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Was war. Was wird. Vom permanenten Datensatz bis zur erschöpften Ressource.

Hände weg! Aber nicht von der Pfeife ... Es gibt immer wieder seltsame Entwicklungen, die einem die Enkel nicht glauben werden, wundert sich Hal Faber.

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Was war. Was wird. Vom permanenten Datensatz bis zur erschöpften Ressource.

Der Weihnachtsmann? Ach, iewo, der der Rotbemantelte ist mit seinem rotbenasten Rentier unterwegs und hat keine Zeit, die Whistle zu blowen. Schade eigentlich.

(Bild: Lightspring / shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika am Erscheinungstag von Edward Snowdens Buch Permanent Record vor einem US-Gericht eine Klage einreichten, war absehbar, dass das Gericht dieser Klage stattgeben wird und die Verkaufserlöse an den Staat fallen. Snowden selbst erzählt in seiner Autobiografie, dass er mehrere Vertraulichkeitserklärungen der CIA und der NSA unterschreiben musste und schreibt dazu, dass von ihm im Buch viele Details weggelassen wurden, um die Arbeit der Dienste nicht zu gefährden. Dann heißt es im Auftakt des Bildungsromans etwas verschwurbelt: "Die Verstöße, deren Zeuge ich wurde, erforderten mein Handeln. Aber es ist nicht nötig, seine Memoiren zu schreiben, weil man den drängenden Ruf seines Gewissens nicht länger ignorieren kann. Darum habe ich sämtliche Familienangehörige, Freunde und Kollegen, die auf den folgenden Seiten namentlich genannt werden oder anderweitig zu identifizieren sind, vorab um ihre Zustimmung gebeten." Nur CIA und NSA wurden ausgelassen, die sich postwendend mit der Klage bedankten. Es lohnt sich das Urteil zu lesen, denn ein paar Sätze weiter schreibt der Whistleblower Edward Snowden: "Tatsächlich habe ich kein einziges Dokument direkt der Öffentlichkeit demonstriert."

*** Genau diese Zeile ist ihm im Fall der Buchveröffentlichung zum Verhängnis geworden, denn das Gericht wertete offenbar das Video von Snowdens Auftritt auf der Nürnberger it-sa 2015 aus, mit der Darstellung einer PRISM-Folie um Minute 6:45 herum. Das wurde laut Urteilsbegründung als verbotenes Präsentieren vertraulicher Dokumente gewertet. Die Tatsache, dass der Spiegel, der Guardian und auch der Heiseticker diese Folie oder Screenshot zeigten und damit eigentlich Beweismittel dafür sind, dass Snowden nur "zitierte", wurde vom Richter vom Tisch gewischt. Das sollte eine Lehre sein und eine dringliche Warnung für viele (hoffentlich) nachfolgende Generationen von Whistleblowern, auch für die von unserem Tippgeber. Hände weg nach der Weitergabe der Informationen an die Presse, keine öffentliche Präsentationen, das ist der wichtigste weihnachtliche Wichteltipp! Nicht immer geht es so glimpflich aus wie im Fall von Reality Winner, die Opfer der Inkompetenz von Intercept wurde, aber 2020 entlassen wird. Was Edward Snowden anbelangt, ist nicht bekannt, ob er sich auf dem bald anstehenden 36. Kongress des Chaos Computer Clubs zu dieser Sache äußern wird. Es ehrt ihn aber, dass er sich nach den Informationen im Fahrplan in Leipzig für die Menschen einsetzen will, die ihn in Hongkong beherbergten und beschützten.

*** Zum Fall von Snowden gibt es einen Untersuchungsbericht, der den Mitgliedern des Ausschusses für Geheimdienstangelegenheiten im Repräsentantenhaus zugestellt und von der FAS im Namen der Informationsfreiheit freigeklagt wurde. Er ist die Vorlage, die von Snowdens Kritikern genutzt wird, um das Buch kritisch zu "prüfen". Das ist natürlich problematisch, denn weite Teile des Buches sind als typische Coming-of-Age-Erzählung angelegt, oder, wie man in den USA sagt, als Bildungsroman. Umgekehrt gibt es Passagen im Untersuchungsbericht, die geschwärzt sind. Eine kritische Auseinandersetzung ist problematisch, aber man kann es ja versuchen, wie dieser Dreiteiler zeigt, von dem erst zwei Teile erschienen sind. At the CIA behandelt das Erwachsenwerden und die ersten Tätigkeiten für die CIA|_blank)$, At the NSA behandelt seine Zeit bei der NSA. Der dritte Teil dürfte sich mit den Ereignissen in Hongkong befassen, aber auch mit Snowdens Verteidigung seiner Vorgehensweise. So steht seine Angabe in einem schriftlichen Statement für die EU-Parlamentarier, dass er sich an mehr als zehn Verantwortliche gewandt habe, um über Missstände zu berichten, im direkten Widerspruch zum aktuellen Urteil. Dort heißt es, dass Snowden von keiner der offiziellen Möglichkeiten Gebrauch gemacht habe, auf Missstände hinzuweisen. In einem Interview formuliert er es so: "The NSA at this point not only knows I raised complaints, but that there is evidence that I made my concerns known to the NSA’s lawyers, because I did some of it through e-mail. I directly challenge the NSA to deny that I contacted NSA oversight and compliance bodies directly via e-mail and that I specifically expressed concerns about their suspect interpretation of the law, and I welcome members of Congress to request a written answer to this question [from the NSA].

*** Kurz vor dem Weihnachtsfest passieren komische Dinge. Ein Rentierschlitten rast mit Geschenken rund um die Erde. Die interne Uhr eines Raumschiffs wird auf eine andere Zeitzone als die der Bodenstation eingestellt, damit der Starliner nicht mit dem Schlitten von Santa Claus kollidiert. Auch auf Erden spukt es. Daten werden auf einem Handy "sicherheitsgelöscht", das die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Amt benutzte. Das ist ein Vorgang, den man harmlos als Verstoß gegen das vom Verteidigungsministerium beschlossene Aktenmoratorium werten kann, schärfer auch als Vernichtung von Beweismitteln klassifizieren könnte, was dann eine Strafanzeige möglich macht. Eine weihnachtliche Steigerung der ganz besonderen Art leistete sich das Verkehrsministerium mit der Verschlusssachen-Einstufung von Akten, die der Untersuchungsausschuss über die Pkw-Maut benötigt. Sie wurden von "Nur für den Dienstgebrauch" (NfD) auf "Vertraulich" hochgestuft. Damit dürfen nur noch Abgeordnete und sicherheitsüberprüfte Mitarbeiter die Akten studieren. Zur Erinnerung: Die Akten wurden vom Verkehrsminister Andreas Scheuer höchst persönlich auf einem Wägelchen vor die Fotografen gerollt, alles im Namen der "Transparenz". Nun, wo es um mindestens 650 Millionen Euro Schadensersatz geht, sind Tricks statt Transparenz gefragt. Ganz nebenbei sind 551 zusätzliche Millionen für den Straßenbau, die Scheuer aus nicht abgerufenen Mitteln für die Verkehrsforschung und den Radwegebau seinem geliebten Bayernland zubutterte, auch kein Pappenstiel.

*** Glückliches, reiches, strahlendes Bayernland, Franken inklusive. Du bekommst 100 neue KI-Professuren, um auf diese Weise die internationale Strahlkraft Bayerns im KI-Bereich zu "entfachen". Ein Feuer wie die Waberlohe sollte brennen, heller als tausend Sonnen strahlen und ein Batzn gibt's noch obendrauf, ein "Bavarian Center for Blockchain [bc]²" für die Echtheitsprüfung von Zeugnissen. Vielleicht von denen, die die 100 KI-Professoren vorlegen müssen für den Nachweis, in welcher KI-Ecke sie gründeln. Denn Schlamm und Morast gibt es da genug, wie ein Aufsatz über die ethische KI (allerdings in den USA) zeigt. Doch halt, wir haben ja bald Weihnachten, das "Fest der Liebe". Ist es nicht himmlisch-bezaubernd, wenn wir von einer repräsentativen Umfrage der Gesellschaft für Informatik erfahren können, dass ein Drittel der unter 30-Jährigen an Liebe zwischen Mensch und KI glaubt. Stellen wir uns die kleinen Racker vor, die einer Miss Boo treu in die Augen sehen oder das Mädchen, dass sich vor einer Webcam für ihren Roboter auszieht, denn: "Am häufigsten können sich junge Menschen echte Romantik zwischen intelligenten Robotern und Menschen vorstellen." Von dieser Umfrage zum "Fest der Liebe" führt irgendwie der Weg zum Projekt #KI50, das die deutsche KI-Geschichte der letzten 50 Jahre kritisch reflektieren soll. Ich habe ihn nur noch nicht gefunden, also sucht ihn doch selbst.

Dunkel, höhlig und natürlich schwer hacker-romantisch geht es jedenfalls in den umgestalteten Hallen der Leipziger Messe zu, wenn der Chaos Computer Club seinen 36. Congress zwischen den Jahren feiert. Die Assemblies und Aufbauengel legen sich schon jetzt ins Zeug, damit es gemütlich wird, diese Liebe zwischen Mensch und Rechner. Wie erwähnt, hat Edward Snowden seinen zugeschalteten Auftritt, auch sein Anwalt Tibbo ist wie die letzten drei Jahre mit dabei. Da lässt sich auch der kleine Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene nicht lumpen: Am Samstag gibt es den c't-Uplink live vom Congress, am Sonntag ist die #heiseshow live dabei, die heißen Eisen anzupacken. Wie heißt es so schön optimistisch bei der Erklärung des Congress-Mottos "Resource Exhaustion": "Wer die eigenen Ressourcen kennt, setzt Grenzen, die deren Erschöpfung verhindern." Im dicken offiziellen IBM-"Wörterbuch der Fachausdrücke der Informationsverarbeitung" finde ich den Begriff nicht, wohl aber "resources, human". Sie werden so übersetzt: "menschliche Elemente. Das Mitglied des Anwendungsplanungs- und Programmierstabes, des Führungsstabes und des Systemprogrammierungsstabes an einer Datenverarbeitungsinstallation." Der Mensch ist des Menschen Stab.

(Bild: ROMAN NOGIN / Shutterstock.com)

Und wo bleibt die Musik? Ach, verweisen wir dieses Mal auf einen recht unterhaltsamen und wissenden Kollegen: Andrian Kreye hat die zehn besten Alben des Jahres zusammengestellt. Alle natürlich aus dem Genre, was manche Menschen als Jazz bezeichnen. Alles hörenswert. Sehr hörenswert. (jk)