Die Zukunft der Raumfahrt: Wohin wollen Deutschland und Europa?

Wieder zum Mond, einen deutschen Weltraumbahnhof, zigtausende Satelliten fürs Internet – Raumfahrtideen gibt es viele. Wo sehen Deutschland und Europa Chancen?

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Die Zukunft der Raumfahrt: Wohin wollen Deutschland und Europa?

(Bild: ESA/NASA)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Simon Sachseder
  • dpa
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Raketenstarts von Deutschland aus? "Wir brauchen einen unabhängigen Zugang zum All", betont Andreas Hammer vom Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie jüngst zur Idee eines Weltraumbahnhofs in Rostock oder Nordholz bei Cuxhaven. Es ist nicht der einzige Hinweis, dass auch in Deutschland verstärkt auf eigene Projekte gesetzt werden soll. Eigene Systeme, das sei in der Raumfahrt wichtig, gerade mit Blick auf mögliche "robuste Auseinandersetzungen", also Krisen und Konflikte, sagt der Koordinator der Bundesregierung für die deutsche Luft- und Raumfahrt, Thomas Jarzombek (CDU).

Unpolitisch war Raumfahrt nie – und aktuell ist das machtpolitische Gerangel ums All wieder in vollem Gange. "Space Forces" werden gegründet und die Nato bringt ins Spiel, das All zu einem eigenständigen Operationsgebiet zu erklären. Wird diese Entwicklung zulasten staatenübergreifender Vorhaben gehen? Die Weichen für gemeinsame Raumfahrtprojekte in Europa werden am 27. und 28. November in Sevilla gestellt, wo die Mitgliedsländer der Europäischen Weltraumorganisation ESA über Programme und deren Finanzierung verhandeln. In welche Richtung wird es gehen?

ESA-Chef Jan Wörner ist ein spezielles Thema wichtig: der Müll im All. "Wir müssen zwei Dinge machen", sagt Wörner. "Wir müssen erstens alles, was da oben an Schrott ist, runterholen." Zweitens müsse geplant werden, wie es sich in Zukunft vermeiden lässt, dass weiterer Schrott entsteht. "Und beides haben wir in dieser Ministerratskonferenz vorgesehen."

Immer mehr kaputte Satelliten und anderer Weltraumschrott wie ausgebrannte Raketenstufen umkreisen die Erde, die Wahrscheinlichkeit für Kollisionen mit funktionsfähigen Satelliten steigt. Wird das Problem nicht gelöst, könnten niedrige Umlaufbahnen für Satelliten unbrauchbar werden – die Kollisionsgefahr wäre schlicht zu hoch. "Auch für uns ist die Entfernung von Weltraumschrott zentral", sagt Raumfahrt-Koordinator Jarzombek. Der CDU-Politiker leitet die deutsche Delegation auf der Konferenz. Er spricht sich für ein internationales Regelwerk aus. "Das wollen wir sowohl auf UN-Ebene, als auch europäisch und mit den US-Amerikanern in Angriff nehmen, die da momentan auch sehr nach vorne gehen."

Im kommenden Jahr soll zudem die neue Rakete Ariane 6 zum ersten Mal abheben. Über ihren Bau war vor fünf Jahren entschieden worden. Die 60 Meter hohe Rakete soll schneller und günstiger sein als ihre Vorgängerin. Doch reicht das? Der Markt hat sich seit der Entscheidung stark verändert, vor allem das US-Raumfahrtunternehmen SpaceX von Elon Musk drückt die Preise. Große Teile der Raketen des US-Konkurrenten sind wiederverwendbar. Während die Falcon-9-Erststufe wieder auf der Erde landet, bleibt die Ariane 6 ein Einwegprodukt.

Aus europäischer Sicht ist der Wettbewerb aber nicht fair: "Elon Musk bekommt Milliarden von der NASA, um irgendwelche Cargogüter auf die Raumstation zu bringen", so Wörner. "Die Frage ist, ob er diese Milliarden tatsächlich für den Service braucht, oder ob er damit kommerzielle Raketenstarts auf dem Markt günstiger anbieten kann." Selbst EU-Institutionen fliegen oft lieber mit einer SpaceX-Rakete - darunter auch die Bundeswehr, die zuletzt noch plante, drei Spionagesatelliten mit SpaceX ins All zu befördern. Thomas Jarzombek sagte im Juli: "Wir sind unsicher, wie die kommerzielle Perspektive der Ariane 6 aussieht."

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Pierre Godart, Deutschlandchef des Herstellers ArianeGroup, spricht von Sicherheitsaspekten: "Die Raumfahrt findet Anwendung in so vielen wichtigen Bereichen: Wettervorhersagen, Grenzkontrollen, Internet, Netzempfang, Fernsehen und vieles mehr." Es handle sich um kritische Infrastruktur. "Wollen wir uns diesbezüglich wirklich von anderen abhängig machen? In der Raumfahrt gilt: ohne Souveränität auf der Startrampe keine Souveränität im Orbit."

Jedenfalls macht die Rakete zusammen mit der Internationalen Raumstation (ISS) einen guten Teil der deutschen Investitionen in die ESA aus. Beide sollen wohl beibehalten werden. In Zukunft sollen nach dem Willen der Bundesregierung aber verstärkt Mittelständler und Start-ups von Investitionen in die Raumfahrt profitieren. Es sei ganz ausdrückliches Ziel, deren Perspektiven in der Branche zu stärken, so Jarzombek.

Für Klaus Schilling vom Bereich Robotik und Telematik der Universität Würzburg ist am Ende nicht nur das Geld entscheidend: "Man kann auch mit Schwerpunktsetzungen und einer guten Umsetzungsstrategie in wichtigen Nischenbereichen eine Marktführerschaft anstreben." Beispielsweise sei beeindruckend, wie Luxemburg strategisch geschickt mit seinem begrenzten Budget ganz gezielt neue Raumfahrt-Segmente aufgreife. "Wenn kein größeres Finanzvolumen möglich ist, dann sind umso mehr Kreativität und eine gute Strategie gefragt." (mho)