Trotz Finanzmetropole Frankfurt: Hessens Start-up-Szene ringt um Anschluss

Hessen kämpft um junge Unternehmen. Sie sind Triebfedern für wegweisende Technologien. Die Kreativen zieht es jedoch häufig in angesagtere Metropolen.

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Trotz Finanzmetropole Frankfurt: Hessens Start-up-Szene ringt um Anschluss

(Bild: kram9/Shutterstock.com)

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Von
  • Wilhelm Pischke
  • dpa
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Jung, hip, bärtig: Im "Tech-Quartier" des Frankfurter Pollux-Turms tüfteln junge Gründer - meist Männer - an neuen Geschäftsideen und Technologien. Die stylischen Großraumbüros auf zwei Etagen an der Messe sehen sich als Aushängeschild der hessischen Start-up-Kultur. "Wir haben hier einen Zugang zur Tech-Welt", sagt der Geschäftsführer des "Tech-Quartiers", Thomas Funke. Rund 130 Start-ups hätten einen festen Platz in den Räumen.

Sogar prominente lokale Unternehmen wie die Fraport oder Eintracht Frankfurt hätten schon bei den jungen Gründern angefragt, berichtet Funke stolz. Die Fraport als Betreiber des Frankfurter Flughafens wollte beispielsweise mit digitalen Lösungen die Passagierabwicklung kundenfreundlicher gestalten und habe sich deshalb Hilfe aus dem "Tech-Quartier" geholt, erklärt Funke.

Die Finanzmetropole Frankfurt ist nicht nur wegen des "Tech-Quartiers" Hessens Start-up-Herz: "Die Stadt bringt viel mit: Sie ist divers, international und studentisch geprägt", betont Funke. Die Nähe zu den großen ansässigen Unternehmen berge Chancen - aber auch Risiken: "Sie sind potenzielle Kunden und Geldgeber, aber eben auch Konkurrenten beim Kampf der Start-ups um die kreativen Köpfe."

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Doch hessische Start-ups sitzen nicht nur in Frankfurt, auch andere Regionen können bei Gründern punkten: In Mittelhessen gibt es nach Angaben des Wirtschaftsministeriums eine junge Gründer-Szene in der Life-Science-Branche, also etwa bei Medizin- und Diagnostikprodukten. "Mit den drei mittelhessischen Hochschulen, zahlreichen Gründer-Hubs und einer unterstützenden Förder- und Investorenlandschaft ist Gießen definitiv eine Region, die junge Unternehmen anzieht", meint Antje Bienert, Geschäftsführerin eines Technologiezentrums in Gießen.

Weiter nördlich im Land haben sich zudem kleine, junge Unternehmen mit Fokus auf erneuerbare Energien angesiedelt. "Die ansässigen Kompetenzen und eine gute Wissensinfrastruktur bieten ein gutes Umfeld für diese Technologien", sagt Christopher Neumann, einer der Gründer des Kasseler Start-ups "prosumergy". Das Unternehmen bietet Lösungen für die effiziente Nutzung von Solarenergie an. Auch die relativ niedrigen Mieten würden junge Gründer anziehen.

Universitätsstädte wie Gießen oder Kassel profitieren von ihrer studentischen Substanz – auch wenn wohl nur wenige bei der Gründung bewusst den Weg in die hessische Provinz einschlagen. Eher entsteht die Geschäftsidee während der Studienzeit.

Tatsächlich hat Hessen – trotz aller Unkenrufe über Deutschland als steiniges Pflaster für Start-ups – alle Voraussetzungen für ein leistungsstarkes Start-up-Ökosystem – gute Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die zentrale Lage im Verkehr, finanzkräftige Kapitalgeber und Highspeed-Verbindungen mit dem Internetknoten in Frankfurt.

Doch das allein ist kein Grund für Höhenflüge. Der Abstand Frankfurts zu Metropolen wie Berlin sei noch immer gewaltig, meint ein Sprecher der Comdirect-Bank, die regelmäßig Studien über Start-ups in Deutschland veröffentlicht. "Die spielen, was die Start-ups anbelangt, in einer anderen Liga". Selbst die Bankenstadt Frankfurt könne trotz Bemühungen um junge Finanzfirmen nicht mit der Konkurrenz Schritt halten. Bei der Zahl der ansässigen Finanz-Start-ups sei München 2018 vorbeigezogen, heißt es in einem Comdirect-Papier.

Auch Funke vom "Tech-Quartier" sieht die Start-up-Szene in Hessen und speziell Frankfurt in den Kinderschuhen. Im Vergleich zu den Gründer-Hochburgen wie Berlin, Hamburg und München erkennt er vor allem ein Problem: "Frankfurt gilt nicht unbedingt als hipp. Es fehlt eine stärker sichtbare Kreativszene." Auch beobachte er in der Finanzstadt einen Gründertyp, der deutlich "weniger Lärm produziere" als in anderen Städten. Viele Start-ups in Frankfurt böten ihre Dienste anderen Firmen an, nur wenige seien für den Konsumenten sichtbar. So fliege die Frankfurter Szene etwas "unter dem Radar".

Einige Studien sehen indes Besserung: Ein renommierter Szene-Report führt Frankfurt bei Finanz-Start-ups und Darmstadt bei Cyber-Security als herausragende Standorte mit besonders gutem Zugang zu Talent und Finanzierung auf. Und die US-Analysefirma Startup Genome sieht die Region Frankfurt-Rhein-Main gar unter den weltweit 50 besten Standorten für Gründer.

Solche Erfolge sind auch ein Ergebnis der Arbeit im "Tech Quartier". Der Austausch der Unternehmer gehöre zum A und O des Gründens, sagt Funke. "Dafür biete das Quartier eine gute Basis. Das Lernen von Anderen ist insbesondere in der Anfangsphase essenziell." Mit Spieleabenden und "Äppler-Treffs" versucht Funke optimale Bedingungen zu schaffen. Dennoch müsse noch viel Pionierarbeit geleistet werden, betont Funke. Gerade Frauen hielten sich beim Gründen noch zurück. "Bei uns ist nur ein Viertel der Gründer weiblich." (jk)