Die neue Lust auf Podcasts

Raus aus der Nische, rein in den Mainstream: Podcasts begeistern immer mehr Nutzer. Konzerne wie Spotify wittern das große Business, was nicht bei allen für Freude sorgt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 21 Kommentare lesen
Die neue Lust auf Podcasts

(Bild: Bild: Albert Hulm)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Holger Bleich
Inhaltsverzeichnis

Ob beim Sport, auf dem Weg zur Arbeit oder als Einschlafhilfe: Immer mehr Smartphone-Nutzer hören Podcasts, statt sich mit Musik berieseln zu lassen. Die einen mögen es einfach, ein paar Freaks beim Witzeln zuzuhören, die nächsten nutzen „leere“ Zeit, um sich politisch zu bilden, wieder andere lauschen spannenden Storys in den vielen True-Crime-Podcasts. Und die echten Podcast-Enthusiasten mischen sich ihr individuelles Tageshörprogramm aus all diesen Zutaten zusammen.

Einer Bitkom-Studie zufolge hört hierzulande mittlerweile jeder Fünfte ab und an Podcasts. Der aktuelle Digitalisierungsbericht Audio der Landesmedienanstalten ist von einer repräsentativen Vergleichsstudie vom Forschungsinstitut Kantar unterfüttert. Und er weist ein enormes Wachstum aus. Die Anzahl der (mindestens gelegentlichen) Podcast-Hörer sei binnen eines Jahres von 9,4 (5/2018) auf 11,8 Millionen (5/2019) und damit auf 16,8 Prozent der deutschen Personen ab 14 Jahren gestiegen. Unter den 14- bis 29-Jährigen liege der Anteil sogar bei 29,1 Prozent.

Quelle: Digitalisierungsbericht Audio 2019 / die medienanstalten

Kein Wunder, denn der Einstieg in die Audio-on-Demand-Welt ist supereinfach: Mit einer App auf dem Smartphone, dem Podcatcher, lassen sich Podcasts finden und abonnieren. Neue Episoden lädt die App automatisch herunter, sobald sie erscheinen. Nach dem Anhören gibt die App auf Wunsch den Platz für Nachschub frei. Hat der Nutzer im Catcher ein festes Set von Abos etabliert, entsteht so ein nie versiegender Strom von immer frischen Episoden – die meisten Podcasts haben feste Rhythmen, etwa wöchentlich oder monatlich zu einem bestimmten Wochentag.

Technisch gesehen geben Podcaster ihre Audio-Dateien (meist MP3) über einen RSS-Feed mit einem einst von Apple eingeführten Tag-Schema bekannt. Podcatcher-Apps grasen die abonnierten Feeds ab, lesen neue Einträge aus und finden dort die URL, unter der sie die neue Episode herunterladen können. All das läuft auf Senderseite meist automatisiert, beispielsweise über ein WordPress-Plug-in in Verbindung mit Serverplatz oder einen Podcast-Hoster wie Podigee.

Hörer schätzen viele technische Vorteile, die Podcasts im Vergleich zu linearem Radio bieten: Man kann vor- und zurückspulen, vor allem aber unterbrechen und später an derselben Stelle weiterhören. Fast alle Apps spielen Podcasts auch schneller oder langsamer ab als im Original. Das funktioniert mittlerweile sehr gut.

In die MP3-Datei kodierte Kapitelmarken unterteilen den Podcast-Inhalt in Themen, zu denen der Hörer direkt springen kann. Außerdem haben Podcaster die Möglichkeit, über den Feed weiterführende Infos und URLs anzuhängen. Diese sogenannten Shownotes zeigt die Catcher-App beim Hören an. Sie bereichern viele Podcasts und ersparen dem Publikum die Suche etwa nach genannten Quellen.

Diese Funktionen und das offene Prinzip der Podcast-Technik haben dazu geführt, dass über die Jahre eine Szene „von unten“ herangewachsen ist – sowohl auf Produzenten- als auch auf Konsumentenseite. Podcasts waren eine Nische für Liebhaber, in der kein Geld zu verdienen ist. Das hat sich gründlich geändert.

In den USA hat der Boom bereits 2014 eingesetzt: Podcasts wurden immer professioneller – und qualitativ hochwertiger – produziert, spezialisierte Firmen und Medienunternehmen sprangen auf, die Vermarktung lief richtig an. Das Interactive Advertising Bureau (IAB) erhebt seit zwei Jahren zusammen mit PwC seine „Podcast Revenue Study“: Den jüngsten Zahlen zufolge lagen die mit Werbung generierten Einnahmen durch Podcasts in den USA 2017 noch bei 323 Millionen US-Dollar, für 2019 erwartet das IAB 679 Millionen. 2021 werde die Milliardenschwelle übersprungen.

Mit Verzögerung schwappt dieser Trend nun nach Europa, auch nach Deutschland: Gut bezahlte Sponsorenhinweise und native, also vom Podcast-Host gesprochene Werbespots nehmen zu. Nicht nur Radiosender, sondern auch Zeitungs- und Zeitschriftenverlage gehen mit qualitativ hochwertigen Produktionen an den Start. In den iTunes-Charts der meistgehörten Podcasts finden sich mittlerweile mehrheitlich Audioserien des Deutschlandfunks und von überregionalen Zeitungen wie FAZ, Süddeutsche oder Zeit.

Dem gegenüber stehen spezialisierte Podcast-Label, die hochwertige Inhalte produzieren und vermarkten. Als Vorreiter gilt das US-amerikanische Unternehmen Gimlet Media, dessen Gründer Alex Blumberg die nervenaufreibende Entstehungsgeschichte in seinem berühmten Podcast „StartUp“ gleich selbst erzählte. Zu Gimlet gehören sehr bekannte Podcasts wie „Reply All“ oder „Homecoming“, wobei letzterer sogar zu einer TV-Serie mit Julia Roberts verfilmt wurde.

Puristen beklagen, dass die großen proprietären Audioplattformen Podcasts als Zugpferd-Inhalte für sich entdeckt haben. Die Amazon-Tochter Audible etwa veröffentlicht exklusiv, also nicht im offenen Ökosystem. Spotify als größter Streaming-Anbieter steht zwar für jeden Podcast offen, finanziert aber auch exklusive Eigenproduktionen. So ist beispielsweise der sehr populäre Podcast „Fest & Flauschig“ von Jan Böhmermann und Olli Schulz nur auf der Plattform verfügbar.

Ende März dieses Jahres hat Spotify gezeigt, wohin die Reise gehen könnte: Man übernahm für 230 Millionen US-Dollar ausgerechnet das hoch angesehene Label Gimlet Media, außerdem noch weitere kleine Firmen aus der Podcast-Welt. Spotify verband dies mit der Ankündigung an die Anleger, dass dies noch lange nicht alle Ankäufe waren, die man 2019 tätigen will. So schürt der Konzern weiter die Furcht der Szene: Die Plattform-Ökonomie könnte eine ehemals offene Podcast-Landschaft soweit zerklüften, dass bald kein (kosten)freier Zugang zumindest zu kommerziellen Produktionen mehr besteht.

Hinzu kommt: Seit einiger Zeit tummeln sich Unternehmen in dieser Landschaft, die von sich behaupten, das „Netflix für Podcasts“ werden zu können. Im Grunde geht es um Podcast-Hoster, die ein eigenes Ökosystem mit eigenen Zugangs-Apps zu ihren exklusiven Inhalten bereitstellen. Bezahlt wird wie bei Netflix monatlich flat. Im Mai etwa startete in den USA die Plattform Luminary, der Zugang kostet monatlich acht US-Dollar. Ein holpriges erstes halbes Jahr führte bereits dazu, dass der CEO rausflog. Nutzerzahlen hat Luminary noch nie veröffentlicht, in Europa ist es noch nicht verfügbar.

Auch ein „europäisches Netflix für Podcasts“ steht in den Startlöchern, und zwar länger als gedacht: Das dänische Start-up Podimo wollte schon online sein, bislang kann man sich aber nur bei der Podimo Deutschland GmbH auf eine Einladungsliste setzen lassen. Auch hier soll ein Flat-Modell gelten, Zugang gebe es über die App dann aber auf alle Podcasts – auch auf die per Feed abonnierbaren.

Die Fragmentierung ist nur eine böse Vorahnung der Puristen: Noch kann man das Gros der deutschen Podcasts frei über jeden Catcher abonnieren. Viele Podcaster empfehlen deshalb, ihre Podcasts lieber über diesen Weg zu hören als etwa über Spotify, um die Vielfalt der Hörmöglichkeiten zu bewahren.


Dieser Artikel stammt aus c't 24/2019. (hob)