Welt-Aids-Tag: Wenn 88 Prozent nicht genug sind

Deutschland verfehlt eines der "90-90-90-Ziele" der UN in puncto Wissen über die HIV-Infektion. Überraschend, dass in Europa vor allem Frauen über 40 Jahre betroffen sind.

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Als kleinen Nachtrag zum gestrigen Welt-Aids-Tag bin ich auf die folgende Meldung aufmerksam geworden. So melden das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und das WHO-Regionalbüro für Europa, dass in Europa vor allem bei Frauen in ihren 40ern oft eine schon fortgeschrittene HIV-Infektion diagnostiziert wird, wenn also das Immunsystem der Erkrankten bereits dabei ist zu versagen. Drei bis vier Mal häufiger als bei jüngeren Frauen erfolge bei dieser Gruppe eine späte Diagnose. Nach den aktuellen Zahlen des ECDC und der WHO-Europa machten Frauen gut ein Drittel der 141.000 Neudiagnosen in Europa aus.

Gründe für die Spätdiagnosen sehen die beiden Organisationen zum Teil in einer relativ geringen Abdeckung und Akzeptanz von HIV-Tests in der Region. Außerdem deuten sie die Ergebnisse als ein Hinweis darauf, dass sexuelle Risiken, einschließlich HIV und anderer sexuell übertragbarer Infektionen, bei älteren Erwachsenen nicht angemessen behandelt werden. Folgerichtig plädieren die Organisationen für eine stärkere Sensibilisierung von Frauen und Gesundheitsdienstleistern, ein verbessertes und einfach zugängliches Angebot von Beratungsmöglichkeiten und HIV-Tests. Zwei Drittel (60 Prozent) der HIV-Diagnosen bei Frauen im Jahr 2018, so in dem Bericht weiter, waren in der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen. Heterosexueller Sex sei der am häufigsten berichtete HIV-Übertragungsmodus (92 Prozent) bei Frauen in der Europäischen Region (worunter die WHO 53 Länder mit zusammen 900 Millionen Einwohnern fasst) gewesen.

Auf der Präsenz der Möglichkeit von HIV-Tests sollte ein wichtiger Fokus liegen – egal für welche Altergruppe bei. Der/die Frauenarzt/ärztin könnte bei den Routineuntersuchungen darauf aufmerksam machen. Denn wenn bei "älteren" Erwachsenen HIV häufiger die Spät-Diagnose gemacht wird, haben sich diese Betroffenen ja einige Zeit zuvor infiziert – waren sich also der Gefahr in jüngeren Jahren vielleicht nicht bewusst oder hatten nicht die Möglichkeit sich zu schützen. Um diese Spätdiagnosen zu verhindern beziehungsweise zu Früh-Diagnosen zu machen, sollten eben Frauen aller Altersgruppen für das Thema eines HIV-Tests sensibilisiert werden. "Je früher Frauen und Männer über ihren HIV-Status Bescheid wissen, desto eher können sie eine antiretrovirale Behandlung erhalten und die Übertragung von HIV sexuell stoppen. Das macht einen großen Unterschied im Leben der mit HIV lebenden Menschen und ihrer Umgebung", sagt Vytenis Andriukaitis, der EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

Trotz dieser ernüchternen Meldung liegt für Deutschland ein positiver Trend vor. So meldet das Robert-Koch-Institut (RKI) einen Rückgang der Neuinfektionen: von 2.500 in 2017 auf 2.400 in 2018 (nicht zu verwechseln mit den dem RKI gemeldeten Neudiagnosen). Die Zahl der Menschen, die mit einer HIV-Infektion in Deutschland leben, ist laut RKI auf 87.900 gestiegen.

10.600 von diesen Betroffenen, so schätzt das RKI, wissen noch nicht von ihrer Infektion. Etwa jede dritte Neuinfektion werde erst mit einem fortgeschrittenen Immundefekt diagnostiziert. Das Wissen, dass man vom HI-Virus betroffen ist, ist demnach auch hierzulande ein Knackpunkt – und sorgt so dafür, dass Deutschland die sogenannten "90-90-90"-Ziele der UN nicht erreicht. Diesen zufolge sollen 90 Prozent der Menschn mit HIV Medikamente erhalten, 90 Prozent sollen davon wiederum "unter der Nachweisgrenze" sein (durch die Behandlung den Virus nicht mehr auf andere Menschen übertragen können) und 90 Prozent sollen von ihrer Infektion wissen. Nach den aktuellen Zahlen vom RKI käme Deutschland damit auf 88 Prozent. Grund genug also, den Appell vom ECDC und der WHO-Europa nach einer verbesserten Strategie in puncto Sensibilisierung und Zugang zu bekräftigen.

(jle)