Drohnen mit Defibrillatoren an Bord

Defibrillatoren können unter anderem Kammerflimmern beheben – wenn sie schnell beim Patienten sind. Dafür könnten Drohnen sorgen.

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Drohnen mit Defibrillatoren an Bord

Solche Notfallkästen finden sich mancherorts in öffentlichen Gebäuden und Firmen, doch zumeist in Städten.

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Birgit Sander
  • dpa

Bricht ein Mensch mit Herz-Kreislauf-Problemen zusammen, trennen ihn nur wenige Minuten vom Tod. Sein Leben retten können eine sofortige Herzdruckmassage und ein Defibrillator. Doch ein Rettungswagen braucht in dünn besiedelten Regionen oft länger als die angestrebten acht Minuten zum Patienten. Drohnen könnten schneller sein. Ein Projektteam an der Universitätsmedizin Greifswald hat vor, Defibrillatoren mit Drohnen zum Ort der Reanimation zu fliegen. Im Landkreis Vorpommern-Greifswald beginnt jetzt eine Machbarkeitsstudie.

"Wir sind keine technikaffinen Drohnen-Fans", sagt der Direktor der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin Greifswald, Klaus Hahnenkamp. "Wir wollen, dass wir auf dem Lande genauso gute Überlebenschancen haben wie in der Stadt." Tests in der Kleinstadt Penkun und in Greifswald sollen zeigen, ob speziell ausgerüstete Drohnen medizinische Geräte transportieren können und wie das organisiert werden müsste. Ein solches Projekt ist Hahnenkamp weder aus Deutschland noch anderen Ländern bekannt. Die rund ein halbes Jahr dauernde Studie wird vom Bundesgesundheitsministerium mit gut 400.000 Euro unterstützt.

Für die Tests im November und Dezember werden in Wohnungen tatsächliche Notfälle nachgestellt, wie die für strategische Unternehmensentwicklung zuständige Ärztin Mina Hinsch sagt. 60 Prozent der Herz-Kreislauf-Stillstände treten laut Deutschem Reanimationsregister zu Hause auf. Die laut Szenario betroffenen Angehörigen alarmieren die Rettungsleitstelle unter 112 und beginnen selbst mit der Herzdruckmassage an einer Puppe. Die Retter orten über Smartphone den nächsten geschulten Ersthelfer und schicken ihm die Drohne mit dem weniger als ein Kilogramm wiegenden Schockgeber. In Penkun startet das Fluggerät auf dem Gelände der Freiwilligen Feuerwehr. Der Ersthelfer eilt damit zum Patienten und löst den Angehörigen ab. "Aus Erfahrung wissen wir, dass Ersthelfer etwa fünf Minuten früher als der Rettungswagen da sind", berichtet Hahnenkamp.

Die Zeiten und Wege während der Tests werden gemessen. Ziel ist es, ein System zu entwickeln, nach dem Drohnen so stationiert werden, dass sie die Lücken in der Erstversorgung auf dem Lande schließen. Getestet werden solle auch, ob die kleinen Fluggeräte aus ihren "Garagen", wo sie vor Witterungseinflüssen geschützt und stets einsatzbereit stehen sollen, automatisch starten können, sagt Hinsch.

Während Defibrillatoren auf dem Lande selten sind, gibt es sie in Städten meist – aber wo genau, darüber hat in Deutschland niemand einen Überblick. Der Arbeitersamariterbund (ASB) Hamburg hat begonnen, die Geräte zu kartieren und eine Datenbank aufzubauen. Über eine Handy-App kann jedermann den nächstgelegenen Schockgeber finden.

Der ASB Mecklenburg-Vorpommern hat sich der Initiative mit der Kampagne "MV schockt" angeschlossen, berichtet Sprecher Dorian Koberstein in Rostock. Seit 2017 seien mehr als 100 Defibrillatoren registriert worden, zumeist in Ämtern, Einkaufspassagen, Sozialstationen, Pflegeheimen und Hotels. Viele dieser Geräte seien aber nur zu den Öffnungszeiten der Einrichtungen erreichbar. Auch wollten wegen des materiellen Wertes der Geräte nicht alle Besitzer in die Datenbank augenommen werden. Die Karte des ASB ist noch voller weißer Flecke, etwa in der Mecklenburgischen Seenplatte. Auch rund um Penkun herrscht Hinsch zufolge Leere.

Wenn flächendeckend Laien zum Reanimieren in der Lage wären, könnten in Deutschland jährlich 10.000 Menschenleben nach Herzstillstand gerettet werden, ist Hahnenkamp überzeugt. Eine sofortige Herzdruckmassage verdoppele die Überlebenschancen. Komme ein medizinisch ausgebildeter Ersthelfer mit einem Defibrillator hinzu, verdreifache sich die Chance, dass der Patient überlebt. Im Vergleich zu Dänemark oder den Niederlanden gibt es nach Expertenmeinung in Deutschland recht wenige Ersthelfer. Im Kreis Vorpommern-Greifswald wurden bisher 312 "Landretter" geschult. (anw)