Gemälde: Forscher entschlüsseln da Vincis mysteriöse Glaskugel

Das teuerste Gemälde der Welt zeigt eine Glaskugel mit merkwürdigen optischen Eigenschaften. Informatiker fanden mithilfe einer Simulation heraus, wie sie beschaffen sein muss.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 31 Kommentare lesen
Forscher entschlüsseln da Vincis mysteriöse Glaskugel

A: Rendering der soliden Glaskugel, B: Rendering der hohlen Glaskugel.

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • TR Online

2017 versteigerte das New Yorker Auktionshaus Christie‘s das Ölgemälde "Salvator Mundi" (auf Deutsch: Retter der Welt) für sagenhafte 450,3 Millionen Dollar. Es war die mit Abstand teuerste Malerei der Welt und dazu eines der knapp 20 Gemälden von Leonardo da Vinci – obgleich seine Urheberschaft noch diskutiert wird. Das Bild warf aber noch ein weiteres Rätsel auf. Es zeigt Jesus mit einer Glaskugel in der Hand, die die Himmelssphäre darstellt. Eine solche Kugel wirkt normalerweise wie eine konvexe Linse und sollte die dahinter liegenden Gewänder vergrößern und auf den Kopf stellen. Die Gewänder Christi erscheinen jedoch nur minimal verzerrt und nicht gedreht.

Dieses Rätsel wollten Marco Liang und Kollegen von der University of California in Irvine lösen. Mithilfe der Computergrafik-Software "Inverse Rendering" erstellten sie eine dreidimensionale virtuelle Version der Szene aus dem Gemälde und modellierten dabei verschiedenartige Kugeln, um zu sehen, wie sie das Licht brechen würden. Die Vergleiche ergaben, dass die Kugel im Gemälde keine massive Glaskugel sein kann, sondern hohl sein muss.

"Für die Szenengeometrie erstellen wir eine grobe Näherung des Körpers des Protagonisten, zusammen mit detaillierteren Darstellungen für die Kugel und die Hand, die sie hält", schreiben die Forscher im Open-Access-Wissenschaftsportal ArXiV. Anhand der Handmaße schätzten sie den Radius der Kugel auf 6,8 Zentimeter und den Abstand zum Körper auf 25 Zentimeter. Darüber hinaus überarbeiteten sie die Geometrie der kugelhaltenden Hand mit der 3D-Modellierungs- und Animationssoftware Maya so, dass sie die Kugel wie im Bild sanft berührt.

Anhand der Untersuchung der Schatten auf dem Gemälde gelangte das Team zu dem Schluss, dass das Motiv von einer stark gerichteten Lichtquelle von oben sowie von einem eher diffusen Licht beleuchtet wurde. Gleichzeitig schätzten sie, dass der Betrachtungspunkt im Bild etwa 90 Zentimeter vom Motiv entfernt ist. "Nachdem die virtuelle Szene fertig war, haben wir getestet, ob die Kugel fest ist, indem wir die Renderings einer festen und einer hohlen Kugel verglichen", sagen Liang und Co. Das Team konnte die Originalszene nur dann exakt reproduzieren, wenn sie eine hohle Kugel modellierte.

Das Gemälde "Salvator mundi" von Leonardo da Vinci.

Hohlkugeln verzerren den Hintergrund auf eine bestimmte Weise. Beispielsweise wird eine gerade Hintergrundlinie, die durch die Mitte der Kugel verläuft, nicht verzerrt. Nicht durch die Kugelmitte verlaufende Linien werden dagegen so verzerrt, dass am Kugelrand eine Unterbrechung entsteht.

Im Gemälde sind die Gewänder Christi so gefaltet, dass scheinbar fünf Linien hinter der Kugel verlaufen. Vier der Linien haben jedoch eine fächerartige Anordnung, die in der Mitte der Kugel zusammenläuft. Folgerichtig ist weder im rekonstruierten Bild noch im Original eine Unterbrechung sichtbar. Die fünfte Falte folgt jedoch nicht diesem Muster, und das rekonstruierte Bild zeigt eine deutliche Unterbrechung. Der Künstler verwischt den Teil des Gemäldes, wo die Falte in die Kugel eintritt. Dies deutet stark darauf hin, dass er sich bewusst war, wie eine hohle Kugel gerade Linien im Hintergrund verzerrt. Das Team variierte auch die Dicke der Hohlkugelwand, und kam zu dem Ergebnis, dass sie nicht dicker als 1,3 Millimeter gewesen sein kann.

Mehr Infos

Eine interessante Frage ist, ob Leonardo tatsächlich Zugang zu den Materialien, Lichtquellen und Kenntnissen der Optik hatte, wie es die neue Forschung nahelegt. In Bezug auf die Optik haben Liang und Co. die Notizen von Leonardo studiert und sind der Meinung, dass er über dieses Wissen verfügt hat. Hohle Glaskugeln waren zu dieser Zeit bekannt und tauchten in vielen Gemälden auf. Und Renaissancekünstler waren Experten für die Reproduktion bestimmter Lichtverhältnisse.

So sind sich die Forscher um Liang ihrer Schlussfolgerung sicher: "Unsere Experimente zeigen, dass mit Materialien, Lichtquellen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Leonardo da Vinci um 1500 zur Verfügung standen, tatsächlich eine optisch genaue Wiedergabe möglich ist, die qualitativ mit der des Gemäldes übereinstimmt."

[Korrektur, 10.01.20, 10.30 Uhr: Die Angabe zu den Maßen der Glaskugel wurde korrigiert. Es handelte sich nicht um den Durchmesser, sondern um den Radius der Kugel. jle]

()