Post aus Japan: Drohnen wollen frei sein

NEC ist einer der führenden Hersteller unbemannter Fluggeräte. Vor drei Wochen ist dem Konzern ein Prototyp ausgebüxt.

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Google automatische Drohne

Drohne – hier von Google und nicht von NEC.

(Bild: dpa, Google)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Eine Drohne in Japan zu sein, ist derzeit kein Spaß. Besonders wenn es sich um eine Neuentwicklung handelt. Das Kaiserreich war eines der ersten Länder, das die anarchische Eroberung des erdnahen Luftraums gesetzlich beendet hat. Bereits seit Dezember 2015 ist es für Fluggeräte von 200 und mehr Gramm verboten, ohne Sondergenehmigungen in der Nähe von Flughäfen, über Städten oder in weniger als 30 Meter Entfernung von Menschen zu fliegen.

Noch ärger trifft es derzeit die Flugtaxis, die eines der nationalen Prestigeprojekte sind. Eigentlich möchte Japans Regierung, dass heimische Unternehmen ab 2023 mit eigenen Produkten die globale Lufthoheit erobern. Aber bisher vertrauen Nippons Flugpioniere der neuen Schule ihren geistigen Höhenflügen nicht so recht.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Der Technikkonzern NEC startete im September den Jungfernflug des ersten Flugtaxiprototypen sicherheitshalber in einem mit Fangnetzen abgehängten Stahlkäfig. Und aus japanischer Gründlichkeit leinten sie das Luftfahrzeug gleich auch noch an. Nichts von wegen der Hans Albers'schen Berufsbeschreibung: "Piloten ist nichts verboten, drum gib Vollgas und flieg um die Welt!" In Japan erlegen die neuen Herren der Lüfte ihren Träumen freiwillig Startverbote auf. Das dachte man zumindest – bis nun eine kleine Schwester der Taxidrohne gegen den Hausarrest aufbegehrte.

Bereits am 10. November büxte eine sieben Kilogramm schwere Industriedrohne bei einem Probeflug aus NECs Fabrik in der Stadt Fuchu im Osten der Präfektur Tokio aus. Seither ist das freiheitsliebende "Wesen" verschollen. Doch erst eine Woche später meldete NEC den Ausreißer per Pressemitteilung als vermisst und bat die Öffentlichkeit mit einem Fahndungsfoto um Mithilfe bei der Suche.

Offenbar wollte NEC zuerst den peinlichen Verlust des Prototypen selbst aufklären. Doch die Suche aus der Luft hat weder damals noch heute zum Erfolg geführt. Zu groß und unübersichtlich ist offenbar das mögliche Landegebiet. Japanische Medien berichten, dass die etwa einen Meter große Drohne im automatischen Modus eine Stunde weit geflogen oder selbstständig irgendwo gelandet sein könnte.

Damit könnte sich die Drohne in den bewaldeten Bergen in Tokios Osten verstecken. Oder irgendwo auf einem Haus. NEC warnt daher die Bewohner der Region, dass ihnen von Gebäuden, Hausdächern oder Baumwipfeln eine Drohne auf den Kopf fallen könnte.

Welche Konsequenzen den Schöpfern der Drohne drohen, ist nicht bekannt. Aber sie dürften in Sack und Asche gehen. Denn der Konzern sieht sich in bestem japanischen Skandalmodus genötigt, für den schweren Vertrauensbruch um Entschuldigung zu bitten. "NEC nimmt diese Situation sehr ernst und wird gründliche Maßnahmen ergreifen, um eine Wiederholung zu verhindern", verspricht der Konzern. "Wir entschuldigen uns dafür, Ihnen Sorgen und Unannehmlichkeiten zu bereiten. Vielen Dank für Ihr Verständnis und Ihre Zusammenarbeit."

Ob das reicht, unangenehmen Fragen der Öffentlichkeit und der Aufsichtsämter auszuweichen, ist noch offen. Denn wie kann es sein, dass die Drohne fortflog und nicht mehr geortet werden konnte? NEC ist immerhin Japans führender Technikkonzern, Anbieter von Mobilnetzwerken und ein Handyhersteller.

Dass die Ingenieure keine automatische Rückkehrfunktion eingebaut haben, die in vielen Massendrohnen für eine heile Rückkehr sorgen, verwundert schon. Auch der Einbau von Kommunikationsmodulen dürfte daher ein Leichtes sein. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass NEC sich dafür rechtfertigen muss, dass die Drohne außerhalb der Sichtweite der Piloten geflogen ist. Das ist bisher eigentlich nicht gestattet.

Japans Drohnenindustrie steckt offensichtlich noch in den Kinderschuhen. In der Zwischenzeit: Wer sachdienliche Hinweise zum Verbleib der Drohne hat, möge sich bitte bei NECs Call Center unter der Rufnummer 0120-801-116 melden. Der Anruf aus Japan ist kostenlos.

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