Blühender Wandel

In Indien soll ein großes Umweltproblem zusammen mit einem gesellschaftlichen gelöst werden.

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Blühender Wandel

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

"Wir haben uns aus dem Dreck erhoben", sagt Ranjana. Das meint die indische Mutter zweier Kinder aus Kanpur im Wortsinn. Sie gehört der Dalit-Gruppe an, den aus dem Kastensystem ausgeschlossenen "Unberührbaren", die nur schmutzigste Arbeiten annehmen dürfen, diskriminiert und gesellschaftlich isoliert sind. Ranjana putzte in Kanpur in einem Krankenhaus ­Operationsbesteck und wusch Patienten für ein mageres Gehalt, ohne eine Kranken- oder Rentenversorgung. Dann hörte sie von dem Blumen­recycling-Start-up Kanpur Flowercycling PL und verarbeitet nun mit mehr als 170 anderen diskriminierten Frauen Blumen­abfall in Handarbeit zu Weihrauchstäbchen und Räucherkerzen.

Acht Millionen Tonnen Blütenköpfe bringen Inder jedes Jahr in Tempeln den Göttern als Opfer dar. Die heiligen Tempelblumen werden abends aus Respekt nicht in den Müll, sondern in die ebenfalls heiligen Flüsse entsorgt. Beim Verrotten verseuchen sie diese Flüsse mit Pestiziden, Insektiziden und Faulgasen, in denen die Anwohner waschen, baden und fischen.

Dagegen wollten die Freunde Ankit Agarwal und Karan Rastogi etwas ­unternehmen. Sie entwarfen einen Recyclingprozess für die Tempelblumen. Dabei riskierten der Ingenieur und der Betriebswirt bewusst einen Traditionsbruch, indem sie gezielt gesellschaftlich ausgestoßene Frauen für ihr Start-up ein­stellten. Agarwals Entschluss, seinen sicheren Job bei der Cybersecurity-Firma Symantec aufzugeben, schockierte seine Eltern: "Oh Gott, der Junge will Tempel sauber machen", erzählt der Gründer im "Forbes India"-Magazin von ihrer Reaktion. Doch er ließ sich nicht beirren. Inzwischen hat sein Start-­up zahlreiche Preise gewonnen und mehrere Recyclingzentren ­eröffnet. "Ihr Unternehmen hat mich beeindruckt, es ist ein perfektes Beispiel für Kreislaufwirtschaft", lobte Unilever-Geschäftsführer Paul Polman schon 2017 bei der Verleihung des "Unilever Young Entrepreneurs Awards".

Zuerst reinigen die Mitarbeiterinnen die Blumen von Plastik- und anderen Abfällen und sortieren sie nach Arten. Anschließend werden die Blüten mit ­einer Spezialflüssigkeit besprüht, um die phosphathaltigen Pflanzenschutzmittel mithilfe bestimmter Bakterien sowie die Fluorid- und Bleikontamination durch Aktivkohle zu neutralisieren. Wie genau das funktioniert, ist ­Betriebsgeheimnis. Zuletzt werden die Blumen gespült und getrocknet.

Danach fertigen die Frauen aus ihnen drei verschiedene Produkte unter der Marke Phool. Gemahlen und mit Pflanzenharzen sowie weiteren, geheimen Zutaten gemischt, werden sie zu Räucherstäbchen und -kerzen. Diese sind nach Angaben des Unternehmens umweltfreundlich, weil sie anders als herkömmliche Räucherprodukte keine Holzkohle oder künstliche Duftstoffe enthalten und sie sauber verbrennen. Im zweiten Produkt vermischt Phool die Blüten mit Pilzmyzellen und fertigt daraus die biologisch abbaubare Schaum­verpackung "Florafoam". Aus den Blättern und Stängeln entsteht dann noch zusammen mit Kuhdung Kompost. Als weiteres Produkt soll ein pflanzliches Lederimitat folgen.

Phool verarbeitet täglich etwa 8,4 Tonnen Blumen. Demnächst sollen es 50 Tonnen werden. Dafür will Phool 3700 Frauen einstellen und spricht mit der Regierung, um landesweit Recyclingzentren für Tempelblumen zu eröffnen.

Heute kann Ranjana, die ihre Geschichte im Film "Dignity with Flowers" ("Würde durch Blumen") erzählt, von ihrem Gehalt leben, die Schul­gebühren pünktlich bezahlen und sich Notwendiges wie ein Bett und Annehmlichkeiten wie einen Fernseher leisten. Phool bezahlt ihre Kranken­versicherung und Rentenvorsorge. Vor allem aber gilt sie nun für Mitglieder höherer Kasten als respektabel genug, um sie zu besuchen.

(bsc)