Gut rechnen mit Erbgut

Vieles spricht dafür, dass DNA-Rechner Ähnliches leisten ­können wie Quantenrechner – und womöglich sogar eher.

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Gut rechnen mit Erbgut

Rechnen mit DNA-Kacheln.

(Bild: Demin Liu u. Damien Woods)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Boris Hänßler
Inhaltsverzeichnis

Ein Supercomputer, der nicht größer ist als ein Tropfen und dabei Milliarden von Rechnungen durchführt, ist der Traum eines jeden IT-Technikers. Erstmals gelang es nun einem interdisziplinären Forscherteam, der Realisierung einen Schritt näher zu kommen: mit DNA als Grundbaustein statt Silizium. Doch wie kann ein biochemisches Molekül Rechenleistungen vollbringen?

Für einen Computer heißt "rechnen", einen Algorithmus auszuführen, eine Art Schritt-für-Schritt-Anleitung, die Daten aufnimmt, verarbeitet und ein Resultat ausgibt. Er wandelt Daten und Befehle in einen binären Code aus Einsen und Nullen um. Die grundlegende Idee hinter Rechnern aus Desoxyribonukleinsäure (DNA) ist nun, das Silizium aus bisherigen Computern durch Nukleinsäuren und die elektrischen Signale durch chemische Bindungen zu ersetzen.

Das Problem bei Siliziumtransistoren ist nämlich, dass sich die klassischen Ein- und Aus-Schalter, die physikalische Seite der Bits, nicht immer weiter schrumpfen lassen. Minimal etwa sieben Nanometer sind nach derzeitiger Einschätzung gerade noch realistisch. Darunter wird es schwierig, die Nanoelemente präzise zu positionieren.

Um unter diese Grenze zu kommen, greifen Forscher auf Erbgutmoleküle zurück. In einem ersten Schritt haben Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) und der Universität Paderborn nun vergoldete Nanopartikel auf künstlich hergestellten DNA-Strängen platziert und die Erbsubstanz damit zu stromleitenden Drähten umfunktioniert. Denn dank der Bindungs- und Faltfähigkeit der DNA lassen sich so extrem kleine Schaltkreise aus Molekülen und Atomen kreieren. Solche Chips könnten im Idealfall zu Winzlingen von nur ein bis zwei Nanometer schrumpfen.

Doch selbst wenn es gelingt, die Chiptechnik kostengünstig noch weiter zu schrumpfen – irgendwann ist Schluss. Denn je weiter man sich der Größe eines Atoms nähert, desto schwieriger wird es, die Bewegung der Elektronen zu kontrollieren. Grund sind die Gesetze der Quantenmechanik, die auf so engem Raum zur Geltung kommen.

Bei heutigen Rechnern gibt es logische Gatter – sie erhalten eine elektrische Spannung als Input und geben je nach ihrer Logik eine unterschiedlich starke Spannung aus. Damit das funktioniert, müssen die Gatter voneinander isoliert sein. Doch in der bizarren Welt der Quantenphysik gelingt das nicht mehr: Elektronen können hin- und herspringen, als wären die Gatter aus Luft. Damit verlieren sie ihre Funktion. Zudem funktionieren die DNA-Drähte zwar bei Raumtemperatur, der Strom hängt jedoch von der umgebenden Temperatur ab. Je geringer sie ist, desto geringer der Ladungstransport.

So sind selbst DNA-Chips nur eine Zwischenlösung auf dem Weg zu einem kompletten DNA-Rechner, der ganz ohne Halbleiter auskommt. Bereits in den 1990er-Jahren experimentierte der Amerikaner Leonard Adleman von der University of Southern California in Los Angeles mit solchen Rechensystemen. Dabei ging es darum herauszufinden, ob es bei gegebenen Zielen und Richtungen einen einzelnen Weg durch alle Ziele gibt. Angenommen, sieben Städte sind durch verschiedene Einbahnstraßen miteinander verbunden – hat ein Reisender überhaupt eine Möglichkeit, so zu fahren, dass er genau nur einmal durch jede Stadt kommt?

Jeder Stadt ordnete der Forscher nun eine DNA-Sequenz zu. Er nutzte die besonderen Bindungseigenschaften der Basen: A bindet mit T, G mit C. Ein Strang aus AGCT würde sich also perfekt mit TCGA binden. Dann setzte er einen Teil der Bindung mit dem Herkunftsort gleich, den nächsten mit der Zielstadt. Der Strang ACTTGCAG etwa steht für Atlanta, TCGGACTG für Boston. Der Flug von Atlanta nach Boston ist in GCAGTCGG repräsentiert, dem hinteren Teil von Atlanta und dem vorderen von Boston.

Adleman mischte alle Stränge und ließ sie sich verbinden. Mit verschiedenen chemischen Verfahren musste er dann zwar die falschen Lösungen mühsam herausfiltern, beispielsweise solche Stränge, die eine Sequenz mehrfach enthielten oder zu lang waren. Aber die entscheidende Erkenntnis war: DNA ermöglicht paralleles Rechnen – alle Kombinationen bilden sich in ein und derselben Flüssigkeit zur gleichen Zeit. Siliziumtransistoren hingegen rechnen immer einen Prozess nach dem anderen ab.

Da über zehn Billionen DNA-Moleküle in einen einzigen Kubikzentimeter passen, könnte dieser theoretisch zehn Billionen Berechnungen auf einmal durchführen. Damit wären DNA-Rechner so leistungsstark wie Quantenrechner – und zudem winzig klein. Allerdings konnte man mit ihnen nur ganz spezifische Probleme lösen, die Forscher bauten also einen Rechner für je einen Algorithmus.

Um das zu umgehen, müsste das chemische Material immer wieder neu konfiguriert werden können. Genau das gelang nun einem interdisziplinären Team britischer und amerikanischer Universitäten, darunter das California Institute of Technology. Der Input ihres DNA-Computers besteht dabei aus bestimmten DNA-Strängen, die sich je nach gewünschter Logik unterschiedlich binden. Um nun verschiedene Algorithmen zu ermöglichen, nutzten die Forscher eine komplexe Lösung aus verschiedensten DNA-Strängen, die übereinandergeschichtet sind und sich miteinander verbinden. Sie vergleichen diese sogenannten "Kacheln" mit einem Schal, der gestrickt wird, und das entstehende Muster mit der Lösung einer Berechnung.

Insgesamt schufen die Forscher ein Set aus 355 solcher Kacheln, die sich je nach auslösendem Strang unterschiedlich binden. So konnten sie 21 Programme in einer Lösung realisieren – auch wenn die Aufgaben noch recht simpel waren. Eines etwa zählte von 0 auf 63, ein weiteres, ob eine Zahl ein Vielfaches von drei ist.

Der Nachteil: Die Computer sind sehr langsam. Teilweise brauchten die Programme für die obigen Berechnungen zwei Tage. Die Kosten sind zudem immens: Ein Gramm künstliche DNA ist für nicht weniger als 100.000 Euro zu haben. Deshalb experimentieren die Forscher um Hendrik Dietz von der Technischen Universität München mit E.-coli-Bakterien, in die sie einzelne DNA-Schnipsel beliebiger Länge und Struktur einbauen. Bei der Zellteilung werden die Teilstückchen innerhalb kurzer Zeit massenhaft vervielfältigt, was die Kosten erheblich reduziert. US-Forscher der Universität Ohio haben zudem ein Verfahren mit kürzeren Heiz- und Kühlphasen entwickelt, die sie sogar mit so einfachen – und billigen – Geräten wie Kochplatten, Wasserbädern und Laborbrennern realisieren können.

Gelingt es, solche kostensparenden Ansätze marktreif zu machen und DNA-Computer so weiterzuentwickeln, dass sie auch vielschichtige Aufgaben lösen können, dann hat die rechnende Erbsubstanz gute Chancen, die gegenwärtigen Quantencomputer zu überholen. (bsc)