World Wide Filternet

Die Regierung im Iran sperrte über eine Woche landesweit das Internet. Es war der schwerste Blackout, den die internationale-Bürgerrechtsgruppierung NetBlocks bislang beobachtet hatte.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Raha Rashid
Inhaltsverzeichnis

Am 16. November unterbrach der Iran nahezu sämtliche Internetverbindungen des Landes. Die Nichtregierungsorganisation NetBlocks.org, die sich global mit Cybersicherheit und Internetzensur beschäftigt, nennt die Unterbrechung „die schwerwiegendste in Bezug auf ihre technische Komplexität und das Ausmaß“, die sie je in einem Land beobachtet habe. Ihrer Analyse zufolge brach der Datenverkehr im Iran auf weniger als fünf Prozent des normalen Volumens ein.

Die Verbindungen wurden allerdings nur in eine Richtung unterbrochen: Während ausländische Server vom Iran aus nicht mehr aufrufbar waren, blieben von der Regierung kontrollierbare iranische Hosts im In- und Ausland weiterhin erreichbar. Das hatte zur Folge, dass die meisten Nutzer die im Iran aktiven Netzfilter nicht mehr per VPN umgehen konnten. Das „nationale Intranet“, wie es der bekannte iranische Internet-Aktivist Jadi nennt, war vom Rest der Welt abgeschnitten.

Feststellen ließ sich eine solche Blockade auf Rechnern vor Ort beispielsweise über den Online-Scanner netblocks.org/scan, mit dem Nutzer Verbindungen von ihrem Standort aus zum Rest des Internet überprüfen. NetBlocks bietet dazu drei Open-Source-Tools an, darunter ein Block Crawler, der testet, ob Webseiten-Inhalte gemäß RFC-Spezifikation 7725 blockiert sind. Falls sie das tun, melden sie dem Browser den HTTP-Fehler 451. Die Nummer erscheint auch, wenn Anbieter wie Netflix & Co. Inhalte per Geo-Blocking an bestimmte Länder nicht ausliefern.

Die Sperren im Iran ließen sich allenfalls vereinzelt von technisch versierten Nutzern umgehen. So kramten manche Aktivisten uralte Modems hervor, um Rechner im Ausland über analoge Telefonleitungen zu kontaktieren. Andere verabredeten sich in Online-Chats, etwa der Spiele-App „Quiz of Kings“, die im Iran gehostet wird.

Die Blockade begann nur einen Tag, nachdem die iranische Regierung den Benzinpreis ohne Vorwarnung über Nacht verdreifacht hatte. Am selben Tag kam es zu den ersten Demonstrationen. Unruhen, Straßenblockaden und Schießereien wurden einen Tag später aus verschiedenen Städten gemeldet. Als sich erste Bilder (wie oben von einer ausgebrannten Bank in Shahriar) und Videos von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Verletzten und erschossenen Demonstranten im Netz verbreiteten, unterbrach man in Teheran auf Beschluss des Sicherheitsrates die Verbindungen zum Ausland.

Der Zugang zum Internet war in der Hauptstadt Teheran erst wieder am 23. November möglich. Zunächst wurden Verbindungen der Universitäten, Betriebe und Behörden wiederhergestellt. In einer zweiten Phase bekamen Privatkunden ihren Zugang über Festnetz zurück. Die mobilen Datennetze waren jedoch noch Tage später nicht verfügbar. Grenzprovinzen wie Sistan und Belutschistan waren selbst am 3. Dezember, 18 Tage nach dem Beginn der Proteste, noch immer vom Internet abgeschnitten.

Das Internet wird im Iran von vielen sarkastisch Filternet genannt, denn die Internetzensur ist kein neues Phänomen. Der Datenverkehr lässt sich dort deutlich einfacher kontrollieren als in anderen Ländern. Laut Doug Madory, Director of Internet Analysis bei Oracle, seien zwar Verbindungen über die beiden Hauptknotenpunkte bei der staatlichen Telecom (TIC) und dem Institut for Physics & Mathemathics (IPM) in den vergangenen Jahren ausgeweitet worden, dennoch würden TIC und IPM noch immer als leicht kontrollierbare Flaschenhälse gelten.

Mitte November waren ausländische Webseiten im Iran für eine Woche nicht erreichbar.

(Bild: Netblocks.org)

Internet Service Provider und Internetcafé-Betreiber, um die Identität der Internetnutzer festzustellen und Inhalte im Netz zu kontrollieren. Während in den ersten Nullerjahren Webseiten anhand Schwarzer Listen mit verbotenen Wörtern gesperrt wurden, ließ der Staat später immer mehr Webdienste wie Facebook und Twitter blockieren. Die Regierung spricht dabei vom „Filtern unangemessener Inhalte“. Vertreter des Staates fordern immer wieder ein „nationales Netz“ oder „reines Internet“, das auch unter dem Begriff „Halal Internet“ bekannt wurde.

Doch in den vergangenen Jahren musste der iranische Staat feststellen, dass die Filter zunehmend schlechter funktionierten. Denn Internetnutzer fanden Wege, die Sperren zu umgehen. Immer mehr griffen auf VPN-Angebote zurück. Sobald der Staat davon erfuhr und die Zugänge sperrte, wich man auf andere VPN-Provider aus – ein fortlaufendes Katz- und Maus-Spiel. Obwohl VPN-Zugänge illegal sind, kann man sie beinahe in jedem Geschäft unter der Hand kaufen, das Internet-Pakete anbietet.

Anfang November sprachen staatliche Vertreter über Pläne für die Legalisierung von VPN. Demnach sollten einzelne Berufsgruppen freien Zugang zu bestimmten Internet-Bereichen bekommen. Kritiker befürchten jedoch, dass der Staat durch diese Reglementierung die Aktivitäten der Nutzer leichter kontrollieren und andere Bevölkerungsgruppen vom Zugang zu freien Informationen ausschließen könnte.

Das Ministerium für Kommunikation und Informationstechnologie verlangte in einem Schreiben vom 20. November von Behörden und Betrieben, sie sollten ausländische Webseiten und Webdienste melden, die sie für ihre Arbeit unbedingt benötigen. Dies nährte Spekulationen, die iranische Regierung wolle langfristig eine sogenannte Weiße Liste erstellen und nur noch Zugang zu notwendigen Seiten gewähren. Das Ministerium dementierte jedoch: Man habe nur einen Bericht über den finanziellen Schaden für das Land verfassen wollen.

Der Staat sendete mit seiner Blockade nicht zuletzt auch eine Botschaft an iranische Geschäftsleute: Wer die inländische Infrastruktur nutzt, sich auf iranische Webseiten, Server und Dienste verlässt, ist auf der sicheren Seite. Doch aus Angst vor Überwachung und Zensur verzichten viele Menschen lieber auf einheimische Dienste.

Unter dem Hashtag #filternet kommentierte der bekannte iranische Aktivist Jadi die Internet-Blockaden im Iran.

(Bild: Twitter)

Die ökonomischen Auswirkungen einer solchen Blockade sind beträchtlich und verschlechtern die ohnehin durch US-Sanktionen, Missmanagement und Korruption geprägte wirtschaftliche Lage. Um die Kosten einer landesweiten Internetblockade zu berechnen, stellt NetBlocks einen Online-Rechner namens COST bereit. Gibt man dort das Land und den Zeitraum der Blockade ein, erhält man eine ungefähre Kostenabschätzung. Zur Berechnung zieht Netblocks unter anderem das Bruttosozialprodukt eines Landes und den prozentualen Anteil der Internet-Ökonomie heran.

Demnach würde eine eintägige komplette Blockade des Internets in Deutschland einen Schaden von 925 Millionen Euro verursachen. Im Iran wären es etwa 55 Millionen Euro pro Tag. Andere Schätzungen liegen deutlich höher: So bezifferte der ehemalige Vorsitzende der iranischen Handelskammer Mohsen Jalalpour den Schaden für das Land auf knapp 200 Millionen Euro pro Tag.

Angesichts solcher Zahlen wird klar, für wie prekär der iranische Sicherheitsrat die Lage gehalten haben muss. Weil aufgrund der Blockade kaum ungefilterte Informationen aus dem Land drangen, ist noch immer unklar, wie viele Iraner bei den Protesten verhaftet wurden und ums Leben kamen. Amnesty International sprach Anfang Dezember von mindestens 208 Toten. Die iranische Regierung dementierte diese Zahl und nannte von offizieller Seite zwei Tote.

Der Iran ist kein Einzelfall. Laut der Nichtregierungsorganisation Access Now hat sich die Zahl der weltweiten Internet-Blockaden von 75 im Jahr 2016 auf 196 im Jahr 2018 fast verdreifacht. Für 2019 prognostiziert sie einen neuen traurigen Rekord: Allein von Januar bis Juli 2019 registrierte Access Now weltweit 128 Internet-Blockaden, davon 80 allein in Indien – der „größten Demokratie der Welt“.

Nicht mitgezählt wurden dabei die seit August verhängten Sperren der Regionen Jammu und Kashmir. Ende November gewährte die indische Regierung zumindest 80 dort ansässigen IT-Firmen einen rudimentären Zugang zum Internet. Die Firmen mussten zuvor unterzeichnen, dass sie keine sozialen Netzwerke, Proxys, VPNs oder WLANs nutzen und sämtliche USB-Buchsen der ans Festnetz angeschlossenen Rechner deaktivieren. Zudem müssen sie den Sicherheitsbehörden übermittelte Daten auf Verlangen aushändigen. Die restliche Bevölkerung kann derweil zwar wieder weitgehend telefonieren, bleibt aber weiterhin vom Internet ausgesperrt.

Es steht zu befürchten, dass regionale Internetsperren auch im neuen Jahr weiter zunehmen. Die Entwicklungen in Indien und dem benachbarten Pakistan kann man etwa auf der Karte https://internetshutdowns.in sowie auf killswitch.pk beobachten. Andere Löcher im angeblichen World Wide Web findet man auf den Webseiten von accessnow.org sowie netblocks.org.

Dieser Artikel stammt aus c't 02/2020 (hag)