Im Auge des Idols

Wie gefährlich sind hochauflösende Bilder?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Der 26-jährige Hibiki Sato lebt in Japans jüngster Millionenstadt Saitama im Norden von Tokio. Er ist ohne Beruf, scheint jedoch über ungewöhnliche Fertigkeiten zu verfügen, wie man sie sonst nur von Satellitenbildauswertern kennt. Anfang September wartet er an einer U-Bahnstation im Zentrum von Tokio auf Ena Matsuoka, ein 21-jähriges Chika Aidoru – ein Underground-Idol. Sie ist Mitglied der Popband Tenshi Tsukinukeni Yomi.

Die junge Frau weiß von nichts, sie kennt Sato nicht. Japanische Underground-Idole sind Popsternchen, die in kleinen Clubs auftreten und die Nähe zu ihren Fans suchen, von zugehörigen Talentagenturen allerdings bis ins Kleinste durchökonomisiert. Für ein Gespräch zwischen einer und drei Minuten bezahlen Bewunderer beispielsweise 1000 Yen (gute acht Euro).

Gegen 23 Uhr steigt Matsuoka, die gerade von einem Konzert kommt, aus der U-Bahn in der Nähe ihrer Wohnung, die sich in einem Apartmenthaus im Tokioter Stadtteil Koto befindet. Dass ihr jemand folgt, fällt ihr erst auf, nachdem sie die Haustür mit ihrer Schlüsselkarte geöffnet hat und kurz bevor sie zufällt noch ein etwas untersetzter Mann mit Brille in den Hausflur huscht.

Er bedrängt sie, versucht sie mit einem Stück Stoff zu knebeln, ergreift dann unvermittelt wieder die Flucht. Sowohl das Gebäude als auch das Umfeld ist mit reichlich Überwachungskameras bestückt, Sato wird rasch identifiziert und verhaftet. Ihm wird sexuelle Nötigung vorgeworfen.

Sato – die Polizei in Tokio beschreibt ihn als einen "begeisterten Fan" von Ena – hatte die junge Frau mithilfe ihrer in den sozialen Medien geposteten Selfies ausgeforscht. Auf Vergrößerungen der Fotos, die sie von sich in der Umgebung ihres Wohnhauses gemacht hatte, fiel ihm auf, dass sich in ihren Augen eine U-Bahnhaltestelle spiegelt, von der aus sie offenbar normalerweise pendelte. Die Analyse der Reflexionen förderte weitere unverwechselbare Merkmale und Besonderheiten der Umgebung zutage, deren genaue Position er dann mit Hilfe von Google Street View suchte.

Damit ließ sich das Haus, in dem Ena Matsuoka lebt, triangulieren. Dann durchforstete er den Grundriss und Bilder der Innenräume ihrer Wohnung, die sie veröffentlicht hatte – die Anordnung der Vorhänge, den Lichteinfall durch die Fenster. Durch diese Beobachtungen konnte er schließlich feststellen, in welchem ​​Stockwerk des Gebäudes sie wohnt.

Der Fall hat in Japan eine Diskussion über die Gefahren ausgelöst, die mit der Online-Veröffentlichung hochauflösender Bilder verbunden sind. Cyberkriminelle, heißt es, könnten einem nun schon die Fingerabdrücke stehlen, wenn man nur das Peace-Zeichen mit den Fingern macht und fotografiert. Bereits 2004 wiesen zwei Computerwissenschaftler der New Yorker Columbia University darauf hin, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Kameras eine zu niedrige Auflösung haben, um Auskunft auf die Frage zu geben, was ein Bild eines Auges über die Welt und die Person, der das Auge gehört, verraten kann.

Eine der Fähigkeiten, die Computer nur im Film besitzen, ist der unendliche Zoom. Man kann in ein Foto am Bildschirm immer tiefer in Details eintauchen, ohne dass die Auflösung nachlässt. Hier draußen in der dummen, kleinen Wirklichkeit funktioniert der unendliche Zoom immer noch nicht, aber die Auflösung vom Bildschirmbildern ist inzwischen hoch genug, um Bildauswertung zum Volkssport zu machen. Und ich bin sicher, dass, wovor wir Angst haben müssten, nicht gestochen scharfe Bilder sind.

(bsc)