Kleine Fluchten

Mal was Neues sehen? Abseits der ausgetretenen Pfade gehen? Ein Quanten-Zufallsgenerator soll helfen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.

Aufstehen, frühstücken, zur Arbeit fahren, Feierabend – haben Sie auch manchmal das Gefühl, ihr Leben würde quasi auf Schienen laufen? Tut es tatsächlich, sagen die Initiatoren des "Fatum Project". Fatum heißt so viel wie Schicksal, Karma, Kismet – der Lauf der Dinge, der bereits vorgegeben ist, aber die Randonauten wollen diesen Ablauf durchbrechen, indem sie sich vom Zufall an irgendeinen Ort schicken lassen, den sie freiwillig nie aufgesucht hätten.

Zugegeben, die komplette Theorie dazu liest sich erstmal, als hätten sich ein paar Physik-Studenten mit einem Faible für Konzeptkunst einen schlechten Scherz erlaubt. Auf den zweiten Blick liefert sie aber eine interessante Begründung für ein faszinierendes Rätsel: Den Widerspruch zwischen der chaotischen, sprunghaften Quantenwelt und unserer wohl geordneten makroskopischen Realität.

Denn auf der Ebene der kleinsten Teilchen, Atome und darunter, gilt der reine Zufall. Ob ein Quantensystem in einem bestimmten Zustand ist oder nicht, kann nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angegeben werden. Der Übergang von einem Zustand zu einem anderen – also zum Beispiel der Zerfall eines radioaktiven Teilchens – passiert ebenfalls rein zufällig, ohne erkennbare äußere Ursache.

Dass sich aus einer derartig unbeständigen Basis eine makroskopische Welt mit klarer Ursache und Wirkung aufbaut, erklären Physiker gerne mit der Dekohärzenz der Quanten-Eigenschaften. Die zerfallen, wenn sie zu sehr gestört werden – bei Licht besehen ist das aber keine Erklärung, sondern nur eine andere Umschreibung eines rätselhaften Phänomens.

Die Randonnauten sagen nun, dass Lebewesen mit Bewusstsein sich in einem Realitäts-Tunnel bewegen, der den Raum möglicher zukünftiger Ereignisse so einschränkt, dass er unser Leben deterministisch und damit vorhersagbar erscheinen lässt. Der Tunnel wird durch ein Stasis-Feld zusammen gehalten, das über Meme auf den Geist einwirkt. Das stärkste davon ist das "Verzweiflungs-Mem" bei dem eine Handlung uns sinnlos, wie ein Betrug oder Scherz vorkommt.

Randonauten versuchen nun, ihren Tunnel zu verlassen, in dem sie rein zufällig ausgesuchte Orte aufsuchen. Die Koordinaten dazu werden von einem online verfügbaren Quantenzufallszahlengenerator und werden komfortabel von einem Telegram Bot ausgeliefert.

Damit aber nicht genug: Das Princeton Engineering Anomalies Research (PEAR) will experimentell nachgewiesen haben, das Menschen durch die Kraft ihrer Gedanken Zufallszahlen-Generatoren beeinflussen können. Die Fatum-Software sucht also auf Wunsch der Users nach Häufungen der zufällig erzeugten Koordinaten – sie nennen diese Häufungen Attraktoren.

Wie gesagt, das ist ziemlich abgefahrenes Zeug. Das PEAR Lab wurde 2007 geschlossen – offiziell wegen mangelnder wissenschaftlicher Standards.

Aber wer glaubt, dass sei alles Spinnerei, könnte daneben liegen. Der Physiker Lucien Hardy von der University of Waterloo hat 2017 ein sogenanntes Bell-Experiment vorgeschlagen, bei dem erstmals getestet werden soll, ob der menschliche Geist Einfluss auf Quanten-Messungen nehmen kann.

Ein Bell-Experiment prüft, ob zwei Teilchen miteinander "verschränkt" sind. Verschränkung ist ein Phänomen, das nur in der Quantenmechanik auftritt. Man schickt dazu zwei Teilchen, zum Beispiel polarisierte Photonen, zu zwei weit entfernten Orten und misst dann möglichst gleichzeitig mit einem Polarisationsfilter ihre Polarisation. Die Stellung des Polarisationsfilters wird jeweils durch einen Zufallsgenerator bestimmt. Bei verschränkten Teilchen gibt es eine seltsame statistische Übereinstimmung zwischen den Messergebnissen an beiden Orten.

Manche Physiker glauben, die Fernwirkung ließe sich damit erklären, dass die Zufallsgeneratoren nicht wirklich unabhängig voneinander, sondern über "verborgene Variablen" miteinander verbunden wären. Hardy schlug also vor, stattdessen die Hirnwellen von Freiwilligen zu nutzen, um die zufälligen Messungen zu steuern. Mit einer Wahrscheinlichkeit "von ein bis zwei Prozent" glaubt er, würden dabei tatsächlich die Gesetze der Quantenmechanik ausgehebelt. Die Ergebnisse stehen noch aus.

Aber wer vor 20 Jahren behauptet hat, wir könnten exotische Phänomene wie die Quanten-Teleportation tatsächlich technisch nutzen, wäre auch ausgelacht worden. Manchmal hilft es, ein kleines bisschen verrückt zu denken.

(wst)