisch eine Herausforderung, sondern auch ganz praktisch. Denn spätestens seit 1995 beim Erdbeben in der Millionenstadt Kobe mehr als 6.000 Menschen starben, ist bekannt, dass diese Art der Stromversorgung brandgefährlich ist.

Damals fielen viele Masten mitsamt Transformatoren um und blockierten die ohnehin engen Straßen. Feuerwehren kamen daher oft nicht an die Brandherde heran. So konnten ganze Straßenabschnitte zu Todesfallen werden. Auch Tokio ist davor nicht gefeit: Experten warnen vor einem Feuergürtel aus hölzernen Einfamilienhäusern an engen Straßen, der die eher einbetonierten und modernen Bezirke Zentral-Tokios umschließt.

Allein solche Opfer könnte man durch unterirdische Stromleitungen verringern. Darüber hinaus zeigte das Kobe-Erdbeben, dass unterirdische Leitungen, besonders wenn sie in Versorgungsröhren, -kanälen oder -tunneln verlegt worden waren, kaum vom Erdbeben betroffen waren.

Für einige Zeit wurde es daher Mode, Stromleitungen unter die Gehwege und Straßen zu verlegen. Auch jetzt gibt es ein Regierungsprogramm dazu. Aber das Tempo des Wandels nimmt offenbar mit zunehmender Distanz zum Kobe-Erdbeben ab. Die Stromausfälle in Chiba sind eine weitere Warnung besonders für Tokio, endlich die Lehren der vergangenen Erdbeben umzusetzen. Und wie der Taifun zeigt, verstärkt der Klimawandel die Notwendigkeit noch, die bisherige Abwägung von Kosten und Nutzen zu überdenken.

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