Zahlen, bitte: Strich, Stab und Kette – der Wechsel zum metrischen System

Heute vor 220 Jahren wurde per Gesetz im revolutionären Frankreich das metrische System eingeführt. Es brauchte einige Tricks, damit es sich durchsetzen konnte.

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Zahlen, bitte: Strich, Stab und Kette – Der Wechsel zum metrischen System
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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Vor 220 Jahren beschloss die Republik Frankreich, das verhasste System der Maße und Gewichte des Ancien Régimes abzuschaffen und durch ein System zu ersetzen, das auf dem métre (Meter) basierte. Laut Dekret vom 19. Frimaire VIII des Revolutionskalenders sollten hinfort nur noch millimétre, centimétre, decimétre, kilométre gelten, bei einem métre der Länge von 443,296 Pariser Linien. Ähnlich ging es bei den Gewichten zu und auch die Tage sollten dezimal definiert sein, mit dem 10. Tag als arbeitsfreien Sonntag.

Das klappte nicht und so entschied sich Napoleon Bonaparte dafür, per Dekret die alten Namen wieder zuzulassen, sie aber ins metrische System zu integrieren. Aus dem Millimeter wurde der Trait (Strich), aus dem Zentimeter der Doigt (die Daumenbreite), aus dem Dezimeter die Palme (Handbreite) usw. Nur der Meter selbst wurde nicht umbenannt. Das neue System wurde unter dem Namen des Alten schließlich akzeptiert.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

In der vertrackten Geschichte vom Meter und dem metrischen System war es mit dem Beschluss der Nationalversammlung von 1799 und dem Dekret von Napoleon nicht getan, denn nach der Republik und der napoleonischen Herrschaft wollte man die verhassten revolutionären Meterangaben nicht mehr, die an universale Werte wie Solidarität und Brüderlichkeit erinnerten. Man führte ein Système Usuel mit alten Maßen ein, die ein Kompromiss zwischen den alten Einheitswerten und dem metrischen System darstellen sollten. Das musste freilich 1840 wieder abgeschafft werden, weil sich das metrische System in seiner Einfachheit durchgesetzt hatte.

Auch in Deutschland verlief die Entwicklung ähnlich. Hatten zuvor Herzogtümer, Städte oder Handelsverbände alle ihre eigenen Maße und Gewichte (und Währungen), so kam das metrische System in der napoleonischen Besatzungszeit nach Deutschland und konnte sich zuerst in der Pfalz dauerhaft durchsetzen. Mit dem Norddeutschen Bund wurde unter Führung von Preußen durch Bismarck am 17. August 1868 eine "Maß- und Gewichtsordnung" beschlossen, die auf dem metrischen System beruhte.

Ausdrücklich wurden dabei die alten Namen wie in Frankreich mit den neuen Bezeichnungen gleichgestellt, solange das Meter als Einheitsmaß nicht angetastet wurde: Der gewohnte Strich war ein Millimeter, ein Neuzoll war ein Zentimeter, ein Stab genau ein Meter und eine Kette war eben 10 Meter lang. Auch der Kilometer war in der Welt, doch hier war man inkonsequent. Der Weg zum metrischen Maßsystem verlief nun einmal über Preußen, das den Rest von Deutschland dominierte: als offizielles Entfernungsmaß wurde die preußische Meile genommen, metrisch eine Länge von 7500 Metern.

Die erste Version des Urmeters hatte eine abenteuerliche Entstehungsgeschichte. Nach vielen eingegangenen Vorschlägen berief die Akademie der Wissenschaften 1790 einen Expertenrat. Joseph-Louis Lagrange, Pierre-Simon Laplace, Jean-Charles Borda, Gaspard Monge und der Marquis de Condorcet, mithin die fünf bedeutendsten Mathematiker Frankreichs, berieten vier Monate lang und kamen zu der Empfehlung, den zehnmillionsten Teil der Entfernung vom Nordpol zum Äquator als Meter zu nehmen. Das sei einfach auszurechnen, wenn man ein ausreichend großes Stück des Meridians jeweils auf Meereshöhe messen könnte. Die Vermesser Méchain und Delambre wurden beauftragt, die Strecke Dünkirchen – Barcelona durch Triangulation zu bestimmen.

Der eine begann im Norden, der andere im Süden, Treffpunkt sollte die Stadt Rodez sein. Beide zogen inmitten des anbrechenden Bürgerkrieges los. Da sie die verpönten Kirchtürme des Klerus als Landmarken benutzten und überdies Pfähle mit weißen Wimpeln nutzten, der Farbe der Royalisten, gerieten sie mehrmals in Gefangenschaft. Delambre wurde zwischenzeitlich für geisteskrank erklärt, als er vor einem Gericht angab, die Strecke zum Nordpol messen zu wollen, den bis dahin niemand betreten hatte. Am Ende war das enorme Messwerk vollbracht und dokumentiert. Da war die Akademie der Wissenschaften längst aufgelöst und viele ihrer Mitglieder wie der das Projekt mit finanzierende Anotine Laurent de Lavoisier geköpft.

Die "Commission temporaire des poids et mesures républicains" übernahm dennoch die Arbeit der Landvermesser und ließ von vier Mathematikern im November 1798 das Ergebnis ausrechnen. Der Erdmeter war da und präzise bestimmt. Im Vergleich zu den heutigen satellitengestützten Berechnungen entsprach er nicht exakt dem zehnmillionsten Teil – man hatte sich um einen Fünftel Millimeter geirrt, die der Meter von 1790 zu kurz geraten war. Gemessen an den Umständen der Vermessungsexpeditionen war das ein erstaunliches Ergebnis.

Die Debatten um das metrische System und die Arbeit der Vermesser hatte der spätere US-Präsident Thomas Jefferson begeistert begleitet. Er gehörte zusammen mit Benjamin Franklin und John Quincy Adams zu den Verfechtern der Idee, in den Vereinigten Staaten in Solidarität mit dem französischen Volk das metrische System einzuführen. Das passierte nicht, weil das metrische System als politisches System begriffen wurde. So blicken wir heute auf eine sehr kurze Blütezeit des Systems im Jahre 1975 zurück, als US-Präsident Gerald Ford den Metric Conversion Act unterschrieb. Mit dem Amtsbeginn von Ronald Reagan wurde der Spuk 1982 "aus Kostengründen" endgültig vertrieben.

Spektakulärstes Opfer dieser Rück-Orientierung war die Sonde MCO (Mars Climate Orbiter) zur Analyse des Mars-Klimas. Während die NASA bei ihrer Ausschreibung zum Bau der Sonde alle Werte auf das metrische System bezog, rechnete man beim Auftragnehmer Lockheed mit den US-Messeinheiten "imperial". "Verlust durch Einheitsfehler" lautete die lapidare Meldung. (mho)