Kommentar: Docker hat's vergeigt

Mirantis hat sich die Enterprise-Sparte von Docker einverleibt. Damit beginnt der Totentanz. Docker hat sein Potenzial gänzlich verschenkt, meint Björn Bohn.

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Container

(Bild: stock.xchng)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Björn Bohn
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Es ist vollbracht: Unser geliebter Container-Wal schwimmt leblos mit dem Bauch nach oben durch die stürmischen Seen der Cloud-nativen Welt. Das Cloud-Unternehmen Mirantis – eher ein kleiner Fisch im Ozean – hat sich die Enterprise-Sparte von Docker, Inc. einverleibt.

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Damit ziehen 750 Kunden und 300 der ungefähr 520 Mitarbeiter in ein neues Zuhause ein. Was für Docker, Inc. übrig bleibt, ist ein kleiner Rest, der noch größere Probleme haben wird, das Schiff auf einer stabilen Finanzwelle reiten zu lassen. Das schier unendliche Potenzial und der enorme Einfluss, den das Unternehmen auf zeitgemäße Softwareentwicklung hat, wurden vollkommen verspielt – rien ne va plus.

Dabei hat alles so schön angefangen. Docker-Gründer und -Erfinder Solomon Hykes hat die Container-Technik vor gut sechs Jahren im Rahmen der PyCon vorgestellt. Seitdem war der Hype eigentlich ungebrochen: Eine ganze Industrie ist auf der Container-Welle mitgeritten. Zig Unternehmen sind aus dem Boden geschossen und haben ihre eigenen Produkte, Tools und Techniken gestartet, eine erfolgreicher als die andere – nur Docker selbst hat es nie auf die Reihe bekommen, damit reich zu werden. Ein Ding der Unmöglichkeit.

Dabei war Docker zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Denn Softwarearchitekturmodelle wie Continuous Delivery (CD), Continuous Integration (CI) und der generelle Trend hin zu Microservices profitieren stark von den Möglichkeiten, die Docker mit der Containerisierung bietet. Docker hat damit einen wichtigen Grundstein gesetzt – aber es in der gesamten Firmengeschichte nicht geschafft, ein funktionierendes Business-Modell darum zu stricken.

Zugegeben: Docker war nie schlecht darin, sich durch Finanzierungsrunden am Leben zu halten. 2014 mit einem 15-Millionen-US-Dollar-Invest begonnen, hat das Unternehmen unter anderem 95 Millionen im Jahr 2015 und 92 Millionen vergangenes Jahr eingestrichen. Im Zuge der Übernahme durch Mirantis hat Docker auch noch einmal eine Finanzierung von 35 Millionen bekanntgegeben. Ein wenig bizarr.

Im Jahr 2015 schätzte man den Firmenwert auf eine Milliarde US-Dollar – der jetzige Kaufpreis ist nicht bekannt, wird sich aber kaum auf diese Summe belaufen. Denn Docker hat es trotz einiger Personalwechsel nicht geschafft, profitabel zu werden. Docker-Mitgründer Ben Golub hat das Docker-Schiff im Mai 2017 verlassen. Solomon Hykes folgte im März 2018 darauf. Steve Singh sollte den Kurs richten und das Unternehmen wirtschaftlich stabil halten, er verließ aber bereits ein Jahr später wieder den Kapitänsposten. Sein Nachfolger Rob Bearden hielt kein Jahr durch – mit der Mirantis-Übernahme ging der Posten an den bisherigen Chief Product Officer Scott Johnson. Eine Continuous Delivery von Personalwechseln, die allesamt gescheitert sind.

Docker hätte es sicherlich einfacher gehabt, wäre nicht ein Jahr nach der ersten Vorstellung der Container-Technik die Container-Orchestrierung Kubernetes auf den Markt gestürmt. Kubernetes funktioniert zwar auch mit Docker, aber es liegt unter so vielen komplexen Layern, dass Docker selbst für die meisten irrelevant geworden ist.

Docker hat versucht, mit Docker Swarm eine eigene Container-Orchestrierung auf die Beine zu stellen, die von Kubernetes allerdings gnadenlos überholt wurde. Docker war lange zu stolz, diese Situation einzusehen und hat erst im April 2018 Kubernetes in die Docker Enterprise Edition aufgenommen. Das war viel zu spät. Mit der Übernahme von Mirantis wird Swarm endgültig gestorben sein – denn Mirantis hat den Fokus in seinen Produkten voll auf Kubernetes gelegt. Die Trauer darüber wird sich in Grenzen halten.

Ein Kommentar von Björn Bohn

Björn Bohn ist Redakteur bei heise Developer. Außerdem organisiert er mehrere Tech-Konferenzen für Entwickler, deren Themen von Continuous Delivery bis hin zum Einsatz von JavaScript in Unternehmen reichen.

Neben den Kunden von Docker hat sich Mirantis die Produkte Docker Enterprise Technology Platform, Docker Enterprise Engine, Docker Trusted Registry, Docker Unified Control Plane und Docker CLI geschnappt. Der verbleibende Rest von Docker, Inc. will sich auf die Entwicklerwerkzeuge Docker Desktop und Docker Hub konzentrieren. Damit lässt sich wohl kaum Geld scheffeln.

Bleibt also abzuwarten, was mit dem Rest von Docker passiert – und ich habe da eine Vermutung. Das Unternehmen hat in all seinen Produkten immer viel Wert auf einen Support für Windows-Nutzer gelegt. Auch bei Projekten wie dem Packaging-Format CNAB hat Docker eng mit einem gewissen Unternehmen aus Redmond zusammengearbeitet. Und wer setzt gerade voll auf Open Source und hat sich mit GitHub schon einen Favoriten der Entwickler-Community geleistet?

Microsoft wird kein Interesse an den Firmenkunden von Docker gehabt haben. Aber auch Microsoft hat viel in Bewegung gesetzt, um Docker auf Windows lauffähig zu machen. Durch die Abspaltung der Enterprise-Sparte bestünde also jetzt die Chance, dass die Macher der Container-Technik gut in das Portfolio passen würden – denn Satya Nadella liebt Open Source. Bleibt abzuwarten, ob ich recht behalte – und wenn ja, wie viel Microsoft für die neue Geliebte zahlen möchte. (bbo)