Freigekauft aus der Drogenverantwortung

Über die USA rollt eine Drogenepidemie hinweg und die Pharmakonzerne, die sich dafür vor Gericht verantworten sollten, kaufen sich mit einem Vergleich frei.

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Das US-Zentrum für Seuchenkontrolle und -prävention (CDC) hat drastische Zahlen parat: Zwischen 1999 und 2018 sind mehr als 400.000 Menschen in den USA an Opioid-Überdosen gestorben. Die Rede ist hier nicht von Heroin spritzenden Junkies in Parks und Bahnhofskatakomben. In den USA sterben täglich etwa 130 Menschen an von Ärzten verordneten Schmerzmitteln, vor allem an dem Wirkstoff Fentanyl. Das Opioid ist etwa 80 Mal so wirksam wie Morphin und wird in den USA häufig und gerne verschrieben. Es führt Patienten in vielen Fällen auf geradem Weg erst in die Abhängigkeit und dann in den Tod.

Aggressives Marketing und Lobbyarbeit führten dazu, dass das Schmerzmittel unter dem Namen Oxycontin als vermeintlich harmloses Medikament massenhaft unter die Patienten gebracht wurde. Medizinisch sinnvoll ist nach Ansicht von Pharmakologen jedoch nur, schwerstkranke und sterbende Schmerzpatienten damit zu behandeln.

Nach fast 20 Jahren Medikamentenmissbrauchs-Epidemie mit schwindelerregenden Opferzahlen hatte Präsident Trump 2017 dem Opioidmissbrauch den Kampf angesagt und langsam machen die amerikanischen Staatsanwälte mobil: In Massachusetts und Oklahoma nahmen Gerichte die ersten Pharmakonzerne in die Verantwortung und verurteilten sie zu Strafzahlungen in Höhe von 634,5 und 572 Millionen Dollar.

Beim ersten Anlauf auf Bundesebene kamen die Richter allerdings gar nicht erst zum Zug. Anwälte handelten Vergleiche aus und verhinderten damit, dass ein richtungsweisendes Urteil gefällt werden konnte. Der israelische Arzneimittelhersteller Teva und die drei US-Pharmagroßhändler McKesson, AmerisourceBergen und Cardinal Health zahlten 260 Millionen Dollar als Vergleichssumme und wendeten den Prozess in buchstäblich letzter Minute ab. Dieser Vergleich war vermutlich nur der Anfang, denn geklagt wird auf allen Ebenen: Bundestaaten, Bezirke, Städte… Sie alle wollen die Pharmaindustrie zur Verantwortung für ihre Drogenkrise ziehen.

Der Vergleich ist eine pragmatische Lösung. Die Pharmakonzerne müssen sich nicht in die Karten schauen lassen. Bislang steht der Vorwurf, dass aggressive Werbung und Lobbyarbeit letztlich zu der Todeswelle geführt haben, unbelegt im Raum. Die internen Papiere der Konzerne würden vermutlich ein grelles Licht auf die gewinnorientierten Vermarktungsstrategien einer so gefährlichen Substanz werfen. Und auch die Kläger haben kein Interesse an langwierigen Prozessen. Ein Prozess, der über Jahre läuft, hilft den Süchtigen nicht, die durch falsche Beratung in die Sucht geführt wurden. Denen hilft nur Geld für Hilfsprogramme.

Bleibt ein schaler Nachgeschmack. Auch wenn die US-Dollars milliardenweise fließen, übernimmt niemand die Verantwortung. Es geht hier immerhin nicht um abstrakte Industriesünden. Es geht um Menschen, die sich hilfesuchend mit Schmerzen an einen Arzt wenden und in der Sucht enden.

Apropos Arzt. Da drängt sich nebenbei die Frage auf, ob amerikanische Ärzte gar keine Kurse in Arzneimittelkunde belegen müssen? Selbst wenn die Pharmakonzerne aggressiv werben – verschrieben haben letztlich Ärzte das Oxycontin. Wie sieht es mit deren Verantwortung aus?

(jsc)