Digitalisierung: Eine Frage der Priorität

Die Deutsche Bahn ruft eine „Digitalisierungsoffensive“ aus und probiert sich aktuell mit dem „Komfort Check-In“. Trotzdem schafft die DB-App es nicht, über geänderte Abfahrtszeiten zu informieren.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 4 Kommentare lesen
Editorial: Digitalisierung: Eine Frage der Priorität
Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Dorothee Wiegand

Bei einer Fahrt von Berlin nach Hannover passierte es mir kürzlich, dass der per App gebuchte Zug nicht auf der Abfahrtsanzeige erschien. Zum Glück waren wir deutlich vor der planmäßigen Abfahrt des ICE am Bahnhof. Der Zug fuhr an diesem Tag nämlich eine halbe Stunde früher als sonst. Die DB-App hatte darüber nicht informiert. Bei einer längeren Reise mit je zwei Umstiegen auf der Hin- und Rückfahrt verpasste ich alle vier Anschlüsse. Schön war, dass man selbst zehn Minuten vor Fahrtantritt im Alternativ-Zug noch einen Sitzplatz reservieren konnte. Weniger schön: Der reservierte Sitzplatz befand sich in einem Wagen, der wegen Stromausfalls nicht betreten werden durfte.

An vielen Stellen, so scheint es, kennt die Bahn zwar alle Informationen, kann sie aber nicht sinnvoll miteinander verknüpfen. Gut, dass das Unternehmen eine "Digitalisierungsoffensive" ausgerufen hat! Ganz oben auf der To-do-Liste steht aktuell offenbar der "Komfort Check-in". Seit Ende 2017 experimentiert die Bahn schon mit dieser Funktion, mit der Reisende ihr Ticket selbst entwerten sollen. Ausgerechnet die Besitzer einer BahnCard 100 dürfen zwar noch nicht mitmachen, dennoch wird der Service derzeit massiv beworben.

Dass der Zugbegleiter jetzt keine Arbeit mehr mit meinem Ticket hat, mag für ihn ja ganz praktisch sein. Mir fallen allerdings gleich eine ganze Reihe von Komfort-Funktionen - nein: selbstverständlichen Funktionen ein, die deutlich weiter oben auf die To-do-Liste gehören. Automatische Kostenerstattung im Fall von Verspätungen zum Beispiel. In der DB-App könnte doch ein "Jetzt Erstattung anfordern"-Knopf erscheinen, sobald der per App gebuchte Zug mehr als eine Stunde zu spät ist. Alle für einen solchen Service nötigen Informationen liegen der Bahn elektronisch vor. Trotzdem müssen die Reisenden immer noch von Hand einen mehrseitigen Vordruck ausfüllen, um eine Erstattung zu beantragen.

Online abrufbare Erstattungen, rechtzeitige Benachrichtigung bei geänderten Abfahrtszeiten und eine Sitzplatz-Reservierung, die mir keine gesperrten Sitzplätze verkauft - das wären meine Top 3 für die Digitalisierungsoffensive der Bahn.

Dorothee Wiegand

Dieser Artikel stammt aus c't 23/2019. (dwi)