Half-Life Alyx: Mit der Brechstange gegen VR-Langeweile

Die VR-Spielebranche dümpelte lange im Schnarchmodus vor sich hin. Nun sorgt Valve mit Half-Life: Alyx für Wallung – ein mutiger Alleingang mit Hindernissen.

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Half-Life Alyx: Mit der Brechstange gegen VR-Langeweile

(Bild: Valve)

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Das populärste VR-Game der Welt ist ein vergleichsweise simples Musik-Spiel. In Beat Saber schlagen Spieler mit Lichtschwertern rhythmisch auf anfliegende Beat-Blöcke ein – es ist eine einfache, fokussierte Spielidee. Hinter Beat Saber steckt ein Mini-Entwicklerstudio aus Prag, das vorher vor allem Handyspiele entwickelt hat. Gerade erst wurde Beat Games von Facebook gekauft, und obwohl sich der Tech-Gigant zur Übernahmesumme ausschweigt, dürften die Konten der Mitarbeiter in diesem Jahr richtig teure Weihnachtsgeschenke hergeben. Es ist eine seltene VR-Erfolgsgeschichte. Bisher wurden die Hoffnungen, die Spielefirmen in die virtuelle Realität gesetzt haben, weitgehend enttäuscht.

Die Vorzeichen für Half-Life: Alyx könnten sich von Beat Saber kaum deutlicher unterscheiden. Dass Valve überhaupt an einem neuen Teil der kultigen Half-Life-Reihe arbeitet, war schon eine ziemliche Überraschung. Noch viel überraschender: Alyx wird ein VR-Exklusivspiel, wer kein VR-Headset besitzt, hat Pech. Valve ist im Gegensatz zu Beat Games keine kleine Bude in Tschechien, sondern eines der bekanntesten Entwicklerstudios der Welt mit Hunderten Mitarbeitern. Und Half-Life: Alyx wird keine endlos wiederholbare Spielmechanik breittreten, sondern ein Actionspiel samt Story, Rätseln, Geballer und Physik-Spielereien aufziehen. Ein richtiges Triple-A-Game also, noch dazu eines im legendären Half-Life-Universum.

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Half-Life: Alyx wird dadurch eines der ersten Blockbuster-Exklusivspiele für die virtuelle Realität, weil sich bisher kaum jemand so wirklich getraut hat: Selbst Sony, immerhin Hersteller des erfolgreichsten VR-Headsets der Welt und ausgestattet mit einem ganzen Haufen Entwicklerstudios, hat seinen PSVR-Nutzern bisher vor allem kleinere Titel zum Fraß vorgeworfen. Unter den PSVR-Spielen sind tolle Spiele, wie beispielsweise Astro Bot Rescue Mission oder Blood & Truth. Das sind aber keine Titel, die die enthusiastischen "Core Gamer" auf lange Sicht zufriedenstellen. Warum die virtuelle Realität noch unattraktiv für Entwickler ist, zeigen die Zahlen: Die Playstation 4 wurde über 100 Millionen Mal verkauft, das PSVR-Headset nur 4 Millionen Mal.

Auf dem PC ist die Lage noch schwieriger: Die meisten Spieleentwickler halten es schon für problematisch, ein Spiel exklusiv für den PC zu entwickeln, weil der Rechner gerade bei Blockbuster-Spielen noch hinterherhinkt. Die Spielestatistikseite VGChartz.com schätzt etwa, dass nur 2 Prozent der "Assassin's Creed Odyssey"-Retailverkaufszahlen auf den PC fallen, beim Shooter Battlefield V immerhin 3 Prozent. Zwar bevorzugen Konsolenspieler im Gegensatz zu PC-Spielern die Disc-Versionen, die Statistik sieht am Ende trotzdem schlecht für den PC aus. Valves neuer Half-Life-Teil wird voraussichtlich nur von einem Bruchteil eines Bruchteils gespielt werden: Lediglich ein Prozent der aktiven Steam-Nutzer besitzt ein VR-Headset. Das sind bei 90 Millionen aktiven Accounts weniger als eine Million VR-User.

Für die meisten Entwicklerstudios wäre es völlig undenkbar, ein aufwendiges Spiel für eine derart schmale Zielgruppe zu entwickeln. Michal Andrzej Nowakowski, Manager bei CD Projekt Red, wurde bei einer Investorenrunde darauf angesprochen, ob der Launch von Half-Life: Alyx möglicherweise den wenig später angesetzten Start von Cyberpunk 2077 torpedieren konnte – und gab sich gelassen. "VR bleibt ein extremer Nischenmarkt, er ist sehr, sehr klein." Weil das nicht deutlich genug war, legte er nach: "Diese Nische ist wirklich sehr, sehr, sehr – und ich könnte hier noch ein paar Mal mehr 'sehr' einfügen – klein."

Es stimmt zwar, dass viele Half-Life-Fans wegen Alyx in Versuchung kommen dürften, sich eine VR-Brille zuzulegen. Man darf aber den finanziellen Aufwand dafür nicht unterschätzen: Erstens sind VR-Brillen immer noch eine teure Anschaffung. Valves eigene Index-Brille kostet mit Controllern etwa 800 Euro, mit Basisstationen sogar 1080 Euro. Das autarke VR-Headset Oculus Quest, das seit Kurzem auch am PC genutzt werden kann, bekommt man immerhin für 450 Euro, die Rift S kostet aktuell 400 Euro. Am günstigsten kann man Half-Life Alyx mit der HP VR1000 spielen, deren mitgelieferte Controller allerdings nicht mehr zeitgemäß sind.

Doch selbst damit ist es nicht unbedingt getan: Um VR nutzen zu können, muss auch ein Rechner mit potenter Hardware vorhanden sein. Die 12 GByte RAM, die für Alyx notwendig sind, hat nur eine Minderheit der Steam-Nutzer im PC stecken. Außerdem wird für den VR-Spielspaß mindestens eine Grafikkarte auf dem Niveau der GTX 1060 benötigt. Wer Half-Life: Alyx spielen will, müsste im Zweifelsfall also auch den Rechner aufpumpen – eine gewaltige Hürde. Es braucht schon Schneid seitens Valve, den Fans einer so verehrten Spielereihe wie Half-Life nach 12 Jahren derartige Anforderungen vor den Kopf zu knallen.

Half-Life: Alyx (9 Bilder)

(Bild: Valve)

Gleichzeitig ist dieser Eifer aber auch bewundernswert. Valve meint es wirklich ernst – trotz der entmutigenden Zahlen. "VR hat uns neue Energie gegeben", kommentierte Studio-Chef Gabe Newell die Ankündigung von Alyx in einer Pressemitteilung. "Wir haben viel in die Technologie investiert." Tatsächlich arbeitet Valve schon seit 2016 an dem VR-Ableger der Half-Life-Reihe, an der Entwicklung ist unter anderem das 2018 übernommene Studio Campo Santo beteiligt. Für Valve ist Alyx nicht einfach ein Projekt unter vielen, es ist das größte in der Unternehmensgeschichte.

Valve befindet sich in einer privilegierten Position: Dank der von Valve betriebenen Spiele-Plattform Steam müssen die eigenproduzierten Titel keine Mega-Erfolge werden, um das Unternehmen auf Kurs zu halten. Valve verdient bis zu 30 Prozent des Umsatzes an Spiele-Sales auf Steam, ohne dafür große Ressourcen aufbringen zu müssen. Außerdem dürfte sich Valve Synergien versprechen: Wenn Alyx die Steam-User tatsächlich dazu bringt, sich ein Headset zuzulegen, dann kaufen sie danach wahrscheinlich noch andere VR-Spiele auf Steam.

Außerdem hofft Valve auf Gewinne durch den Verkauf der Index-Brille, die im Bundle mit Half-Life: Alyx derzeit die auf Umsatz basierende Top-Selling-Liste von Steam anführt. Für Valve könnte sich der VR-Shooter Alyx also auch dann rechnen, wenn er nicht unmittelbar zum Verkaufsschlager wird.

Trotzdem ist es gewagt, derart viele Ressourcen in ein Spiel zu stecken, das so wenige Leute spielen können. Mit seinem Bemühen um die virtuelle Realität steht Valve unter den großen Spieleunternehmen außerdem recht isoliert da. Xbox-Chef Phil Spencer erteilte einem möglichen VR-Support für die kommende Konsole Xbox Scarlett jüngst mit klaren Worten eine Absage: "Wir schauen uns an, was sich die Verbraucher wünschen, und keiner von ihnen will VR." Gerüchten zufolge arbeitet Sony zwar an einem neuen VR-Headset für die PS5, angekündigt wurde aber noch nichts. Google hat seine VR-Headsets derweil eingestellt.

Es liegt also erst einmal an Valve und Valve alleine, der VR zu ihrem ersten Mega-Hit zu verhelfen. Die ersten Zeichen sind vielversprechend: Im Trailer sieht Half-Life: Alyx super aus, der Ton der beliebten Half-Life-Spiele scheint gut getroffen zu sein. Valve hat ganz offensichtlich von Anfang an in Virtual-Reality-Design gedacht: Interface-Elemente wie die Lebenspunkte sind zum Beispiel direkt in die Handschuhe der namensgebenden Spielfigur integriert, damit die Zahlen den Spielern nicht lose vor dem Auge rumfliegen. Alyx könnte ausgehend vom ersten Trailer ein richtiger Kracher werden.

Einst hat die Half-Life-Reihe das Shooter-Design auf Jahre geprägt, nun könnte dir Virtual Reality folgen. Als VR-Zugpferd hat Half-Life: Alyx aber noch weitere Qualitäten, die nicht nur am eigentlichen Spiel hängen. Valve hat für den Shooter nämlich eine Variante der Source Engine entwickelt, die VR-Funktionen integriert. Andere Entwicklerstudios könnten sich dieses Framework zunutze machen, um sich den Einstieg in die VR-Entwicklung zu erleichtern. Alleine die Engine von Alyx könnte sich so zum VR-Ansporn entwickeln.

Fast scheint es so, als wolle Valve die Branche mit der Brechstange zwingen, VR endlich ernst zu nehmen. Neben Alyx arbeitet Valve noch an zwei weiteren großen VR-Produktionen. Hochwertigen Spielraum hat das Studio ja noch: Abgesehen von Half-Life gehören Valve auch die Spielereihen Portal, Counter-Strike, Team Fortress und Left4Dead.

Korrektur: Bei den Schätzungen von VGChartz handelt es sich ausschließlich um Retail-Verkäufe. (dahe)