Ein Gen macht Politik

Vor 50 Jahren isolierte Jonathan Beckwith das erste Gen aus Coli-Bakterien.

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Ein Gen macht Politik

(Bild: Shutterstock)

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Wir schreiben das Jahr 1969. Der erste Mensch betritt den Mond, die USA befinden sich im Krieg mit ­Vietnam, in Woodstock feiert die Hippiebewegung ihren Höhepunkt. Und Jonathan Beckwith präsentiert in „Nature“ am 22. November das ­erste isolierte Gen. Was DNA ist, dass Gene die einzelnen Bausteine des Lebens codieren, dass sie sich in Doppelhelices in jedem Zellkern, in Bakterien und einigen Viren finden – all das ist längt bekannt. Aber niemandem war es bisher gelungen, ein ­einzelnes Gen aus der vollständigen DNA herauszutrennen.

François Jacob und Jacques Monod hatten bereits den Nobelpreis für ihr Operon-­Modell entgegengenommen. Es erklärt, dass jedes Bakteriengen aus einer festen Abfolge dreier Elemente besteht, dem sogenannten Operon. Am ersten Teil dockt der Ablesemechanismus an, am zweiten Teil kann die Zelle durch Blocker verhindern, dass das Gen abgelesen wird – etwa wenn das ­Protein momentan nicht benötigt wird –, und der dritte Teil enthält den eigentlichen Bauplan für das Protein. Dieses Modell haben sie mit dem lac-Operon entwickelt. Es enthält den Code für ­Beta-Galaktosidase im Darmbakterium Escherichia coli. Das Enzym, das die Bakterien damit bauen, verdaut Milchzucker.

Genau dieses Gen konnte Beckwith ein paar Jahre später an der Harvard-Universität in Boston isolieren. Die Publikation trägt den Namen „Isola­tion of Pure lac Operon DNA“. Und eine unscheinbare elektro­nenmikroskopische Abbildung des Gens, ein helles Fädchen auf grauem Grund, geht um die Welt. Zwar werden weder seine Methode noch das Gen selbst jemals biotechnologisch ­relevant werden – Erstere ist zu kompliziert, Letzteres zu unbedeutend. Dennoch war mit dieser Arbeit der erste Schritt in die Gentechnik gegangen. Auf einmal schien es erreichbar, Gene auszuschneiden, wiedereinzusetzen und das Erbgut nach Belieben zu manipulieren. Der Rest ist Gegenwartsgeschichte.

Die „New York Times“ schrieb damals auf der Titelseite: „Playing With Biological Fire“, eine Einschätzung, die Beckwith teilte. In einem „Spiegel“-Interview aus dem Jahr 2010 erinnert er sich: „Nach der Isolierung des Gens haben wir in Boston sofort in einer Pressekonferenz verkündet, wir seien besorgt. Ich wusste damals noch gar nicht genau, warum ich besorgt war. Aber meine Bedenken haben dazu geführt, dass ich mir am meisten Sorgen über den genetischen Determinismus mache“, also die Theorie, dass die Gene unser Leben vollständig bestimmen – wir ausschließlich das Produkt unserer Gene sind.

Nach seiner Entdeckung hätte ihm die wissenschaftliche Welt zu Füßen liegen können. Aber Beckwith war geprägt von ­einer Zeit, in der die Jugend alles und jedes infrage stellt. Nach der Isolierung des Gens forscht er zwar als Harvard-Professor weiter, beginnt sich jedoch von der wissenschaftlichen Gemeinde zu entfremden, wird zum Aktivisten und Kritiker. Er protestiert gegen den Vietnamkrieg, tritt der linken Bewegung der „Science for People“ bei und ermahnt seine Kollegen, nicht ­alles durch die Brille der Genetik zu betrachten. Besonders die damals in Mode gekommene Verhaltensgenetik – letztlich als Basis für eine neue Rassenlehre – treibt ihn um.

Als die Amerikanische Gesellschaft für Mikrobiologie ihn für seine Verdienste mit einem Preis auszeichnete, den der Pharmakonzern Eli Lilly gestiftet hatte, reagierte er in seiner Dankes­rede nicht ganz so, wie die Beteiligten es wohl erwartet hatten. Beckwith nutzte die Gelegenheit, um die Pharmaindustrie ­anzuprangern und ein politisches Zeichen zu setzen: „In einer gerechten Gesellschaft sollten diejenigen die Auszeichnungen erhalten, die einen sinnvollen Beitrag zum Wohle aller Menschen leisten.

Deshalb haben wir beschlossen, die eine Hälfte des Preisgeldes an die Boston Panther Free Health Movement und die andere Hälfte an den Defense Fund for the Panther 21 in New York zu spenden.“ Zur Erinnerung: Wir befinden uns im Jahr 1969. In diesem Jahr begannen die Black Panther, kommunale soziale Programme aufzubauen, und J. Edgar Hoover, Direktor des FBI, bezeichnete die Partei als „größte Gefahr für die innere Sicherheit des Landes“.

(bsc)