Wikimedias CEO plädiert für mehr Zusammenarbeit

Zum Abschluss des ersten Tages des Web Summit hielt Katherine Maher einen passionierten Appell gegen den Wettbewerb.

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Katherine Maher auf der WebSummit Bühne

Katherine Maher auf der Center Stage des WebSummit 2019

(Bild: heise online / Hartmut Gieselman)

Lesezeit: 3 Min.

Die Welt befinde sich in einer Vertrauenskrise, sagt Katherine Maher, CEO der Wikimedia Foundation, deren prominentestes Projekt die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist. Diese Krise habe nicht nur ein historisch nie dagewesenes Ausmaß, sondern sei auch eine existenzielle Bedrohung für Menschheit und vor allem Menschlichkeit. Vertrauen, das oft auch implizit und unhinterfragt gegeben werde, sei die Infrastruktur unserer Gesellschaft.

Warum genau sich die Leute massenhaft von etablierten Autoritäten abwenden würden, weiß auch Maher nicht. Mögliche Ursachen seien eine wachsende Einkommensspreizung, global verbreitete Korruption oder Akteure die absichtlich die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion verwischen wollen, meinte Maher in ihrer Rede auf dem Web Summit. Wenn gesellschaftliche Systeme nicht mehr allen Mitgliedern der Gesellschaft zugutekämen, würden diese Anfangen den Systemen zu misstrauen – und in der Folge auch einander. Letztendlich würden die Menschen mehr und mehr polarisiert und parteiisch.

Dieser Abwärtstrend ist Mahers Meinung nach allerdings nicht unausweichlich. Gesellschaftliche Krisen, wie auch die aktuelle Vertrauenskrise, hätten grundsätzlich das Potenzial, die Menschen zusammenzuschweißen. In desaströsen Zeiten könne die Menschheit Gemeinschaft aufbauen, sich die eigene Menschlichkeit verdienen und Großes schaffen.

Das Online-Lexikon Wikipedia nennt Maher als leuchtendes Beispiel für solche gemeinschaftlichen Projekte. Das Lexikon sei von einer bloßen Enzyklopädie zu einer gemeinschaftlichen Ressource geworden, die global Teil der gesellschaftlichen Infrastruktur sei. In Zeiten allgemeinen Misstrauens genieße ausgerechnet dieses für alle offene Gemeinschaftsprojekt mehr Vertrauen als die meisten anderen Institutionen.

Die Stärke der Wikipedia sei, das sie letztendlich auf einer global geteilten, zutiefst menschlichen Eigenschaft fuße: der Neugierde, dem Willen Dinge zu Wissen und dieses Wissen weiterzugeben. Das sei letztendlich was uns zu Menschen mache, was Menschen nach ihrem Ableben hinterlassen könnten und was die Menschheit als Ganzes verbinde. Um Unterschied zu den meisten anderen Gütern könne Wissen auch offen und frei geteilt werden, ohne dass der ursprünglichen Quelle etwas verloren gehe.

Der gesamtgesellschaftliche Nutzen von Wissen werde dann maximiert, wenn es allen frei zur Verfügung stehe, anstatt der Kontrolle einzelner Akteure zu unterliegen. Historisch seien zwar ganze Reiche auf der exklusiven Kontrolle von Wissen aufgebaut gewesen, aber die Wikipedia als freies, offenes und kollaboratives Projekt habe trotzdem gegen so konzentriertes Wissen anwachsen können. Das zeige welches Potential die Menschheit habe, wenn sie zusammenarbeite. Entsprechend kritisch dürfte Maher aktuelle russische Pläne sehen, Konkurrenzprodukte aufzubauen.

Mit ihrem Appell für globale Kollaboration stellt sich Maher nicht nur gegen eine Kernkomponente des Kapitalismus, sondern auch ganz explizit gegen das Start-Up-Mantra "move fast and break things". Man müsse stattdessen langsamer vorgehen und Dinge aufbauen, sagt sie. Vor allem aber müsse man einander vertrauen und an Kollaboration glauben. Einzelne könnten die Welt vielleicht verändern, aber verändern bedeute nicht retten und niemand könne alleine die Welt retten.

Obwohl sie sich um ähnliche Probleme sorgt, schlägt Maher damit einen anderen Ansatz als Snowden vor. Dieser trat vorher auf der gleichen Bühne (per Video-Konferenz) auf und forderte stattdessen Geschäfts- und Unternehmensmodelle, die von vornherein kein Vertrauen erforderten. (syt)