RIPE 79: Vom IT-Studium und umgekehrten Geschlechterverhältnissen

Der Frauenanteil in der IT-Branche wächst weltweit kaum. Dass es an kulturellen Einflüssen liegen könnte, legen überraschende Zahlen aus dem Iran nahe.

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RIPE 79: Vom IT-Studium und umgekehrten Geschlechterverhältnissen

(Bild: Unesco)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Monika Ermert
  • Dusan Zivadinovic

Die Zahl weiblicher Informatikerinnen wächst weltweit nach wie vor zu langsam, lautet die Bilanz einer Diskussion beim 79. Treffen der europäischen Adressvergabestelle RIPE. Allerdings gibt es auch verblüffende Ausnahmen: Neda Kianpour, Lead Network Engineer Public DNS bei Salesforce, erklärte, dass die Verhältnisse in ihrem Heimatland Iran teils umgekehrt sind. Deshalb gab es im Iran zeitweilig sogar eine Quote zugunsten der Männer.

Entsprechend war der Wechsel von der Universität Teheran an die Universität Limerick in Irland für Kianpour ein Kulturschock: Als sie dort ihre Masterausbildung aufnahm, begann sie mit einer einzigen weiteren Frau, und diese brach ihr Studium nach einem Jahr ab.

"Meine Eltern haben mich sehr zu einem technischen Studium ermutigt," erklärte Kianpour im Gespräch mit heise online am Rande der Diskussion auf dem RIPE-Treffen. "Neben dem Prestige geht es dabei auch um die finanziellen Aussichten. Mit einem Musikstudium lassen sich später kaum Rechnungen bezahlen".

Ihre gegensätzlichen Erfahrungen im Iran und in Irland decken sich mit unterschiedlichen Statistiken zu technisch-naturwissenschaftlichen Fächern in der arabischen, Teilen der asiatischen und der westlichen Welt. In Europa erwarben laut einer Studie der Unesco unter 1000 Hochschulabsolventinnen gerade mal 29 einen Abschluss in Informatik. Lediglich vier verfolgten eine weitergehende Karriere in der IT-Branche. Im Iran betrug 2015 der Frauenanteil in Naturwissenschaften und Mathematik jedoch 65 Prozent.

In mehreren Ländern der Welt betrug der Frauenanteil 2015 in naturwissenschaftlichen Studienfächern 65 Prozent oder mehr. Was machen diese Länder anders als Westeuropa?

(Bild: Unesco)

Im Westen gehen in jüngster Zeit die Anfängerinnenzahlen sogar leicht zurück. Während laut dem Branchenverband Bitkom 2016 in Deutschland noch 8966 Frauen ein Informatikstudium starteten, waren es ein Jahr später nur noch 8792 (-1,9 Prozent). Gleichzeitig stieg die Zahl der männlichen Studienanfänger von 30 052 auf 30 430 an.

2012, nachdem Kianpour ihren Bachelor im Iran schon abgeschlossen hatte, führte die Regierung von Mahmud Ahmadineschād Quoten ein, die den Zugang von Frauen auf maximal 50 Prozent beschränkten oder noch weiter herabsetzten. Von einzelnen Studiengängen wurden Frauen komplett ausgeschlossen, mit der Folge, dass Jungs mit schlechteren Noten die begehrten Plätze bekamen. Die UN rügte die Diskriminierung 2015. Später lockerte die Regierung Rouhani die Bestimmungen wieder.

Allerdings sollte man vor allem die Geschlechterstatistiken in der arabischen Welt und im Nahen Osten nicht isoliert betrachten. Die Libanesin Salam Yamout, Mitglied des RIPE NCC Executive Board, teilt zwar die Auffassung, dass sich junge Frauen durch einen Hochschulabschluss, insbesondere in einem technischen Fach, mehr Unabhängigkeit von der Familie erhoffen. Diesen Schluss zog im vergangenen Jahr auch eine britische Studie.

Doch es müsse auch berücksichtigt werden, dass iranische Familien vorzugsweise ihre Söhne ins Ausland zum Studium schicken. Die Vorstellung von den vielen arabischen Informatikerinnen sei daher sicherlich ein wenig zu optimistisch, bedauert Yamout, die selbst im Libanon als Chefin der Internet Society für mehr Frauen in der Branche kämpft.

Aber auch wenn man einbezieht, dass ein Teil der männlichen IT-Studenten in iranischen Statistiken fehlen, liegt der Frauenanteil im Westen weit unter denen des Iran. Und das Fazit bleibt: Eltern und Schulen im Iran kriegen es einfach besser hin, Mädchen für die Informatik begeistern. (dz)