Klimawandel und IT: Die Schlote der Digitalisierung rauchen kräftig

Vor allem Blockchain, Tor und cloudbasierte Technologien seien Stromfresser im Internet, beklagt der Chief Digital Officer im Umweltministerium, Martin Wimmer.

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Klimaverschmutzung: Die Schlote der Digitalisierung rauchen kräftig

(Bild: yotily/Shutterstock.com)

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Die Klimabelastung durch die vernetzte Informationstechnik werde immer höher, moniert der erste Chief Digital Officer bei der Bundesregierung, Martin Wimmer. "Die Schlote der Digitalisierung rauchen genauso wie die in Gelsenkirchen früher", erklärte der IT-Beauftragte des Bundesumweltministeriums am Donnerstag bei der Tagesspiegel-Talkrunde "Data Debates" im Telefónica-Basecamp in Berlin. Die größten Treiber seien die Datenbanktechnik Blockchain und darauf aufsetzende Anwendungen wie Bitcoin, der Anonymisierungsdienst Tor und cloudbasierte Technik.

Der Durchschnittsnutzer greife heute "mit irgendeinem Endgerät" auf Dienste in der Cloud "über ganz, ganz viele Stationen wie Server, Satelliten oder Sendestationen" zu, erläuterte Wimmer. Bei den meisten dieser Anwendungen würden zusätzlich persönliche Interessen für zielgerichtete Werbung analysiert. Insgesamt werde für den Online-Betrieb Strom auf zahllosen Rechnern bis in den Weltraum hinauf benötigt. Die Kurve steige zudem "noch unglaublich" an, da weltweit erst rund 50 Prozent der Menschen im Internet seien.

Andererseits könne die Digitalisierung aber auch hilfreich für den Klimaschutz sein, konstatierte der frühere Siemens-Kommunikationschef. Die IT der Bundesverwaltung habe es sich schon 2008 zum Ziel gesetzt, die Verbräuche in den eigenen Rechenzentren zu reduzieren. Bisher sei es gelungen, den Energiehunger dort um 60 Prozent in absoluten Zahlen zu senken. Um dieses Resultat stabil unter einem gewissem Deckel zu halten, müsse die Verwaltung aber immer wieder in neue Technik investieren.

Das Umweltressort hat im Frühjahr eine "umweltpolitische Digitalagenda" aufgestellt, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Darin fordert es etwa eine "Umweltdaten-Cloud", in der Energie-, Mess- und Strahlenwerte gesammelt werden sollen. Die Verfügbarkeit solcher Daten in Echtzeit sei wichtig, um auf dieser Basis auch mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) klimaschutzfreundliche Entscheidungen treffen zu können, verteidigte Wimmer in diesem Fall den Einsatz der zuvor kritisierten Speichertechnik. In der Landwirtschaft könne ein solcher Ansatz etwa dazu beitragen, weniger Schädlingsbekämpfungsmittel auszubringen.

Auch der Blockchain kann der Digitalexperte noch eine gute Seite abgewinnen: mit ihr sei es möglich, verlässliche Informationen in der Nahrungskette bis hin zum Verbraucher zu haben. Die von Facebook angestoßenen Pläne für die virtuelle Währung Libra schätzt Wimmer unter diesem Aspekt ebenfalls positiv ein: sie hätte beim Generieren zumindest nicht das Problem der ständig steigenden Transaktionen und wäre damit eine "umweltfreundlichere Alternative zu Bitcoin".

Aus der Klimaperspektive gesehen bezeichnete Linus Steinmetz, Sprecher von Fridays for Future, die Blockchain als "katastrophisch". Wenn es mit dem Bitcoin-Schürfen ohne neue Berechnungsverfahren so weitergehe wie bisher, wäre das aktuelle "Klimabudget" der Menschheit nach elf bis 22 Monaten aufgebraucht. Google warf der Aktivist zugleich Foulspiel mit der Ansage aus, nur noch erneuerbare Energien zu benutzen. Schaue man sich die Zahlen genauer an, führe der Internetkonzern Ausgleichszahlungen durch und der tatsächliche Kohle- und Gasanteil liege zwischen fünf und 15 Prozent. Bei vielen anderen Netzgrößen sei die Situation aber noch viel schlimmer.

"Wir brauchen zu 100 Prozent regenerative Energien", gab David Nelles, Autor des Buchs "Kleine Gase – Große Wirkung: Der Klimawandel" als Parole aus. Nur so seien die Klimaziele der Bundesregierung für 2030 mit 55 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen gegenüber 1990 noch einzuhalten. Zudem komme man angesichts dieser Latte "mit Maßnahmen Einzelner nicht weiter", es müssten alle etwas machen. Um das 40-Prozent-Ziel für 2020 zu erreichen, könnten dagegen individuelle Beiträge wie weniger Fleisch essen, weniger Auto fahren oder weniger streamen noch ausreichend sein.

Die Energiewende kann laut Nelles nur mit der Digitalisierung funktionieren, da nur so die Stromversorgung koordinierbar sei. Auf der Produktionsseite gebe es mittlerweile statt großer, einfach steuerbarer Meiler viele kleine Anbieter wie Windparks und Betreiber von Solaranlagen auf Dächern. Nachfrage und Angebot müssten sich aber irgendwo treffen, was sich am besten mit KI abschätzen lasse. In großen Ballungsräumen ließen sich zudem bis zu 90 Prozent des Verkehrs durch autonomes Fahren etwa mit Robo-Taxis und andere vernetzte Mobilitätsmodelle reduzieren. Das Internet der Dinge sorge zudem für mehr Transparenz beim Stromverbrauch, womit sich Einsparpotenziale identifizieren ließen.

Zugleich verwies der Student aber auf einen Rebound-Effekt. Beim Streaming brauche man für einen Song zwar vergleichsweise wenig Energie, gleichzeitig sei das Musikhören aber günstiger und einfacher geworden, sodass sich der Konsum hier gegenüber 2000 fast verdoppelt habe. Wimmer warnte indes davor, den Klimaschutz auf die Energiefrage zu verkürzen. Nur noch auf die Erneuerbaren zu setzen sei "totaler Quatsch", da damit das Ressourcen- und Wachstumsproblem nicht gelöst werde: "Wir brauchen eine radikale Transformation unserer Gesellschaft in allen Bereichen." Sich etwa ständig "Marketing-getrieben" das neueste Smartphone zu kaufen und das alte wegzuwerfen, gehe in die ganz falsche Richtung.

"Wir haben natürlich auch ein Recycling-Programm seit vielen Jahren", hielt Valentina Daiber, Vorstand Recht und Corporate Affairs bei Telefónica Deutschland, dem entgegen. "Wir ermutigen unsere Kunden, Altgeräte zurückzugeben." 2018 habe der Konzern so 58.000 Handys eingesammelt, von denen rund 57.000 in die Wiederverwertung gegangen und so manches ein "zweites Leben angetreten" habe. Zudem habe Telefónica die Vorgabe, den Energieverbrauch im Verhältnis zu 2015 um 40 Prozent bis 2020 zu senken, bereits 2018 erreicht.

Das Mobilfunknetzwerk selbst schlucke 96 Prozent des vom ganzen Unternehmen benötigten Stroms, berichtete die Juristin. Für den kommenden Standard 5G seien im Vergleich zu LTE zwar "sehr viel mehr Basisstationen" nötig, die Technologie biete aber auch "Effizienzen". Der Saldo sei so "noch nicht ganz klar". In einem Pilotprojekt werte die Firma zudem Mobilitätsdaten der Kunden "ganz anonymisiert" aus, um Verkehrsflüsse besser planen und Staus vermeiden zu können. Es sei aber bislang nicht so, "dass Hunderte von Städten Schlange stehen, um das in Betrieb zu nehmen".

Dass Firmen beim Klimaschutz selbst die Initiative ergriffen, spricht laut dem Schulstreiker Steinmetz dafür, dass von politischer Seite her nicht genügend Druck auf dem Kessel sei. Der Gesetzgeber wälze seine Verantwortung oft auf die Nutzer ab, statt der Wirtschaft mehr Anreize zu geben, die Klimavorgaben möglichst schnell umzusetzen. Erfolgsgeschichten aus der EU zeigten, dass die Politik durchaus etwa festlegen könne, dass Digitalgeräte wie Laptops im Stand-by-Modus nur noch ein Watt Leistung aufnehmen dürften. (olb)