Die Technisierung des Banalen

Was bringt die Zukunft? Immer mehr faszinierende Technik – oder Neuigkeiten, die kaum noch als solche wahrgenommen werden, weil sie zu zahlreich und selbstverständlich erscheinen?

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Ständig von Neuem fasziniert zu sein, ist nicht möglich. Das Neue erhebt sich für ein paar Momente aus der langweiligen Unendlichkeit des Beständigen, dann verschwindet es wieder oder versinkt ins Alltägliche. Früher haben Kunst und Kulte die Menschen in Erstaunen versetzt, heute setzen Technik und Wissenschaft unsere Fantasie und unsere Gefühle in Bewegung. Die zunehmende Häufigkeit und Vielfalt der technologischen Entwicklungen führen inzwischen aber zugleich zu ihrer Profanisierung.

Als in der Medizintechniksparte der japanischen Firma Hitachi ein neues bildgebendes Verfahren für Gehirnfunktionen entwickelt wurde, war eine der Testanwendungen für den Prototypen die Gedankensteuerung einer Modelleisenbahn, die als Spin-off vermarktet werden sollte. Die schiere Menge produktwerdender und produktgewordener Ideen erfordert – schon als Selbstschutz – auch von interessierten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen möglichst euphoriefreie Zurkenntnisnahme.

2012 lud das Wissenschaftsmagazin Nature eine Reihe von Spitzenforschern ein, Prognosen zu einem breiten Spektrum von Themen abzugeben. Zum Stichwort Suche kam der Google-Forschungsleiter Peter Norvig zu Wort. Die Mehrheit der Suchanfragen, so seine Einschätzung, werde 2020 in gesprochener Form eingegeben, ein kleiner Anteil sogar schon in direkter Gehirn-Maschine-Kommunikation. Die durchsuchten Inhalte würden dann aus einer Mischung von Text, Sprache, Fotos und Videos bestehen, aber auch aus aufgezeichneten Interaktionen mit Freunden, aus Caches von GPS-Sensoren oder Aufzeichnungen medizinischer Geräte. Gute Voraussetzungen für künftige Zeitreisende.

Immer unbegrenztere Computer- und Speicherkapazitäten und hyperrealistische Darstellungsmethoden wie Virtual Reality machen immer detailgenauere, authentischere Arten des Erinnerns möglich. So wie uns heute alte Kulturgüter Einblicke in das Leben vergangener Epochen bieten, werden die anwachsenden, immer gigantischeren Datenspeicher künftig die Möglichkeit bieten, sich später mit digitaler Hilfe auf zuvor nie gekannte Weise in die Vergangenheit oder in simulierte oder animierte Zukunftsprojektionen zurück- oder vorwärtsbewegen zu können. In Romanen und Filmen sind Zeitmaschinen oft Autos. Auf digitalem Weg kommen die Zeiten nun zu uns gefahren.

Was Datenschützer unter dem Begriff Profil zusammenfassen, nämlich die Spuren unserer Person und unseres Lebens in der digitalen Welt, bleibt dank der technischen Entwicklung in immer detaillierteren Verläufen verfügbar. Wer heute aufwächst, hat die Chance, später nicht nur Bilder oder Filme seines Lebens zur Erinnerung zu Hilfe nehmen zu können, sondern komplette Situationen, Ereignisse, multimediale Verläufe – wie man sich durch den Alltag bewegt hat, wem man begegnet ist, alles eingebettet in die zugehörigen Umgebungen, durch die man sich, wie in den Panoramen von Google Street View, nach Belieben bewegen kann.

Da sie den gesamten Zeitstrom in immer höherer Auflösung nachvollziehbar macht, wird eine Art der Rückschau denkbar, die einer Zeitreise immer näher kommt. Vieles von dem, was inzwischen alltäglich ist, tauchte zum ersten Mal in der Science Fiction auf – die bemannte Raumfahrt bei Jules Verne, Mobiltelefone als "Kommunikatoren" in Star Trek, Faxgeräte bei Philip K. Dick. Im Oktober 1945 beschrieb Arthur C. Clarke in der Zeitschrift Wireless World erstmals geostationäre Kommunikationssatelliten.

Inzwischen liefert die wissenschaftliche Wirklichkeit kreativen Geistern die futuristischen Anregungen. Science-Fiction-Autoren lassen sich von den Ideen von Forschern inspirieren, die wiederum mit Star Trek und Co. aufgewachsen sind und ihre Ideen daran geschult haben.

Wissenschaft und Technologie haben sich heute selbst in so etwas wie eine reale Zukunftsphantasie verwandelt. Fakten und Fantasien greifen immer stärker ineinander. Das Gefühl, dass etwas unmöglich sein könnte, schwindet. An vielen Stellen scheint die Wissenschaft die Science Fiction bereits zu überholen, seien es Quantencomputer oder die Power, die in einem handlichen, kleinen iPhone steckt. In seinem Buch "I'm Working on That" erläutert William Shatner aka Captain Kirk die Bezüge zwischen Raumschiff Enterprise-Gedankenspielen und realen technisch-wissenschaftlichen Fortschritten: "Was vor 30 Jahren in Star Trek vorhergesagt wurde, ist heute ein alter Hut."

(bsc)